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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 27.08.2015
LebenAussterbende Sprache?

Die Sprachinsel

Veröffentlicht
am 27.08.2015
Die Bewohner eines kleinen Tales im Trentino sprechen einen alten deutschen Dialekt. Doch wie lange noch?
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Willkommen im Fersental!

„Guat kemmen“, grüßt das Schild am Taleingang. Da man gerade noch im Trentiner Städtchen Pergine war, klingen die beiden Worte ungewöhnlich vertraut – und auch wieder nicht. Der Willkommensgruß ist fersentalerisch, an diesem Holzschild beginnt das Fersental. Valle dei Mocheni nennen es die Italiener, Bersntol die Einheimischen. Hier liegt eine der deutschen Sprachinseln in Italien, drei kleine Dörfchen in einem Seitental des Suganertales.

Gemütlich schlängelt sich die Bergstraße hinauf bis Palai en Bersntol (deutsch: Palai im Fersental, italienisch: Palù del Fersina), das zusammen mit Garait (deutsch: Gereut, italienisch: Frassilongo) und Vlarötz (deutsch: Florutz, italienisch: Fierozzo) zu den drei Gemeinden gehört, in denen die Fersentaler leben.


Das Fersental ist ein typisches Bergtal, mit all seinen typischen Problemen. Die Wirtschaft ist schwach, viele Bewohner müssen nach Pergine und Trient pendeln. Tourismus gibt es nur im Juli und August, nur wenige können davon leben. Die meisten Bauern sind zum Nebenerwerb gezwungen. Dafür gibt es kleine, schmucke Weiler mit engen, verwinkelten Gassen; viele alte Häuser und typische Bauernhäuser, mit niedrigen Decken, groben Wänden, Schindeldächern. Wälder und Wiesen, dazwischen aber auch immer wieder die Plastikplanen der Gewächshäuser, in denen Erdbeeren wachsen. Jeder Hof ist angeschrieben: Prigln, Fockn, Zipfel, Òrgen, Stóller.

Insgesamt rund tausend Einwohner zählen die drei Dörfer der „Mocheni“, wie sie von den Italienern genannt werden: anscheinend, weil die Fersentaler so oft das Wort „machen“ verwenden.

Die meisten Bauern sind zum Nebenerwerb gezwungen.


Im Bersntoler Kulturinstitut bemüht man sich um den Erhalt der Sprache.

Es fällt auf, dass neben deutschen Wörtern auch viele italienische anklingen.

In Palai hat das Bersntoler Kulturinstitut seinen Sitz. Hier arbeitet Leo Toller, ein gebürtiger Fersentaler. Er spricht Fersentalerisch als Muttersprache und hat Deutsch in der Schule als Fremdsprache gelernt. In gutem Deutsch erzählt er vom Tal und seinen Bewohnern. Während er erzählt, kommt seine Kollegin ins Büro. Sofort wechselt er ins Fersentalerische und es ist kaum mehr etwas zu verstehen. Ab und zu ein Wort, mal ein Satz, mehr aber nicht. Es fällt auf, dass neben deutschen Wörtern auch viele italienische anklingen.

Leo Toller über den Einfluss des Italienischen.

Bei der Volkszählung 2011 haben sich 1.600 Menschen als Angehörige der Fersentaler Sprachminderheit erklärt. Auch von außerhalb des Fersentales, aus Sympathie, sagt Toller. „Im Tal haben sich fast alle als Fersentaler erklärt und angegeben, die Sprache zu sprechen“, so Toller, „aber das stimmt nicht. Die Sprache beherrschen und nutzen rund 70 Prozent der Einheimischen.“

In Vlarötz gibt es einen Kindergarten und eine Grundschule, in der neben Italienisch auch Deutsch und Fersentalerisch gesprochen wird. Eine Stunde pro Woche aber nur. Einige Fächer werden auf Deutsch unterrichtet. Was bei Kindergarten und Grundschule im Tal funktioniert, wird fast unmöglich, sobald die Kinder die Mittelschule in Pergine besuchen und immer öfter ganz dort bleiben. „Da verlieren sich die Fersentaler dann“, sagt Toller. „Wir müssen schauen, wie man mit dem Sprachunterricht nach der Grundschule weitermachen kann.“

Geografisch ist das Tal vom deutschen Sprachraum getrennt, durch den Wanderhandel gab es aber immer Kontakt nach „außen“. In Südtirol kennt man die „Mocheni“ vor allem wegen der „Kromer“. Weil früher die Höfe unter den männlichen Erben aufgeteilt wurden, konnte man schon bald nicht mehr davon leben. Viele wanderten aus, manche begannen ab dem 18. Jahrhundert einen Wanderhandel. Erst Hinterglasmalerei, später Stoffe und Kurzwaren brachten die Fersentaler kreuz und quer durchs Kaiserreich und machten sie im nahen Südtirol allerorts bekannt. Ein paar „Kromer“ gibt es heute noch, allerdings motorisiert.

„Die Sprache beherrschen und nutzen rund 70 Prozent der Einheimischen.“

Leo Toller
Leo Toller über den Einfluss der italienischen Sprache.

Ist auch nur einer dabei, der kein Fersentalerisch spricht, wechseln alle ins Italienische.

Trotz Hochsaison ist das Dorf recht leer, um die Mittagszeit zeigt sich kaum jemand in Palai. Im Nachbarort Vlarötz sitzen ein paar Männer im Gasthaus, ansonsten treibt die Hitze die Menschen wohl in die Häuser. Oder sie sind auswärts, bei der Arbeit. Im Gasthaus Schönblick wird wild durcheinander parliert: italienisch, fersentalerisch, auch ein wenig deutsch. Je nachdem, wer am Tisch sitzt. Ist auch nur einer dabei, der kein Fersentalerisch spricht, wechseln alle ins Italienische.

Florian Pompermaier, Gaspare Boller und Adriano Pompermaier machen Mittagspause im Gasthaus. Alle drei sind gebürtige Vlarötzer, ihre Muttersprache ist das Fersentalerische. Sie sind Landwirte, die aber vom Hof allein nicht leben können. Sie unterhalten sich wohl über das anstehende Dorffest und das schöne Geschlecht. Ab und zu versteht man ein paar Sätze, aber meist fühlt man sich neben ihnen wie ein Hamburger, der drei Südtirolern zuhört. Es ist die gleiche Sprache, aber Welten entfernt.

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Die Besiedelung des Tales begann Ende des 13. Jahrhunderts, es entstand eine ständige Siedlung von Bauern, die aus Tirol stammten. Aus dieser Zeit kommen die Familiennamen, die im Tal bis heute gebräuchlich sind: Eccel, Laner, Pompermaier, Battisti (vom deutschen „Baptist“), Petri.

Bergbau gab es schon in vorgeschichtlicher Zeit, es gibt Funde von Kupferschmelzöfen am Redebuspass aus dem 13. Jahrhundert vor Christus. Ab dem 15. Jahrhundert wurde dann wieder Kupfer abgebaut, dazu kamen Knappen aus deutschen Landen, aus Schwaz und Böhmen. Die Hochphase dauerte zwar nur kurz, die Knappen, die Fluorit abbauten, konnten sich im Tal aber bis in die 1970er-Jahre halten.

Im ersten Weltkrieg verlief die Front am Südkamm des Tales. Nie eine wichtige Front, aber man hatte Angst, die Italiener könnten über diesen Umweg Trient angreifen. Robert Musil, der berühmte österreichische Schriftsteller, war als Soldat im Tal stationiert und siedelte seine Novelle „Grigia“ hier an.

Während des Faschismus wurde die deutsche Schule, die es seit 1868 gab, geschlossen. Und obwohl die Option nur für Südtiroler galt, wurden 1942 über 500 Fersentaler ausgesiedelt, nach Hallein bei Salzburg, nach Schlesien und Böhmen. Im Mai 1945 dann die Flucht vor den Russen, die unorganisierte Heimkehr ins Tal, meist zu Fuß, und der erste harte Winter.

Obwohl die Option nur für Südtiroler galt, wurden 1942 über 500 Fersentaler ausgesiedelt.


Seit Ender der 1980er-Jahre stehen die Sprachinseln im Trentino unter Schutz. Damals setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Bersntolerische zwar zum deutschen Sprachraum gehört, aber eben nicht Deutsch ist, kein Bairisch und auch kein Dialekt. Sondern eine eigene Sprache. Entstanden aus verschiedenen Mundarten, die mit ihren Sprechern ins Tal kamen und sich weiterentwickelten zu dem, was die Fersentaler selbst oft nur „taitsch“ nennen. Heute haben die Fersentaler ein eigenes Wörterbuch und eine Grammatik.

Museum, Schule und Kulturinstitut kämpfen um das Stück Heimat. Das Museum hat mehrere Standorte im Tal, man kann alte Höfe besuchen oder die Schützengräben aus dem Großen Krieg, eine Mühle oder das alte Bergwerk. Jene, die volljährig werden, feiern ihre „coscrizione“. Es gibt eine alte Fasnacht am „Leschtn“, für das Dorf, nicht für die Touristen, wie Toller betont, und eine Wochenschau auf Fersentalerisch im Fernsehen.

Leo Toller sagt, es gebe eine Rückbesinnung auf das Fersentalerische, die Leute seien sich bewusst, dass die Sprache stirbt, wenn man sie nicht spricht und pflegt. Andererseits werde sie nur in den kleinen Orten viel gesprochen, im größeren Vlarötz (knapp 500 Einwohner, in Palai und Garait leben 200 beziehungsweise 300 Menschen) höre man selten bersntolerisch. Aber noch ist Toller zuversichtlich: „Anfang des 20. Jahrhunderts hieß es, in einer Generation sei die Sprache verschwunden. Aber noch sind wir da.“

Museum, Schule und Kulturinstitut kämpfen um das Stück Heimat.

    Anfang des 20. Jahrhunderts hieß es, in einer Generation sei die Sprache verschwunden. Aber noch sind wir da.    

    Willkommen im Fersental. Wir wünschen euch, dass ihr euch wohlfühlt und ein bisschen bereichert fort geht!    

      BARFUSS ist das Leben schöner.      

Fotos und Video

Udo Giacomozzi

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