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Auf einem Einrad biegt Nadia Perkmann auf die Zielgerade des Cross-Country-Rennens über 17 km bei der WM in Grenoble ein. Im Ziel jubeln Zuschauerinnen und Zuschauer der Naturnserin zu – darunter auch ihre Schwester Anna-Maria, die rund 40 Sekunden vor ihr als Erste die Ziellinie überschritten hat. Völlig erschöpft erreicht Nadia Perkmann das Ziel und lässt sich auf den Boden fallen. Ihre Schwester kommt angerannt und umarmt sie. Beim Siegerinneninterview berichtet die frisch gebackene Weltmeisterin Anna-Maria: „Es war sehr schwierig, sehr lang und anstrengend.“ Dann muss sie erst mal durchatmen.
Das Cross-Country-Rennen fand am dritten Tag der WM, des sogenannten unicon20 (von „Unicycle Convention“, zu Deutsch „Einrad-Versammlung“) in der französischen Alpenstadt Grenoble vom 26. Juli bis zum 6. August 2022 statt. Dabei traten rund 1.500 Teilnehmenden in unterschiedlichen Disziplinen an: Neben den Bergdisziplinen Down- und Uphill, Cross Country sowie Cyclocross, die „Muni-Disziplinen“ genannt werden, gibt es Freestylebewerbe in der Halle, Straßen- oder Bahnbewerbe. Beim Trial müssen die Teilnehmenden einen Parcour mit Hindernissen überwinden, es gibt aber auch Mannschaftsportarten wie Basketball oder Hockey.
Die Südtiroler Einradfahrerinnen und Einradfahrer aus Naturns, Villanders, Latzfons und Lajen waren sehr erfolgreich und konnten Medaillen in der allgemeinen Klasse und in den jeweiligen Alterskategorien gewinnen. Die 22-jährige Naturnserin Anna-Maria Perkmann wurde bereits 2016 Vizeweltmeisterin im Cross Country und Weltmeisterin im Cyclocross, diesmal holte sie zwei Mal Gold. Ihre Vereinskollegin Leonie Mengon (18) kehrte von ihrer ersten WM mit zwei Bronzemedaillen in der allgemeinen Klasse nach Hause zurück.
BARFUSS trifft die beiden im Vorfeld eines offiziellen Empfangs der Gemeinde auf dem Rathausplatz von Naturns. Während des Interviews sind die Vorbereitungen für die Feier noch im Gange, Banner und Tische werden aufgestellt. Es ist brütend heiß und wir suchen uns ein schattiges Plätzchen.
Ihr kommt gerade von der Weltmeisterschaft in Grenoble zurück. Was sind eure Eindrücke?
Anna-Maria Perkmann: Es waren zwei anstrengende Wochen, aber sehr erfolgreiche. Und sie haben Spaß gemacht. Das gehört beim Einradfahren dazu. Leistung ist das, was nebenbei geht.
Leonie Mengon: Für mich war es das erste große Event, es war also alles ganz neu. Es war sehr schön und auch anstrengend, jeden Tag früh aufzustehen und zum nächsten Wettkampf zu fahren. Aber schlussendlich hat es sich gelohnt.
Wie sah euer Alltag während der WM aus?
AP: Aufgestanden sind wir meistens zwischen halb sechs und sechs. Die Wettbewerbe begannen um acht Uhr, aber wir hatten nicht jeden Tag welche. Am Nachmittag haben wir den anderen bei ihren Disziplinen zugeschaut. Am Abend sind wir früh schlafen gegangen, um am nächsten Tag wieder fit zu sein.
Wie war die Atmosphäre mit so vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern?
AP: Man tauscht sich viel aus. Einige kommen aus Deutschland, aber die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer von überall auf der Welt. Man konnte seine Englisch-Kenntnisse wieder auspacken.
LM: Es war schön zu sehen, dass nicht alle Länder an der gleichen Disziplin teilnahmen.
AP: Nicht jeder hat Berge, dann kann man das auch nicht so gut trainieren.
Die Weltmeisterschaft wurde aufgrund der Corona-Pandemie zwei Jahre später ausgetragen. Wie seid ihr mit diesem Rückschlag umgegangen?
AP: Wir hatten mehr Zeit zum Trainieren. (lacht) Es war sicher nicht ideal, aber da kann man nichts machen. Es ist besser, dass sie abgesagt wurde, als dass sich die gesamte Situation verschlimmert hätte. Für uns Sportlerinnen und Sportler ist es nur schade, da wir viel verpassen.
Und wie ist es euch ergangen? Seid ihr zufrieden mit eurer Leistung?
AP: Nicht jedes Rennen war perfekt, aber mit den meisten, an denen ich teilgenommen habe, bin ich sehr zufrieden. Ich bin in allen Muni-Disziplinen angetreten, das heißt Einradfahren am Berg und in den Bahndisziplinen. Am meisten freue ich mich natürlich über die zwei Weltmeistertitel. Überrascht haben mich aber auch die Ergebnisse über die 400- und 800-Meter auf der Bahn, da habe ich jeweils Bronze in der allgemeinen Klasse gewonnen. Das Cross-Country-Rennen war aber wirklich zach.
LM: Ich habe auch an den Berg-Disziplinen teilgenommen und war vor allem mit dem Ausgang des Downhill- und Cyclocross-Rennens zufrieden. Außerdem war es das erste Mal, dass ich an einem Bahn-Wettkampf teilgenommen habe.
Das harte Training hat sich ausgezahlt: Anna-Maria Perkmann gewann Gold in den Disziplinen Cross Country und Cyclocross, ihre ältere Schwester Nadia klassierte sich jeweils dahinter auf den zweiten Platz. Leonie Mengon schaffte es beim Downhill und Cyclocross als Dritte aufs Podium der allgemeinen Klasse.
Trotzdem klappte nicht alles einwandfrei, vor allem die Organisation der Bewerbe war nicht einfach: Da es sich beim Einradfahren um eine Randsportart handelt, die nicht im medialen Rampenlicht steht, sind Regeln nicht immer fix festgelegt. Bei einem Staffel-Wettkampf traten sogar Männer und Frauen gemischt an, eine Altersgruppe reichte manchmal von 0-18 Jahren.
Beim Bergaufrennen, dem Uphill, konntet ihr nicht teilnehmen. Warum?
AP: Das ist aus organisatorischen Gründen ins Wasser gefallen, da die Finalistinnen und Finalisten vom Downhill nicht beim Uphill mitfahren konnten. Das war ein bisschen schade, aber da kann man nichts machen. Einradfahren besteht viel aus Freiwilligenarbeit, da geht manchmal eben etwas schief. Es ist nicht so professionell veranstaltet wie ein großes Fahrradrennen.
Wenn ich mir eure Ergebnisse anschaue, so fällt auf, dass ihr gerade in den „Muni-Disziplinen Medaillen ergattert habt. Warum sind Südtirolerinnen und Südtiroler da so erfolgreich?
AP: Wir haben schon einen Vorteil, dass wir in den Bergen leben. Und wir sind sehr zielstrebig. So zielstrebig wie wir sind andere Länder in dieser Disziplin nicht.
Wie intensiv habt ihr euch auf die Weltmeisterschaft vorbereitet?
LM: Neben dem regelmäßigen Training in der Halle, wo wir Freestyle üben, haben wir uns spezifisch im Freien für die Muni- und Bahnbewerbe vorbereitet. Zusätzlich haben wir noch Kraft- und Ausdauer-Training ins Training eingebaut.
AP: Wir wechseln immer ein bisschen ab, im Winter legen wir den Fokus mehr auf Ausdauer- und Kraft, im Sommer sitzen wir viel auf dem Einrad.
Leonie Mengon und Anna-Maria Perkmann gehören zum SSV Naturns Sektion Einrad mit rund 70 Mitgliedern. Einradfahrende Kinder, Jugendliche und Erwachsene prägen also durchaus das Dorfbild.
Wie seid ihr eigentlich zum Einradfahren gekommen? Es gehört nicht gerade zu den bekanntesten Sportarten.
AP: Ich habe die Zirkuswochen gemeinsam mit meiner Schwester besucht. Dann haben wir bei der Freestyle–Italienmeisterschaft teilgenommen und konnten bereits den dritten Platz erzielen. Bei den Wettbewerben lernten wir immer neue Leute kennen, die uns ermutigten, auch an der Europameisterschaft teilzunehmen und uns an den Muni-Disziplinen zu versuchen. Das hat sich dann einfach so weiterentwickelt.
LM: Ich habe das Einradfahren das erste Mal beim „Einrad-Tag“ gesehen, den es früher in Naturns einmal im Jahr gab. Die Sportart wurde dort vorgestellt und sobald ich das erste Mal beim Training dabei war, hat es mir so gut gefallen, dass ich fast jeden Tag auf dem Einrad gesessen bin.
Was gefällt euch denn besonders gut am Einradfahren? Was ist das Besondere daran?
AP: Mir gefällt vor allem die Vielseitigkeit. Du musst dich nicht nur auf eine Sache spezialisieren, du kannst dich sehr vielseitig weiterentwickeln.
LM: Mir gefällt auch, dass es kein Leistungssport ist und keine Sportart, die jeder kennt. Aber sie wird immer bekannter!
Am Ende des Interviews sollen die beiden für ein Foto kurz über die Treppe hinunterfahren. Anna-Maria zeigt auf ihre Füße – sie trägt Sandalen. „Nicht gerade passend fürs Einradfahren“, meint sie und lacht.
Video zur Italienmeisterschaft in Naturns im Jahr 2019
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