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Irina Ladurner
Veröffentlicht
am 11.06.2015
LebenFlüchtlinge betreiben Hotel

Endlich angekommen

Veröffentlicht
am 11.06.2015
Ein ehemaliges Pflegeheim am Wiener Prater ist heute ein Hotel. Das Besondere: Es ist das erste Hotel Europas, das von und mit Flüchtlingen betrieben wird.
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Wer als Flüchtling in Europa landet, ist längst nicht angekommen. Maryam kann davon ein Lied singen. Die 39-Jährige steht hinter der Theke des Hotels Magdas im zweiten Wiener Gemeindebezirk und füllt Mineralwasser in Gläser. Im Hintergrund läuft leise Lounge-Musik. Seit der Eröffnung Mitte Februar ist sie hier als Servicekraft angestellt. 2001 war sie aus Marokko nach Österreich geflohen. Asylwerber, die auf einen positiven Bescheid warten, dürfen offiziell nur als Saisonarbeiter, Erntehelfer oder Prostituierte arbeiten. Zwölf Jahre lang wartete Maryam auf ihre Arbeitserlaubnis, darauf, dass sie endlich offiziell als Flüchtling anerkannt würde. Einen Job fand sie nach dieser langen Zeit des Wartens trotzdem nicht. Dabei beherrscht sie fünf Sprachen.

Schicksale von Flüchtlingen wie Maryam gibt es viele. Mit ihr haben 19 weitere Mitarbeiter im Magdas einen Platz gefunden. Sie alle haben eine lange Reise hinter sich: Ihre Flucht dauerte oft Wochen oder Monate, die sie zusammengekauert auf Containerschiffen oder in Bussen verbrachten. Jetzt arbeiten sie an der Rezeption, als Reinigungskraft oder in der Küche des Magdas. Wer legal hier lebt, soll auch legal hier arbeiten dürfen: Das ist die politische Idee hinter dem Caritas-Projekt. Vier Jahrzehnte lang war das Gebäude der Caritas ein Senioren- und Pflegehaus. Nur wenige Meter vom Wiener Prater entfernt, ist es heute das erste Hotel Europas, das von und mit Flüchtlingen betrieben wird.

Wer legal hier lebt, soll auch legal hier arbeiten dürfen.

„Die Gäste geben auch Ratschläge, wie man es besser machen kann. Das finde ich super.“

Maryam (39)

Hilfe bekommen sie dabei von fünf Hotellerie-Profis – und von Hotelmanager Sebastiaan de Vos. In einer Ecke der Lounge des Magdas macht er die Stehlampe an, zupft am hellen Vorhang, rückt die Kissen zurecht. Gemütlich soll man es hier haben – die Gäste, aber auch die Mitarbeiter. Der 28-Jährige ist selbst im Alter von zehn Jahren von den Niederlanden nach Österreich gekommen. Damals fand er sich in einer ähnlichen Situation wie viele seiner Mitarbeiter. „Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie es für sie gewesen ist, wenn ihnen zum Teil die Türen vor der Nase zugeknallt wurden: sei es bei der Jobsuche oder dabei, sich in die Gesellschaft einzufügen“, sagt de Vos.

Der Hotelmanager steht hinter der Theke, schneidet Zitronenscheiben. Vor zwei Wochen hat ein neuer Mitarbeiter aus Tunesien im Service begonnen, de Vos greift ihm unter die Arme, erklärt, zeigt vor. Auch Maryam hat in der Zeit im Magdas viel gelernt: wie sie mit den Gästen umgehen soll, wie sie richtig bedient, Getränke zubereitet. „Die Gäste geben auch Ratschläge, wie man es besser machen kann. Das finde ich super“, sagt sie.

Anders als bei anderen Non-Profit-Unternehmen, bei denen eine Zusammenarbeit jeweils sechs Monate dauert, bleiben die Mitarbeiter im Magdas so lange im Betrieb, wie das Dienstverhältnis besteht. Das gibt den Hotellerie-Profis die Möglichkeit, das Produktsortiment im Laufe der Zeit weiterzuentwickeln. In einem Jahr erhofft sich der Hotelmanager ein À-la-carte-Restaurant, in dem sich die Spezialitäten aus den Heimatländern seiner Mitarbeiter auf der Menükarte wiederfinden.

Das Angebot wächst also mit der Weiterbildung der Mitarbeiter, von denen die wenigsten Erfahrung in der Hotellerie mitbringen. „Das war das Besondere bei der Auswahl der Mitarbeiter: Wir wussten, wir arbeiten mit Menschen, die keine Jobkenntnisse haben und mussten uns überlegen: Wie gestalten wir hier ein Bewerbungsverfahren?“, sagt de Vos. Man einigte sich darauf, dass Rezeptionisten Deutsch und Englisch sprechen und schreiben können sollen. Auch ein Service-Mitarbeiter soll beide Sprachen sprechen, ein Mitarbeiter im Housekeeping kommunikationsfähig sein. In einem Haus, in dem 26 Menschen aus 16 Ländern 27 Sprachen sprechen und täglich unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten aufeinandertreffen, ist das Zusammenleben und -arbeiten nicht unkompliziert. Für die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Fachkräften sorgt deshalb ein Job-Coach.

Das Angebot wächst mit der Weiterbildung der Mitarbeiter.

Das Projekt Magdas ist ein Social Business.

Das Hotel Magdas ist ein Ort der Begegnung. Schon während der neunmonatigen Umbauphase waren Freiwillige und Flüchtlinge involviert, Studenten der Akademie der Bildenden Künste gestalteten mit, Unterstützer brachten Sachspenden wie etwa Möbel oder Bücher für die Lounge-Bibliothek. Das Projekt Magdas ist ein Social Business, das sich durch den eigenen wirtschaftlichen Erfolg tragen soll, anstatt durch öffentliche Förderungen. 1,5 Millionen Euro kostete der Bau, der durch einen Kredit der Caritas vorfinanziert wurde, 60.000 Euro sammelte man via Crowdfunding. Um die Kosten gering zu halten, wurde auf Einrichtungsgegenstände aus Hotelauflösungen und Mobiliar aus Caritas-Beständen zurückgegriffen, Möbel wurden im Upcycling-Prozess restauriert. So dienen den Gästen heute etwa übereinandergestapelte, alte Koffer oder halbierte Stühle als Nachttische.

Die meisten der Hotelzimmer sind Standard-Zimmer mit einem Preis ab 70 Euro pro Nacht. Freien Blick auf das Wiener Riesenrad gibt es meist gratis dazu. Daneben übernachtet man in Familienzimmern, Apartments für Langzeitaufenthalte oder in der Rooftop-Suite. Für alle Zimmer gilt: Keines gleicht dem anderen. Dafür sorgt gerade auch eine Gruppe Freiwilliger aus der Nachbarschaft, die sich zweimal wöchentlich im Magdas trifft. Sie strickt oder häkelt Lampenschirme für die Hotelräume. „Wo andere Hotels sagen: Hier machen wir zu, ab hier bestimmen wir, lassen wir die Leute rein“, erklärt de Vos. Das gilt auch für den Garten, um den sich Flüchtlinge und Freiwillige gemeinsam kümmern.

In den 78 Zimmern des Magdas wohnen nicht nur Touristen. Tür an Tür mit den Hotelgästen sind 25 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in einer WG untergebracht. „Da läuft dann vielleicht jemand aus Afrika vorbei, der wenig Deutsch kann, oder jemand aus Afghanistan in seinen Shorts, der eben hier wohnt“, erklärt de Vos. Im Herbst erhalten vier bis sechs dieser Jugendlichen einen Ausbildungsplatz im Magdas.

„Wo andere Hotels sagen: Hier machen wir zu, ab hier bestimmen wir, lassen wir die Leute rein.”

Sebastiaan de Vos, Hotelmanager
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„Wir haben ein tolles Haus, schöne Zimmer und eine tolle Lage.“

Sebastiaan de Vos, Hotelmanager

Die erste Buchung für einen Aufenthalt im Magdas kam aus Israel. Zwei Wochen nach der Eröffnung am 15. Februar reisten die Gäste an und wunderten sich, dass der Check-In zwanzig Minuten dauerte. Am zweiten Tag war ihnen klar: Hier ist etwas anders und am vierten und letzten Tag ihres Aufenthaltes machten sie mit den Mitarbeitern ein Selfie und versprachen, wiederzukommen. Mit dieser Geschichte will Hotelmanager de Vos zeigen, dass das Hotelkonzept selbst gar nicht so sehr im Vordergrund steht. Die Gäste werden mehr unbewusst denn bewusst mit dem Thema Flüchtlinge konfrontiert: „Wir haben ein tolles Haus, schöne Zimmer und eine tolle Lage. Ich glaube, dass das Schritt eins ist für einen Gast, der hier eine Unterkunft bucht.“
Für fünf Jahre ist das Projekt Magdas jetzt einmal am Markt. Geht die Rechnung auf, soll es weitergeführt werden. Die Aussicht ist gut, Sebastian de Vos zuversichtlich: Anfang Mai etwa war das Hotel zu hundert Prozent ausgelastet.

Im Foyer des Hotels blicken die Porträts der Mitarbeiter von der Wand. Viele der Gesichter schauen ernst, sie alle haben eine lange Reise hinter sich. Betritt man das Hotel, begegnet man ihnen, erfährt vielleicht etwas von ihrer Reise. Zwei alte Koffer stehen am Boden des Foyers. „Welcome to Vienna“, verkündet ein Schriftzug gegenüber der Fotowand. Maryam und ihre Kollegen sind hier erst einmal angekommen.

Fotos

Paul Kranzler

Video

Thomas Tribus
Irina Ladurner

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