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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 04.04.2022
LebenDoku beim Bolzano Film Festival Bozen

Wo Geflüchtete um ihr Leben spielen

Veröffentlicht
am 04.04.2022
In ihrer Doku „The Game“ begleitet Manuela Federl Geflüchtete beim illegalen Grenzübergang von Bosnien in die EU. Sie nennen es Spiel – doch es geht um Leben und Tod.
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„The Game – Spiel zwischen Leben und Tod“ von Manuela Federl wird beim diesjährigen Bolzano Film Festival (05-10.04.2022) gezeigt und ist im Wettbewerb um den besten Dokumentarfilm nominiert.

Der Titel deines Dokumentarfilms „The Game“ klingt erstmal harmlos. Du zeigst darin Geflüchtete auf der Balkanroute.
Manuela Federl: Der Titel ist viel kritisiert worden, weil er sehr zynisch klingt. Aber wenn man sich in Bosnien mit Flüchtlingen unterhält, dann geht es immer zuerst um diesen illegalen Gang über die Grenze. Und das nennen die Flüchtlinge „The Game“. Dieses Wort habe nicht ich mir überlegt.

Die Geflüchteten versuchen dabei über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu kommen. Was macht „The Game“ zu einem Spiel zwischen Leben und Tod?
Verschiedene Dinge. Wenn junge Männer in Kroatien erwischt werden, werden sie von der Polizei eingefangen und irgendwo an der Grenze in Bosnien wieder ausgesetzt. Dort warten schwarz gekleidete Männer auf sie, die ihnen alles abnehmen und sie oft verprügeln und demütigen. Von diesen sogenannten „Push-Backs“ und der Gewalt hört man immer wieder. Außerdem haben Flüchtlinge oft kein Handy und und orientieren sich am Flusslauf. Dabei passiert es leider immer wieder, dass einer ertrinkt, weil er nicht schwimmen kann.

Und was ist mit Familien?
Bei Familien ist es etwas anders, weil Kinder oft nicht so weit laufen können. Sie gehen also meist nur bis zum nächsten Grenzposten und fragen dort direkt, ob sie Asyl erhalten. Auch da passiert es, dass der Vater geschlagen wird, aber bei weitem nicht so brutal. Dennoch ist es traumatisch für die Kinder, das mit anzusehen.

Ein junger Mann auf dem Rückweg vom Game. Er hat es nicht über die Grenze geschafft. Die Helfenden versorgen ihn mit Wasser.

Sind diese Pushbacks legal?
Nein, natürlich ist das verboten. Den Flüchtlingen wird auch alles weggenommen – ihre Schuhe, ihre Rucksäcke, ihre Handys und ihr Geld. Das ist wie ein Kreislauf: Die Flüchtlinge gehen zum Game, werden erwischt, ihnen wird alles weggenommen und dann sitzen sie wieder in Bosnien am gleichen Punkt. Diese Brutalität ist schon gewollt. Es soll die Menschen abschrecken. Weil Politiker Angst haben, dass, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen, die Wählerschaft noch mehr nach rechts rückt. Das passiert ja eh schon.

Die Abschreckung scheint aber nicht wirklich zu funktionieren. Im Film markierst du – so wie in einem Computerspiel die virtuellen Leben – die Anzahl der Game-Versuche jedes Geflüchteten. Manche haben es dreißigmal und mehr versucht. Warum entscheiden sich die Menschen immer wieder für so einen riskanten Grenzübergang?
Wenn es eine andere Mögliche gäbe oder sie zuhause die leiseste Chance auf ein gutes Leben hätten, würden sie sicherlich nicht diesen Weg wählen.

Gibt es überhaupt Erfolgssaussichten für „The Game“?
Ja, gibt es. Alle Familien, die in unserem Film vorkommen, haben es mittlerweile über die Grenze geschafft. Du kannst dich vielleicht an den pakistanischen Rapper erinnern, der in diesem schrecklichen Flüchtlingslager mitten im Winter singt – der ist mittlerweile in Italien.

Und der 16-jährige Afghane mit dem sonnigen Gemüt, der Schauspieler werden will?
Alle fragen mich immer nach ihm. Ja, Vahid hat es auch geschafft und sitzt mittlerweile mit seiner Familie in Bremen. Er geht zur Schule und hat uns sogar sein erstes Zeugnis geschickt.

Zwischen den Games schlafen die schutzsuchenden Menschen im Wald oder in verlassenen Ruinen, haben oft kaum zu essen oder zu trinken. Ein junger Mann sagt, er erzähle seinen Eltern nicht, wie er hier lebe, weil es ihnen das Herz brechen würde. Warum ist die Lage an der bosnischen Grenze so prekär, im Vergleich zu anderen Flüchtlingsrouten?
Bosnien ist selbst ein armes Land, es herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Am Anfang war die Hilfsbereitschaft schon groß, es fahren immer wieder Bosnier zu den Flüchtlingslagern und bringen Essen oder Kleider mit. Doch es kommen einfach zu viele Flüchtlinge, die dann auf der Straße leben. Und die Bosnier wissen: Es gäbe eigentlich viel Geld von der EU, aber es ändert sich nichts.

Deshalb protestieren lokale Bewohnerinnen und Bewohner auch, wie du in deinem Film zeigst.
Genau. Die internationale Organisation für Migration (IOM) hat etwa 85 Millionen Euro von der EU bekommen. Ich habe mit EU-Politikern gesprochen, und die meinten, sie hätten selbst das Gefühl, sobald sie das Geld abgeben, geben sie auch die Verantwortung ab und keiner kümmert sich mehr darum.

Die schutzsuchenden Menschen an der bosnischen Grenze schlafen bei eisigen Temperaturen im Wald oder in verlassenen Ruinen.

In deinem Film achtest du auf Ausgewogenheit, indem du nicht nur mit den Geflüchteten und den Helfenden sprichst, sondern auch mit der Lokalbevölkerung und mit Menschenschmugglern. Welchen Eindruck haben die Schmuggler bei dir hinterlassen?
Das sind zwei intelligente junge Burschen – sie sprechen deutsch und englisch –, die aber keinen Job finden. Sie machen das also auch aus Verzweiflung. Einer hat ein kleines Kind zuhause und muss seine Familie ernähren. Sie sehen das aber auch nicht als Verbrechen. Sie haben das Gefühl, sie tun etwas Gutes und haben danach auch oft noch Kontakt zu den Geflüchteten, die sie über die Grenze gebracht haben.

Der Film vermittelt trotz des schweren Themas Hoffnung. Du zeigst nicht nur das Elend, sondern auch freudige Momente der Flüchtenden, sowie ihre Träume.
Wir haben die Flüchtlinge portraitiert, wie sie in dem Moment waren. Sie können ja nicht immer traurig sein auf ihrer Flucht, sondern singen und tanzen auch mal zusammen.

Manuela Federl

Auch portraitierst du die Helfenden vor Ort, wie Zlatan, den Leiter der freiwilligen Notfallversorgung SOS Bihac; oder den deutschen Arzt Gerhard, der Flüchtende behandelt. Freiwillige machen das alles, obwohl es gesetzlich verboten ist.
Mir war wichtig, dass die Menschen nach dem Film nicht das Gefühl haben, ohnmächtig zu sein. Ich und mein Partner haben ja auch von alleine einiges auf die Beine gestellt. Und das sollte die Message sein: Dass jeder etwas machen kann, wenn er möchte.

Warum liegt dir besonders die Balkanroute am Herzen?
Unsere Idee war ursprünglich, einen Kurzfilm über unseren Hilfstransport zu drehen, um den Menschen, die für den Verein gespendet hatten, zu zeigen, was mit ihren Sachen passiert. Da waren wir zuerst drei Tage mit SOS Bihac unterwegs und haben Pushbacks gefilmt. Als uns die freiwillige Helferin Zehida zu den Kindern geführt hat, haben wir gesehen, wie viele Familien unterwegs sind und in welchen Zuständen die leben. Manche Kinder sind so klein, die haben in ihrem Leben noch nie etwas anderes als Flucht gesehen. Da haben wir verstanden, dass wir in diese Region zurückkommen müssen, denn hier wird Hilfe gebraucht.

Der Verein Lautlos E.V. wurde von Manuela Federl und ihrem Partner 2020 gegründet. Mit den Spendengeldern kaufen sie Schlafsäcke, Essen und Kleider und fahren damit selbst an die bosnische Grenze, um die Hilfsgüter an Flüchtlinge zu verteilen. Spenden kann man hier.

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