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Oliver Kainz
Veröffentlicht
am 28.09.2016
LebenReportage aus Kolumbien

Den Terror besiegen

Veröffentlicht
am 28.09.2016
Mit einem Friedensvertrag mit der Terrororganisation FARC beendet Kolumbien den Bürgerkrieg. Hat der Frieden tatsächlich eine Chance?
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Simon Bolivar

Krieg oder Frieden – das ist nach wie vor die wichtigste Frage in der Politik. Mehr als 50 Jahre bekämpften sich in Kolumbien Regierung, rechte Paramilitärs und die marxistische Guerilla-Gruppe Fuerza Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC). Inspiriert von der kubanischen Revolution stritt die FARC für ein gerechteres System. Dabei schreckte die Terrororganisation auch nicht vor Bombenanschlägen, Entführungen oder Drogengeschäften zurück. Regierung und rechte Paramilitärs schlugen daraufhin mit aller Härte zurück. Die traurige Bilanz: 220.000 Tote und sieben Millionen Vertriebene. Nun steht die dauerhafte Aussöhnung zwischen den verschiedenen Parteien bevor. Die Regierung hatte in langwierigen Verhandlungen einen Friedensvertrag errungen. Am 2. Oktober stimmen die Kolumbianer in einem Referendum darüber ab. Wie ist die Stimmung im Land? Hat der Frieden tatsächlich eine Chance?

Bogota. Die Hauptstadt Kolumbiens pulsiert. Motorräder und Taxis hetzen durch die engen Gassen, Touristen mit Riesenrucksäcken stapfen in ihre Unterkünfte, Polizisten patrouillieren mit Kampfhunden, Händler preisen ihre Waren an. Das Herz der Stadt schlägt rund um die Placa de Bolivar. Dort befindet sich auch der Justizpalast. Dieser wurde 1985 von linken Guerillas gestürmt. Sie nahmen über 300 Personen als Geiseln, darunter auch etliche Verfassungsrichter. Die Armee stürmte das Gebäude und richtete ein Blutbad an. Kolumbiens Geschichte ist voll von solchen grausamen Ereignissen. Heute erinnert nichts mehr an diese schreckliche Tragödie. Im Gegenteil: Touristen flanieren fröhlich über den Platz und machen Selfies mit Tauben auf ihrem Kopf. Inmitten des Gewusels treffe ich Jonathan. Der 20-jährige Student sieht das Abkommen zwischen FARC und Regierung mit gemischten Gefühlen. „Ich bin nicht glücklich darüber, dass die FARC jetzt Teil des politischen Systems wird.” Die Guerillas müssen für ihre Verbrechen auch nicht ins Gefängnis. Dies ist Teil des Friedensabkommens. Dennoch wird Jonathan beim Referendum für die Übereinkunft stimmen. „Das Abkommen ist ein Riesenschritt für uns. Wir müssen nach vorne schauen.”

Euphorisch ist der Student nicht. Eher vorsichtig optimistisch. Denn kleinere Guerilla-Gruppen wie der Ejercito de Liberation Nacional (ELN), haben ihre Waffen noch nicht niedergelegt.

„Das Abkommen ist ein Riesenschritt für uns. Wir müssen nach vorne schauen.”

Jonathan, Student in Kolumbien

Als Beobachter drängt sich vor allem eine Frage auf. Wie konnte es zum Abschluss des Friedensabkommens kommen? Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • Verhandeln statt Blutvergießen. Der erste Schritt zum Frieden: Die FARC legt einen Waffenstillstand ein. Die Kontrahenten begegnen sich am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld.
  • Aussöhnung statt Vergeltung. Viele FARC-Terroristen werden für ihre Verbrechen keine Gefängnisstrafen absitzen. Für die Angehörigen der Opfer ist das eine Ungeheuerlichkeit. Doch was wiegt mehr: Gerechtigkeit oder der lang ersehnte Frieden? Außerdem erhalten Opfer eine finanzielle Entschädigung und vertriebene Bauern sollen ihr Land zurück bekommen.
  • Eingliederung der FARC in das Parteiensystem. Die Guerillas wollen als Partei friedlich Einfluss auf das politische System nehmen. Zudem zieht die FARC ins kolumbianische Parlament ein – Präsident Juan Manuel Santos hat der Organisation bereits zehn Parlamentssitze zugesichert.
  • Die Zahl der FARC-Kämpfer ist von 18.000 auf 7.000 gesunken. Hierfür gibt es zwei Gründe: Das harte militärische Vorgehen der Vorgängerregierung und Aussteigerprogramme, die den Guerillas die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen. Die Regierung stellt Ex-Kämpfern Geld, Kleidung und Jobs bereit.
  • Gemeinsame Reformversuche. Sowohl die FARC als auch die Regierung wollen mit einer Landreform die Armut der Bauern bekämpfen und das Drogenproblem in den Griff bekommen.

Medellin: Kolumbianischer Frühling

Nirgendwo wird der zaghafte Aufschwung Kolumbiens so deutlich wie in Medellin. Die Bürger haben sich die öffentlichen Räume zurückerobert. Wo früher Bomben Menschenleben ausradierten, befinden sich jetzt Museen, Cafés oder Nachtclubs. Die Stimmung ist besonders am Wochenende ausgelassen. Dann wird Medellin seinem Ruf als Party-Hotspot gerecht. Nachtschwärmer trinken Bier, Tequila und Aguardiente und tanzen bis zum Morgengrauen zu heißen Salsa-Rhythmen. Wer von Latino-Musik genug hat, ravt in angesagten Techno-Clubs bis der Schweiß von der Decke tropft. Die Sicherheitslage hat sich im Land erheblich verbessert. Dies sorgt für steigende Besucherzahlen. Als Tourist wird einem in Medellin nicht langweilig: Abenteuerlustige vergnügen sich beim Paintball-Spielen in der Villa des ehemaligen Drogenbarons Pablo Escobar. Outdoor-Fans kommen beim Canyoning, Klettern oder Paragliden voll auf ihre Kosten. 

Medellin bietet die perfekte Kulisse fürs Paragliden.

In Medellin treffe ich den Touristenführer Hernan. Der 42-Jährige ist exzellent über die gegenwärtige politische Lage informiert. Er sagt: „Idealerweise müssten FARC-Kämpfer ins Gefängnis gehen. Aber wenn wir wollen, dass die FARC auf Gewalt verzichtet, müssen wir sie ins politische System integrieren.“ Er glaubt, dass die Regierung ein gutes Abkommen ausgehandelt hat. „Kolumbien kann zu einem besseren Ort werden.” Auch weil die FARC, Hauptproduzentin für Kokain, ihre Drogengeschäfte aufgeben will.

Nun fiebert das ganze Land auf das Referendum am 2. Oktober hin. Der Ausgang ist mehr als ungewiss. Viele namhafte Politiker wie der Ex-Präsident Alvaro Uribe plädieren für ein Nein. Ihnen ist vor allem die Straffreiheit für FARC-Kämpfer und deren Einzug ins Parlament ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass das Land dadurch in die Hand von Verbrechern fällt.

Doch welche Argumente werden sich durchsetzen? Wie werden die Kolumbianer abstimmen? Umfragen kann man in diesen Tagen kaum trauen. Hernan erklärt mir warum: „Die Befürworter des Abkommens befragen vor allem die Landbevölkerung.” Dort sind die Menschen stärker vom Konflikt betroffen und sehnen den Frieden stärker herbei – das heißt sie stimmen beim Referendum eher mit Ja. Die Gegner drehen den Spieß um und führen ihre Umfragen vorwiegend in den Städten durch. Dort sehen viele Menschen den Friedensvertrag skeptisch. Die Umfragen bilden also keinen repräsentativen Schnitt ab. „Das heißt, es gibt keine Zahlen, denen man trauen kann.”

„Kolumbien kann dank des Abkommens zu einem besseren Ort werden.”

Hernan, Touristenführer in Kolumbien
Hernan erklärt, warum die Umfragen zum Referendum verzerrt sind.

Währenddessen schweift unser Blick über Medellin. 

Auch wenn die Referendumsschlacht noch nicht geschlagen ist, lässt sich von Kolumbien einiges lernen: Terror kann allein mit militärischen Mitteln kaum besiegt werden. Vielmehr gilt es, die extremistischen Ideologien zu entwaffnen. Das klappt mit Bildungs- und Ausssteigerprogrammen für Terroristen, die sich wieder in die Gesellschaft integrieren wollen. Und: Beide Seiten müssen zu Verhandlungen und mitunter schmerzhaften Kompromissen bereit sein. Dann ist dauerhafter Frieden möglich.

Fotos
Oliver Kainz, Pixabay

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