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Fünf Kehren zähle ich, bevor ich in der sechsten rechts abbiege. Hier heroben, knapp über Kollmann, sind die Straßen eng. Durch mein geöffnetes Autofenster weht der Duft des Sommers herein. Frisch gemähtes Heu und Wiesenblumen gepaart mit einem Hauch von Kuhmist. Nach einigen hundert Metern erblicke ich den Aspinger Hof. Von weiter oben sieht es so aus, als würde er gleich den Hang hinabrutschen, so steil steht das gelbe Haus in der Wiese. Spot, der Hund vom Hof, begrüßt mich mit einem Bellen und bringt mich direkt zu seinem Herrchen, Harald Gasser, dem allseits bekannten, etwas verrückten Bauer, der alte Gemüsesorten anbaut. Mit Strohhut und Latzhose kommt mir der traditionsverbundene Barbianer entgegen und fängt auf einer Bank im Schatten des Hauses an zu erzählen.
Was Harald Gasser hier oben auf rund 1.000 Metern betreibt, nennt er „Mischkultur mit Beachtung der Pflanzengemeinschaften“. Seit sieben Jahren macht er es so, dass er Pflanzen, die sich gut ergänzen und sich gegenseitig vor Schädlingen schützen, nebeneinander anbaut. „Das ist nicht so einfach, wie es klingt”, erklärt er, „es braucht Geduld, Biss und vor allem darf man nicht aufgeben.” Wenn man eine Ausbildung zum Permakultur-Gestalter macht, kriege man nur einen fertigen Kuchen und einige Zutaten gelehrt, meint Harald, das Rezept dazu müsse man dann selbst herausfinden. Genau das ist jedoch Haralds Lieblingsdisziplin: das Experimentieren mit den „Zutaten“. Er liebt es, außergewöhnliche oder alte Pflanzenarten in seinem Beet anzupflanzen und Pflanzen immer wieder neu in ihren Positionen zu kombinieren. „Mittlerweile ist mir das aber auch schon wieder zu fad, deshalb fange ich gerade an zu spielen“, erzählt er. Ein Traktor fährt an uns vorbei. Harald spricht lauter: „Ich pflanze beispielsweise Feinde nebeneinander an, weil ich einen bestimmten Effekt haben will. Wenn ich zum Beispiel Mangold und Knollensellerie nebeneinander pflanze, bekämpfen sich die beiden. Der Knollensellerie ist stärker, der Mangold schwächer. Letzterer muss zum Überleben kämpfen und bleibt am Ende klein. So kann ich jetzt Mini-Mangold zum Verkauf anbieten“, erklärt der „Gemüse-Erfinder“ weiter.
Als Bio deklarieren darf Harald sein Gemüse nicht. Für das Bioland-Kontrollsystem sei er nicht kontrollierbar gewesen und musste daher austreten. Spritzen tut er sein Gemüse deshalb aber trotzdem nicht.
Nicht nur Bioland habe ihn für verrückt erklärt, auch Leute im Dorf nannten ihn einen grünen Spinner – und auch beim ehemaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder, bei dem er vor einiger Zeit in einer Sprechstunde um sechs Uhr morgens um Hilfe gebeten habe, stieß der Bauer aus Saubach bei Barbian auf Skepsis. „Durch sein Misstrauen habe ich erst den nötigen Biss gekriegt“, sagt Harald Gasser heute stolz. Mittlerweile ist er von sämtlichen EU-Förderungen und auch von den Landesförderungen ausgestiegen. Wenn ein Betrieb ohne Förderungen nicht überleben könne, sei er ohnehin krank, meint der Bauer aus Leidenschaft.
Sein Betrieb ist jedoch alles andere als krank. Auf dem Aspinger Hof lebt alles im Einklang. Hund Spot schläft seelenruhig neben uns und einer von Haralds Zwillings-Söhnen schaut verschmitzt hinter der nächsten Ecke rüber, während von weiter weg die Laute eines Esels zu hören sind.
Die Familie ist Harald Gassers höchstes Gut. „Ohne meine Frau Petra hätte ich schon das eine oder andere Mal aufgegeben, spätestens wenn es um den ganzen Papierkram geht, da verdrücke ich mich immer wieder gerne zum Jäten“, erzählt Harald grinsend. Teamwork ist jedoch nicht nur beim Ehepaar Gasser gefragt. Alle helfen hier mit und unterstützen sich gegenseitig. „Auch ohne meine Eltern wäre das alles hier nicht möglich“, weiß Harald die Hilfe seiner Familie zu schätzen.
Während er weiter von seiner „Spielwiese“ erzählt, kommt seine Mitarbeiterin aus dem Feld in unsere Richtung. Sie hat Feierabend, zieht den Hut ab und sagt über ihren Chef:
„Durch Durnwalders Misstrauen habe ich erst den nötigen Biss gekriegt.“
Harald Gasser„Als ich das erste Mal Samen geshoppt habe, habe ich gleich 200 alte Sorten gekauft.“
Harald GasserMagda hilft bei allem auf dem Hof mit. Beklagen könne sie sich nur über den Muskelkater, den sie ab und an vom Arbeiten habe, aber dafür könne ja auch der Harald nichts, meint sie und stupst ihn lachend an.
Vollzeit-Chef in seinem eigenen Gartenparadies ist Harald erst seit drei Jahren. Vorher war er Behinderten-Betreuer. „Reingeschlittert“ sagt er, wenn man ihn fragt, wie er zum Job als Exoten-Bauer gekommen sei.
Seine Karriere fängt ganz woanders an, nämlich in Salern. Dort hat Harald mit 14 die Landwirtschaftsschule für Milch- und Forstwirtschaft absolviert. Danach hat er die Freude am Hof jedoch verloren, ist zum Militär und hat anschließend die Ausbildung zum Sozialbetreuer draufgelegt. Schließlich hat er gearbeitet und sich einen Ausgleich zum Job gesucht. „So ist das mit den Raritäten losgegangen“, erzählt Harald, „ich habe mir eine kleine Fläche angelegt und habe darin halt ein bisschen herumgewühlt, damit der Tag rumgeht“. Er lacht. „Am Ende ist dann der erste Koch gekommen und so hat das alles seinen Lauf genommen“. Mittlerweile beliefert „Aspinger Raritäten“ nicht nur Spitzenköche in Italien, sondern auch in Deutschland und Österreich.
Doch aller Anfang war schwer. „Es gab auch Krisenjahre. Da hat mich ein Koch sitzen lassen und ich musste Traktoren voll mit Gemüse wegschmeißen. Da habe ich den ganzen Sommer lang auf dem Acker geweint“, erinnert sich Harald.
Auch das Verbinden seiner beiden Jobs, war alles andere als einfach. Harald musste, um die ganze Arbeit unter einen Hut zu kriegen, teilweise nachts mit der Stirnlampe Unkraut jäten. Das hat er sich jedoch auch als Vollzeit-Bauer noch nicht abgewöhnt. „Ich mag das einfach. Nachts ist alles anders, da herrscht Ruhe und die ganze Welt läuft in einem anderen Tempo“, erklärt Harald mir seine Vorliebe.
Weil es die Zeit erlaubt, ziehen die Gassers mittlerweile ihre Pflanzen sogar selbst. Im Frühling 50.000 Sämlinge pikieren, heißt das. Einige davon stehen hinter uns. Aus den Samen sind inzwischen kleine Pflänzchen gewachsen, die nur noch darauf warten, in Haralds Acker Wurzeln schlagen zu dürfen.
Wir stehen auf und gehen ein paar Schritte weiter auf Haralds „Spielwiese“, wo ich einen Crash-Kurs in Sachen Raritäten kriege. 500 verschiedene Sorten wachsen hier, wobei der Mensch sich durchschnittlich nur von 30 ernährt, erklärt mir Harald, der mit Vorliebe Gemüsesorten kultiviert, die einst für das Eisacktal typisch waren, durch die neuen Sorten aber verschwunden sind.
Bei dieser Kulisse biete ich Harald spontan meine Hilfe an. Auf die Frage, ob er ein guter oder ein böser Chef sei, antwortet er: „Böse! Buggeln, buggeln, buggeln, den ganzen Tag!“ und lacht laut.
Eine Anekdote nach der anderen haut der junge Bauer raus, während er durch sein Paradies schreitet und wild mit den Armen deutet. Kurzerhand erklärt er mir auch, warum zwischen den ganzen Raritäten plötzlich ganz herkömmlicher Weizen wächst.
„Jicama, die Wohlschmeckende, ist mein Liebling. Eine Art Kartoffel ohne Lagerfähigkeit aus Südamerika.“
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„Es funktioniert immer besser, aber nie gut.“
Harald GasserWir gehen weiter auf dem Feld, das ich mir eigentlich etwas größer vorgestellt hatte. Irgendwie sieht es hier aus wie im Bauerngarten meiner Großeltern. Doch Harald hat weit mehr zu bieten als die Riesen-Rettiche von meinem Opa. Zwischen Sauerkleerübchen, Topinambur, Krosnys, Zuckerwurz und Jicama gibt er mir plötzlich ein dunkelrotes Kraut in die Hand. „Japanischer Wasserpfeffer“, ruft er mir zu, während er schon wieder ein paar Meter weiter gegangen ist, „normaler Pfeffer enthält Toxide, diese Pflanze jedoch nicht. Sie ist dadurch der perfekte Ersatz zu herkömmlichem Pfeffer.“ Ich probiere und bin von der Schärfe dieser harmlos scheinenden Pflanze überwältigt. Gleich darauf landen Glückskleerübchen in meinem Mund. Pinke Blumen, die eine Geschmacksexplosion auf meiner Zunge geben. Zuerst sauer, dann süß nach Honig.
Bei dem ganzen Gemüse, das ich zum ersten Mal in meinem Leben sehe und probieren darf, vergesse ich fast, nach den Tieren auf Haralds Hof zu fragen. Diese züchtet der Chef nämlich persönlich. Als Gegner von Massentierhaltung und Antibiotika-Kühen, hat er sich nämlich vor drei Jahren von den Milchkühen seiner Eltern verabschiedet. Die Zwerg-Zebus, die dafür jetzt auf dem Aspinger Hof leben, kriege ich jedoch nicht zu sehen. Die machen gerade Sommerfrische auf der Alm.
Am Ende der Tour durch das Aspinger-Feld zieht der Chef in Latzhose sein Fazit: „In den ganzen Jahren meiner Experimente habe ich viel dazugelernt, Fehler gemacht und mich weiterentwickelt. Es funktioniert immer besser, aber nie gut. Das ist in der Landwirtschaft so, da lernt man nie aus“, sagt er und grinst.
Dieser Ur-Kohl wächst auf Harald Gassers Feld. „Vom Ur-Kohl oder ewigen Kohl stammen alle anderen Kohlarten ab.”
„Seit geraumer Zeit suche ich Blüten, die etwas hergeben auf dem Teller. Diese hier riecht süß und fast exotisch, schmeckt aber nach frisch ausgegrabenem Radieschen. Der Kontrast gefällt mir.“
„Das ist das Gegenteil von Viagra. Wenn der Mann zu lästig wird, muss man diese in das Essen geben und der Mann wird ruhig.“
Foto/Video
Lisa Maria Kager
Harald Gasser
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