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Unsere Vorfahren haben dem Herz-Jesu die Treue geschworen, heute schwören wir auf Yoga im Schlafzimmer und Feng Shui in der Bauernstube. Balthasar Schrott, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Diözese Bozen-Brixen, erklärt, wie sich Religion und Glaube verändert haben und wie ein Zusammenleben der Religionen in Südtirol funktionieren kann.
Wie gläubig sind die Südtiroler?
Der Südtiroler ist im Großen und Ganzen religiös. Wie sich aber seine Gläubigkeit outet, das ist sehr unterschiedlich. Wir haben in letzter Zeit in Südtirol, abgesehen von den Einflüssen der Zuwanderer und ihren religiösen Erfahrungen, eine breitere Mischung. Man kann vermehrt beobachten, dass das Christentum nicht mehr die (absolute) Monopolstellung hat. Viele Menschen schneidern sich ihre eigene Religiosität zurecht. Man spricht von einer Patchwork-Religion, bei der Elemente der christlichen Tradition, der fernöstlichen Traditionen und – vor allem in letzter Zeit – aus dem Bereich der Esoterik verwendet werden. Dabei hat sich eine neue Denkform entwickelt, bei der das Alte nicht einfach verloren gegangen ist, sondern mit neuen Sichtweisen der Esoterik aufgefüllt wurde. Dadurch haben wir in Südtirol ein buntes Spektrum. Die betroffenen Institutionen, die katholische oder evangelische Kirche, merken natürlich, dass zahlenmäßig ein gewisser Rückgang passiert. Dass die Kirchenbänke leerer werden ist eine Tatsache, mit der man sich auseinandersetzen muss. Die Kirche hält nicht umsonst gerade eine Synode ab.
Was ist Esoterik?
Esoterik auf einen Begriff zu bringen, ist äußerst schwierig. Die Esoterik in ihrem Grundansatz meint eigentlich, dass der Mensch eingebettet ist in ein Weltgeschehen, umgeben von kosmischen Kräften oder Energien. Die Esoterik fasst vor allem als praxisbezogene Lebenshilfe Fuß. Es geht ihr dabei um die gesamtmenschliche Gesundheit. Körperliche Beschwerden haben oft einen psychischen Ursprung. Das Anliegen der esoterischen Linien ist eine verstärkte Harmonisierung von Geist und Körper. Das Bedürfnis danach ist da, die Veranstaltungen boomen. Die Leute wollen Sinnfindungen und Lebenshilfen.
Was ist der Unterschied zwischen Religion und Sekte?
Eine Sekte ist eine mehr oder weniger straff organisierte Gruppierung, die glaubt, sie müsse den Leuten ihre Wahrheit beibringen und sie damit festnageln. Man muss sich überlegen, wie eine Sekte entsteht: Sie löst sich von einer religiösen Tradition ab und versucht, ihre Position zu verabsolutieren. Irgendwie ist das Christentum auch als Sekte entstanden, da es sich von der jüdischen Tradition abspaltete. Natürlich kommt beim Christentum dazu, dass es das Alte Testament in sein Glaubensgut mit hinein nahm. Deshalb spricht man eher von einer neuen Weiterführung der ursprünglichen, biblischen Tradition.
Was zeichnet die moderne Sekte aus?
Die heutigen, klassischen Sekten sind, beispielsweise im Gegensatz zum Juden- und Christentum, nicht an einer Kommunikation interessiert. Nehmen wir zum Beispiel die Zeugen Jehovas: Alles, was von ihrer Lehre abweicht, ist ihrer Meinung nach schlecht. Dieser Dualismus: Die Welt ist des Teufels und nur wer in der Gemeinschaft der Königsherrschaft Jehovas ist, wird gerettet, alle anderen werden zugrunde gehen – das ist doch kein Ziel einer Religion!
Widersprechen sich Religion und Wissenschaft?
Jein. Natürlich darf ich nicht die Wissenschaft zum Glaubensbekenntnis machen und umgekehrt. Es gibt ja beispielsweise den Kreationismus. Dessen Anhänger glauben, dass die Evolutionstheorie falsch ist und die Erde so entstanden ist, wie es die Bibel erzählt. Dabei war es sicherlich nicht Absicht der Bibel, Naturwissenschaft zu betreiben. Ein Wissenschaftler kann aber auch nicht sagen: Es gibt Gott nicht, weil ich ihn nicht finde. Das ist einfach ein ganz anderes Level. Besser, wir lassen den Glaube an Gott einfach mal im Raum stehen und beteiligen uns an der Suche nach der Interpretation des Weltgeschehens und der Wirklichkeit, anstatt einander zu bekämpfen. Wir sind schließlich alle auf der Suche nach einer brauchbaren Deutung unserer Wirklichkeit. Wenn man versucht, die Anliegen beider Seiten – der vielen Denker in diesem pluralistischen System – ernst zu nehmen, dann braucht man sich nicht gegenseitig zu beschießen.
Gehört das Missionieren noch zur Aufgabe des Christentums?
Ich würde von der traditionellen Vorstellung der Mission ein bisschen absehen. Die Einstellung „mir ist das alles wurst, soll ein jeder tun, wie er will“ wäre aber das Gegenteil von Missionieren. Missionieren bedeutet, dass ich das, was mich überzeugt, was mir Halt, Sinn, Lebensfreude und Lebensinhalt gibt, weitersage und den Menschen eventuell bei seiner Suche begleite. Das wäre es. Da ist der Begriff Mission sehr weit gegriffen und hat natürlich auch ein bisschen mit seinem klassischen Sinn zu tun. Der Mensch hat das Recht auf seine Tradition, aber wenn er sich in seiner Tradition nicht mehr zurechtfindet, wenn es ihm schlecht geht, dann muss ich von meiner Überzeugung, von meinem religiösen Background her versuchen, ihm zu helfen.
Wie kann Religionsunterricht mit Andersgläubigen aussehen?
Gerade in der Grundschule, wo die Klasse wie eine kleine Familie ist und andersgläubige Kinder zwar meist vom Religionsunterricht freigestellt sind, aber gerade deswegen aus der Klassengemeinschaft ausgespart sind, ist das Thema aktuell. Ich sage immer, man soll die Chance des gegenseitigen Lernens nützen. Man kann die Kinder dazu ermutigen, über ihre eigenen Erfahrungen und Traditionen zu berichten. Ich bin der Ansicht, dass dieser interreligiöse Zug gestärkt werden sollte. Dabei muss im Religionsunterricht nicht unbedingt nur Katholizismus im eigentlichen Sinne unterrichtet werden. Stattdessen sollte man versuchen, Religionen verständlich zu machen.
Sie haben ja selbst als Religionslehrer gearbeitet …
Richtig. Meine Erfahrung als Religionslehrer ist die, dass es Schüler sehr wohl um die Religion und deren Anliegen geht. Ein Religionsunterricht mit spielerischem Kennenlernen der unterschiedlichen Religionen ist ein guter Weg, andersgläubige Kinder zu integrieren. Da lernen Kinder, offen zu sein und über Religion und ihre Sinnhaftigkeit zu reden und vor allem auch Aggressionen und unterschwellige Ängste gegenüber Ausländern abzubauen.
Was halten Sie von Moscheen in Südtirol?
Die Kultur der Moscheen ist bei uns eigentlich erst noch im Kommen. Ich glaube, das ist noch kein Thema, da unter den Zugewanderten noch zu wenig Konsens herrscht und zum Beispiel die Pakistaner von der kulturellen Herkunft her vielfach wenig mit den Senegalesen gemeinsam haben, außer einigen Grundelementen des Islam. Sie sind noch viel zu zersplittert und zerstreut. Heute genügen deshalb noch kleine örtliche Gebetsräume, die ihnen vorbehalten sind. Natürlich sollen diese nicht nur eine Garage sein, es muss schon die richtige Atmosphäre aufkommen können. Dieses Recht haben sie.
Wenn Sie nicht Christ wären, wären Sie …?
Das ist eine gute Frage. Ich muss sagen, wenn ich in Dritte-Welt-Länder reise, fasziniert mich immer die ursprüngliche Tradition der Religionen. Zuletzt war ich im Norden Kameruns und da haben wir einen Dorfkönig gefragt, woran er glaubt. Er sagte, er glaube an ein höchstes Wesen, so wie wir an Gott, aber auch daran, dass Gott in den Mächten und Kräften der Natur sichtbar ist. Für ihn ist Religion sehr konkret. Er muss schauen, wie er mit und in diesen Kräften lebt, das ist für ihn lebensnotwendig. Ich persönlich habe eher eine Neigung zu buddhistischem Denken und bin selber dabei, den Buddhismus irgendwie mit dem Christentum zu verbinden. Es gibt übrigens auch bei uns christliche Zentren, wo Zen Buddhismus gepflegt wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: Bathasar Schrott/Diözese Bozen-Brixen
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