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Simon Waldthaler dreht den Deckel einer kleinen Glasflasche nach links. Der Verschluss knackst. Der süßlich-vanillige Geruch des Getränks steigt sofort in die Nase. Während ich versuche, jede Nuance der Flüssigkeit herauszuschmecken, versinken meine Schuhe im schlammigen Boden der ersten Asimina-Anlage Südtirols. Sie gehört den beiden Jungbauern Simon Waldthaler und Simon Werth. Hier in Eppan produzieren sie Indianerbananen (Asimina triloba), die sie auch zu Saft verarbeiten. Die großblättrigen Bäumchen, auf denen die ursprünglich in Nordamerika beheimatete Frucht wächst, sind wahrlich Exoten im Landschaftsbild Südtirols.
Die Apfelernte ist vorbei, die Bäume verlieren langsam ihre Blätter und der Winter naht. Eine Zeit, in der die graue Tristesse nicht nur im Etschtal, sondern auch im Vinschgau Einzug hält. Apfelbaum an Apfelbaum reihen sich dort in den Talsohlen. Karge Bäume, Hagelnetze und graue Betonsäulen prägen das Landschaftsbild. Kaum ein Quadratmeter scheint hier noch frei zu sein. Eine Landschafts- und Kulturzerstörung, sagen Kritiker – eine Notwendigkeit, wenn man als Bauer in Südtirol überleben will, betonen viele Landwirte. Doch wie monoton ist Südtirol tatsächlich? Welche Folgen hat der intensive Anbau für unser Land? Und wie versuchen alternative Projekte, dieser Entwicklung zu trotzen?
„Das Auge täuscht sich“, sagt Arnold Schuler, „das, was wir hier sehen, ist keine Monokultur. Nur weil in den hiesigen Obst- und Weinbauflächen eine Pflanzenart überwiegt, haben wir mit den zahlreichen Grünflächen immer noch eine große Vielfalt dazwischen.“ Klassische Monokulturen, so der Landesrat für Landwirtschaft, seien etwa die riesigen Mais- oder Getreidefelder, wie man sie in Frankreich oder Amerika findet.
Schuler sitzt in seinem Büro im Landhaus 6 in der Bozner Brennerstraße. Im dunklen Anzug und mit glattgebügeltem, weißem Hemd kann man sich fast nicht vorstellen, dass er selbst in seinen Wiesen herumstapft. Einzig das braungebrannte Gesicht und die roten Backen lassen den Bauern erahnen. „Wenn sich Kritiker über die Intensivkulturen aufregen, müssen sie immer bedenken, dass diese nur acht Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche unseres Landes ausmachen“, meint der Landesrat und zieht seine dunkelgrauen Augenbrauen hoch. In Südtirol werden demnach auf 18.400 Hektar Äpfel und auf 5.396 Hektar Wein angepflanzt. Das sind insgesamt 33.557 Fußballfelder.
Wenn das also keine Monokultur ist, was ist Monokultur dann? Einer, der das wissen muss, ist Erich Tasser, Senior-Wissenschaftler am Institut für Alpine Umwelt an der Denkfabrik Eurac.
„Das, was wir hier sehen, ist keine Monokultur.“
Arnold Schuler„Es gibt aber auch positive Seiten des intensiven Anbaus.“
Erich Tasser „Im Alpenraum spricht man bei 100 Hektar Anbaufläche bereits von einer Monokultur, außerhalb des Alpenraumes sind 100 Hektar nie und nimmer eine Monokultur“, so Tasser. „Aber die Definition spielt hier keine große Rolle. Fest steht, dass sich solche einseitig und intensiv bewirtschafteten Flächen, wie wir sie auch in Südtirol haben, negativ auf Artenvielfalt und Biodiversität auswirken“, erklärt er.
So gibt es auf einem solchen Grünland, das mehrmals im Jahr gemäht wird, nur noch 15 bis 20 Arten, während in extensiv bewirtschaftetem Grünland, das wenige bis gar keine Eingriffe von menschlicher Hand erfährt, noch 70 bis 80 Arten gezählt werden können. Das Gleichgewicht gerät damit aus dem Ruder: Die Balance zwischen Schädlingen und Nützlingen stimmt nicht mehr und Arten wie etwa die Biene fallen diesem Kreislauf zum Opfer. Zwar betreiben einige Bauern deshalb einen integrierten Anbau, der nur geringe Auswirkungen auf die Umwelt hat. Aber dennoch: Eine solch intensive Nutzung funktioniert nicht ohne Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, denn nur so ist ein Anbau mit steigenden Erträgen in monotonen Fruchtfolgen möglich. „Solche Mittel setzt man ein, weil man bestimmte Arten eliminieren will“, sagt Tasser und schnauft leicht verzweifelt. Er ist nicht der einzige, der darin ein Problem sieht. Seit Jahren warnen Kritiker vor der gesundheitsgefährdenden Wirkung von Pestiziden und viele Biobauern sehen gar ihr Geschäftsfeld in Gefahr, zumal durch das Spritzen das Gift nachweislich auch auf ihre Anbauflächen gelangt. Vor allem im Obervinschgau wird die Debatte dazu hart geführt: Im Vorjahr sprachen sich in einer Volksbefragung in Mals 76 Prozent der Bewohner für eine pestizidfreie Gemeinde aus.
Die Pestizide sind das eine, das Wasser das andere. Weil Anbauflächen wie zum Beispiel im Vinschgau mit Nutzwasser bewässert werden, fehlt dieses für die Anwohner an anderen Stellen wieder, so Tasser. Zudem werden verschiedene andere Gewässer, wie Flussläufe oftmals auch durch Pestizide verunreinigt.
Und nicht zuletzt stören sich viele Südtiroler auch am allgemeinen Landschaftsbild, das durch den intensiven Anbau entsteht. Das ergab eine Studie der EURAC unter 6.000 Südtirolern.
„Es gibt aber auch positive Seiten des intensiven Anbaus“, sagte Tasser. So könne auf einer kleineren Fläche mehr produziert werden. Diese kleinstrukturierte Landwirtschaft – die Apfelanlagen Südtiroler Bauern sind im Vergleich zu anderen Ländern nahezu winzig – ist in gewisser Hinsicht auch der Ursprung der intensiven Landwirtschaft. Sie bringt nämlich die Notwendigkeit mit, sich auf eine spezielle Produktion zu konzentrieren. Für den Boden sei der intensive Anbau aber nicht so schlimm, wie oft kritisiert wird. „Dem Boden werden durch chemisch-synthetische Düngemittel die Nährstoffe zufügt, die er braucht, damit man möglichst viel und lange weiterproduzieren kann“, erklärt der Experte weiter. Insgesamt habe Südtirol also noch einmal Glück gehabt, weil nur kleine Flächen auf intensive Weise bewirtschaftet werden. Und diese werden immer wieder von Waldinseln durchbrochen.
„Es braucht ein gegenseitiges Umdenken.“
Arnold SchulerArnold Schuler kennt die Problematiken der intensiven Landwirtschaft: „Wir brauchen eine stärkere Ökologisierung. Wirtschaft, Landwirtschaft und Gesellschaft müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden“, so der Landesrat. Was er verlangt, ist ein gegenseitiges Umdenken: „Wir müssen lernen, die Landschaft nicht nur als Naherholungsgebiet zu sehen und die nostalgische Vorstellung davon ablegen. Die Landwirtschaft hingegen muss verstehen, dass sich die Gesellschaft auch verändert hat. Früher sollte in erster Linie der Hunger gestillt werden, heute erwartet man sich einen reichlich gedeckten Tisch – so günstig wie möglich.“ Die Landwirtschaft solle dabei aber trotzdem noch arbeiten wie vor hundert Jahren. Das sei unmöglich, erklärt Schuler.
Um dieses Gleichgewicht wieder zu erreichen, wolle sich die Politik nach alternativen Projekten umschauen und diese auch unterstützen. Die Folgen intensiver Landwirtschaft werden bereits von der Freien Universität und dem Forschungszentrum Laimburg erforscht und es werden nachhaltige Alternativen dafür gesucht. „Anschließend sollen die Ergebnisse den Bauern nahegebracht werden“, so Schuler. Konkrete Alternativpläne kann der Landesrat jedoch noch keine nennen. Was bereits steht, sind verschiedene Fördermaßnahmen, die etwa Projekte wie den Getreideanbau im oberen Vinschgau voranbringen sollen.
„Der konventionelle Anbau hat ein Ablaufdatum.“
Florin Pichler„Der Vinschgau bietet ideale Voraussetzungen für den Getreideanbau“, sagt Florin Pichler, Obmann der Kornkammer Vinschgau und selbst Getreidebauer. Er erinnert dabei an Zeiten, als Tirol noch die Kornkammer der Monarchie war und es im Vinschgau noch 4.000 Hektar Getreide gab. Heute sind es hingegen nur noch 50 bis 70 Hektar.
Florin Pichler lebt zusammen mit seiner Familie im 700-Seelen-Dorf Tarsch im Vinschgau – aber nicht in einem alten Bauernhof, in dessen uriger Scheune er sein Heu lagert, wie man sich das vielleicht erwarten würde. Sein modernes Haus steht mitten im Dorf und der Blick von seinem Vorgarten fällt direkt auf die Obstanlagen des Tales. Bis vor wenigen Jahren baute Pichler seine Äpfel noch konventionell an, mittlerweile hat er auf Bioanbau umgestellt. „Der konventionelle Anbau hat ein Ablaufdatum“, ist der Familienvater überzeugt. Deshalb produziert er nicht nur Apfelsaft, Kartoffeln, Mais, Birnen, Blumenkohl, etwas Wein, Bio-Erdbeeren oder selbstgemachte Nudeln, sondern sogar Brot in der eigenen, kleinen Hofbäckerei, die der findige Vinschger Bauer selbst eingerichtet hat. Auch sein Bier lässt er sich aus dem eigenen Getreide brauen. Mit diesen ganzen Produkten ist Familie Pichler so gut wie Selbstversorger.
„Wer einmal wie früher von Hand das Korn geschnitten hat, der hat einen ganz anderen Bezug zu dieser Sache. Diese Kultur ist zwar nicht die Geldbringendste, aber dafür die ‚Brotbringendste‘“, sagt er und lacht unter seinem dunkelgrauen Bart hervor. Auf die Frage, warum es im Vinschgau und im Überetsch so viel eintönige Apfellandschaft gebe, hebt Florin die rechte Hand und reibt seine Finger aneinander. „Das Geld“, sagt er. „Der wirtschaftliche Faktor spielt in diesem Gebiet bereits seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle. Schließlich produzieren Südtiroler Bauern nicht umsonst eine Million Tonnen Äpfel pro Jahr“, so Pichler.
Von solchen Mengen können die beiden Eppaner Simon Werth und Simon Waldhtaler nur träumen. Doch müssen sie von der Produktion ihrer exotischen Frucht noch nicht überleben.
Ursprünglich stammt die grün-gelbe Asimina triloba aus Nordamerika. Weil das gemäßigte Klima bei uns jenem aus Übersee ähnelt, wächst sie hier jedoch genauso fabelhaft wie dort.
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„Von den Förderungen des Landes haben wir noch nicht so viel gesehen.“
Simon WaldthalerDie beiden Jungbauern pflanzten vor drei Jahren den ersten Baum in ihrem Gut in Eppan. Mittlerweile sind es ganze 800 Stück. Die beiden Jungbauer betreiben damit eine der größten Anlagen Europas.
Stolz stehen sie zwischen den drei Jahre alten Bäumen und nippen am Asimina-Fruchtsaft. Spricht man sie auf die Förderungen an, die Landesrat Schuler in seiner Legislatur verstärken will, müssen die beiden grinsen, denn davon haben sie bisher nichts gesehen. „Unser Förderansuchen wurde zwar behandelt, aber die Innovationsbeiträge laufen immer über eine bestimmte Projektdauer. Erst wenn die Projektdauer vorbei ist, kriegt man die Förderung. Den Start des Projekts muss sich daher jeder selbst finanzieren. Bei uns hat das gut gepasst, weil wir aus der Landwirtschaft kommen, aber wenn man sich anfangs beispielsweise Geräte kaufen müsste, wird es schwierig“, kritisieren sie das System. Ihr Ziel waren jedoch nicht die Beiträge. Sie wollten als Vorbild für die lokale Landwirtschaft vorangehen, um mit ihrem Pilotprojekt den ökologischen Anbau auf eine neue Art und Weise zu verstärken und etwas Abwechslung in das Land der Wein- und Apfelfelder zu bringen. „Im Prinzip betreiben wir mit 800 Bäumen ja auch schon wieder eine Monokultur“, meint Simon Waldthaler und grinst frech. „Nur, dass wir hier auf biologische Art und Weise anbauen, ohne jegliche Pestizide“, ergänzt Simon Werth. Er kneift die Augen zusammen, weil ihn die Sonne blendet. Dann ruft er ein Bild in seinem Kopf ab: „Wenn die Bäume im Frühling violett blühen, gibt es hier Brennnesseln, Sauerampfer, gemeine Kamille, persischen Ehrenpreis und viele andere Pflanzen“, zählt Werth auf und prahlt ein wenig mit seinem Kräuterwissen. „Ja, darin ist er gut, der Simon“, spöttelt Waldthaler und dreht den Verschluss der leergetrunkenen Flasche wieder zu.
Abwechslung und andere Geschmäcker wollen die beiden Jungbauern ins Land bringen – damit man nicht jeden Tag nur einen Apfel oder einen Pfirsich essen müsse. „Einen Monat lang zumindest gibt es dann Asimina“, meint Simon Waldthaler. Die Frucht kann nämlich nur einige Tage gelagert werden und muss damit in der Erntezeit von September bis Oktober verspeist werden. Eine Indianerbanane ist nicht nur reich an ungesättigten Fettsäuren, sondern auch an Vitamin C und E, Calcium, Kalium, Eisen und Proteinen. Derzeit wird sie von Forschern außerdem auf ihre krebshemmende Wirkung hin untersucht.
In der Obstanlage von Florin Pichler wachsen im Sommer zwar noch keine Exoten, aber auch nicht nur Äpfel heran. Zwischen seinen Bäumen schießen Sonnenblumen in die Luft, die höher sind als die Bäume selbst und Bienen aus allen Himmelsrichtungen anlocken. Auf Pichlers Ackerboden wächst außerdem Klee, der dem Boden Stickstoff und organische Masse zurückgibt. „Ich bin nicht gegen den Obstbau, aber wir müssen ihn ein bisschen anders gestalten“, ist Pichler überzeugt. „Wir müssen lernen, dass der Mehrwert genau in dieser Vielfalt liegt.“
„Ich bin nicht gegen den Obstbau, aber wir müssen ihn ein bisschen anders gestalten“
Florin PichlerFoto
Benedikt Kofler
Lisa Maria Kager
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