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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 18.04.2016
LebenDiagnose Krebs

Kampf mit allen Mitteln

Veröffentlicht
am 18.04.2016
Ulli Naumann hat Krebs. Neben einer herkömmlichen Therapie vertraut sie auf komplementärmedizinische Behandlungen wie Akupunktur, um die Krankheit zu besiegen.
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Kürzlich war Ulli Naumann mit ihrer Schwester in Sri Lanka, eine Reise an die Côte d’Azur mit ihrem Mann und der besten Freundin ist in Planung. „Das Leben hat noch viel zu bieten“, sagt Naumann, „die Dinge werden wertvoller, wenn sie endlich sind.“

Ulli Naumann ist Tänzerin und Choreografin, sie ist in ihrem Leben schon viel herumgekommen. Vor vier Jahren dann der Schock: Bei einer Untersuchung wurde bei ihr ein Brusttumor diagnostiziert. „Der Krebs über dem Herzen“, wie Herbert Heidegger, Primar der Gynäkologie im Krankenhaus Meran, den emotional besetzten Tumor nennt. Nach der Operation hoffte sie auf eine vollständige Heilung. Die Chemotherapie sei sehr schwer auszuhalten gewesen. „Ich war aber hoffnungsvoll“, sagt Naumann. „Mein Mann hat mich weitergeliebt, trotz Glatze und halber Brust. Und jedes Lächeln, jeder Anruf stützt. Das weiß man erst zu schätzen, sobald man krank ist.“ Zwei Jahre ging es ihr gut, danach fand man Metastasen in der Lunge. „Ich wusste, jetzt wird es schlimm“, sagt Naumann. 

Von Anbeginn vertraute Naumann neben der herkömmlichen Therapie den komplementärmedizinischen Behandlungen, die seit 2010 im Krankenhaus Meran angeboten werden. Seit 2014 ist die Abteilung Komplementärmedizin fixer Bestandteil des Krankenhausangebotes. Die Behandlungen sollen Krankheitssymptome lindern und die Nebenwirkungen von Radio- und Chemotherapie mildern. „Wir wollen die Lebensqualität verbessern, trotz Therapie“, sagt Hildegard Zeisel-Heidegger, Ärztin der Abteilung Komplementärmedizin. „Der Patient steht die Therapie länger durch, wenn wir sein Immunsystem und seine Selbstheilungskräfte stärken.“

Die möglichen Behandlungen sind zahlreich und kommen oft aus der Naturheilkunde oder etwa, wie die Akupunktur, aus der chinesischen Medizin. Während die Ärztin erzählt, wie die Nadeln gegen Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen wirken, demonstriert sie die korrekte Anwendung gleich am lebenden Objekt.

„Ich wusste, jetzt wird es schlimm.“

Akupunktur lindert Schmerzen und Nebenwirkungen von herkömmlichen Therapien.

Rund 17.000 Leistungen pro Jahr erbringt die Abteilung. Die Hälfte der Patienten kommen aus dem Raum Meran, aber Menschen aus ganz Italien nehmen die Komplementärmedizin in Anspruch. Alle Krebspatienten in Meran werden über das Angebot der Komplementärmedizin informiert, und fast alle nehmen es an. Gemeinsam mit einem Onkologen wird eine individuelle Behandlung zusammengestellt, denn die Wechsel- und Nebenwirkungen der Medikamente können stark sein.

„Wir sind keine Alternativmedizin“, stellt Hildegard Zeisel-Heidegger, Ärztin in der Meraner Komplementärmedizin, gleich klar. Während die eine sich bewusst von der Schulmedizin abgrenzt, geht die komplementäre Behandlung mit der Schulmedizin Hand in Hand. „Wir stützen uns auf evidenzbasierte Studien“, sagt Zeisel, „wir machen nur, was auch wirklich wirkt.“ Konkret heißt das zum Beispiel gepulste Magnetfeldtherapie gegen Rückenschmerzen und Laserakupunktur gegen Mundschleimhautentzündungen. Ingwer gegen Übelkeit, Ginseng gegen Müdigkeit, Weihrauch gegen Entzündungen, Gehirntumore, Gelenk- und Muskelbeschwerden. Cannabis wirkt gegen Schmerzen, als Stimmungsaufheller und Appetitanreger. Noch wird das Kraut wenig eingesetzt, aber es kann die Zukunft sein, sagt Zeisel.

Selen lindere die Nebenwirkungen der Chemotherapie und könne Herz- und Nierenschäden vorbeugen. Aminosäuren aus Hülsenfrüchten oder Blütenpollen sollen den Abbau der Muskelmasse bei der Chemotherapie verringern. Aber auch hier gilt: Pflanzen können Nebenwirkungen haben, die Behandlungen finden immer unter ärztlicher Aufsicht statt.

„Wir machen nur, was auch wirklich wirkt.“ (Hildegard Zeisel-Heidegger)

Hildegard Zeisel-Heidegger

Ulli Naumann ist eine der Patientinnen von Zeisel. Sie macht eine Antikörpertherapie, um die Tumore klein zu halten, doch das Vertrauen in die Selbstheilungskraft des Körpers schwindet. „Wie lange habe ich noch?“ wird zur bestimmenden Frage in einem Leben zwischen Hoffen und Bangen. An einem Tag am Boden, am nächsten gut drauf.

So ruhig wie Ulli Naumann ihre Geschichte erzählt, könnte man fast vergessen, in was für einer schlimmen Lage sie ist. „Ich meditiere, versuche im Jetzt zu bleiben, glaube an ein Leben nach dem Tod“, sagt sie. „Aber keiner will sterben.“ Zwischendurch schließe sie Frieden mit ihrem Schicksal, aber dann packe sie doch wieder die Wut.

Martina Kosta kennt das. Sie arbeitet seit vier Jahren als Psychologin im Krankenhaus Meran. Dort begleitet sie Krebspatienten und erlebt die verschiedensten Reaktionen auf die Diagnose: Verleugnen, verdrängen, Angst, Schock, Scham, Verzweiflung, Zorn, Schuldgefühle. Andere, die schon lange von Arzt zu Arzt pilgern,  seien fast froh über die Diagnose: „Sie können ihre Krankheitssymptome endlich deuten und wissen, was ihnen fehlt.“ Mit der Diagnose beginnt ein Weg zwischen Verzweiflung und Zuversicht, zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.

„Wie lange habe ich noch?“ (Ulli Naumann)

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Durchgeführt werden viele Behandlungen ambulant in der internistischen Tagesklinik (Day Hospital). Die Patienten kommen am Morgen und können das Spital nach wenigen Stunden wieder verlassen. Sieben Ärzte, 15 Pfleger, ein Apotheker und drei medizinisch-technische Assistenten kümmern sich um rund 60 Patienten pro Tag, erzählt Pflegekoordinatorin Monika Alber. Ein Viertel von ihnen macht eine Chemotherapie, der Rest bekommt andere Infusionen, kommt zu Kontrollen oder zur Nachsorge. 70 Prozent von ihnen sind Frauen. 

„Der Patient hat das Gefühl, sich etwas Gutes zu tun“, sagt Alber. Chemo und Komplementärmedizin würden allerdings auch dazu verleiten, sich sicher zu wähnen. „Man muss auch selbst etwas ändern, um gesund zu werden“, sagt Alber.

Die Abteilung Komplementärmedizin fühlt sich an wie eine Familie. Alle ringen ihrer Arbeit etwas Positives ab. „Ich lerne viel von den jungen Patienten, wie sie auch unheilbare Krankheiten mit Kraft und Demut ertragen. Ein 30-jähriger Patient von mir lächelte auch eine Woche vor seinem Tod noch“, sagt Psychologin Kosta. „Es kommt sehr viel zurück“, sagt auch Pflegekoordinatorin Alber. Und es ist ja nicht immer so schlimm, wie es sich im ersten Moment anhört. „Krebsfälle nehmen zu, aber nicht so extrem, wie man meinen könnte“, sagt Alber. Die Menschen leben länger und sind dementsprechend auch länger in Therapie, werden zu chronischen Patienten. Früher war eine Krebsdiagnose viel häufiger und viel schneller tödlich. „Der Großteil der Patienten hat heute eine sehr gute Lebensqualität.“

„Der Patient hat das Gefühl, sich etwas Gutes zu tun.” (Monika Alber)

Monika Alber im Day Hospital.

Die Komplementärmediziner widmen dem einzelnen Patienten viel Zeit. Aber auch die wird weniger, weil die Nachfrage steigt. Mehr als die schon jetzt durchgeführten Behandlungen sind aber beim aktuellen Personalstand nicht zu leisten.

Zwischen 50 und 60 Prozent sind onkologische Patienten, Tendenz steigend. Seit 2014 sind Krebspatienten, die komplementärmedizinische Behandlungen beanspruchen, ticketbefreit, chronische Patienten zahlen und müssen oft Monate auf eine Behandlung warten. „Der Dienst wäre auszuweiten“, sagt Zeisel, „am besten landesweit, damit nicht alle nach Meran kommen müssen.“ Mehr Patienten machen aber auch mehr Werbung.  „Wir werden dem Ansturm nie nachkommen können, auch nicht mit mehr Ärzten“, sagt Alber.

Noch gibt es nur in Meran eine Anlaufstelle für Komplementärmedizin, einige Behandlungen werden auch in Schlanders durchgeführt. Aus der ursprünglichen Ankündigung des Landes, bei Erfolg den Dienst für Komplementärmedizin landesweit auszudehnen, ist bisher nichts geworden.

Krebspatienten, die komplementärmedizinische Behandlungen beanspruchen, sind ticketbefreit.

Ulli Naumann begann das Balletttanzen in Bozen, nach einer Ausbildung in München folgten Engagements an verschiedenen Theatern in Deutschland, unter anderem in Berlin und Stuttgart. „Es war toll, auf der Bühne zu stehen und sich im Tanz auszudrücken“, sagt Naumann.

Nach ihrer Rückkehr nach Südtirol gründete sie eine Ballettschule in Bozen und machte zahlreiche Choreografien an verschiedenen Theatern in Südtirol. Danach absolvierte sie in Mailand die Ausbildung zur Tanztherapeutin und arbeitete zehn Jahre lang am Therapiezentrum Bad Bachgart in Rodeneck, im Zentrum für Psychotherapie in Bozen und der Psychiatrie des Krankenhauses in Brixen. Nach der zweiten Chemo musste sie ihre große Leidenschaft aufgeben. „Wenn ich nicht mehr tanzen kann, was bin ich jetzt noch?“, fragte sie sich damals.

Sie möchte ihre Freunde nicht zu sehr belasten, sie hat von ihnen sehr viel Liebe und Unterstützung erfahren. „Es tut mir leid, die Menschen zu verlassen, die ich mag“, sagt Naumann. Sie will aber weiterkämpfen. „Die Komplementärmedizin hilft mir, dass mein Körper das packt.“ Naumann fürchtet sich vor Schmerzen. Auch hier kann die Komplementärmedizin helfen, aber Wundermittel gibt es keine.

Wundermittel gibt es keine.

Fotos

Petra Schwienbacher

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