Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
„Bist du schwul?“ Diese Frage wurde mir das erste Mal gestellt, als ich 12 oder 13 Jahre alt war. Die Frage nach meiner sexuellen Identität hat mich über viele Jahre hinweg beschäftigt. Nicht nur, weil sie mir von anderen Menschen immer wieder gestellt wurde, nein, ich habe sie mir selbst auch immer wieder gestellt. Dass ich nicht homosexuell bin, da war ich mir immer sehr sicher. Ich habe mich ja schließlich mehrmals in Mädchen verliebt.
Ich fühlte mich aber schon immer auch zu Jungs hingezogen. Daher habe ich die Frage immer versucht kurz und knapp mit einem „Nein, bin ich nicht“ zu beantworten, wenngleich da immer auch ein unausgesprochenes „Aber“ dahinter war.
Mir fiel lange einfach keine bessere Antwort auf die Frage nach meiner sexuellen Identität ein. Auch deswegen war die Frage danach für mich viele Jahre lang eine schmerzhafte, immerhin ist das Thema Sexualität eine sehr intime Angelegenheit. So intim, dass es in der Öffentlichkeit in Südtirol im Grunde kein Thema ist. Gleichzeitig war es in meiner frühen Jugend in meinem Umfeld verpönt, homosexuelle Neigungen zu haben. Es galt schlicht als „nicht normal“ oder „unmännlich“, nicht heterosexuell zu sein. Dazu kam noch die Tatsache, dass die Bisexualität praktisch nicht thematisiert wurde.
„Wie kann ich mich zu Mädchen und Jungs hingezogen fühlen, ich kann doch nicht schwul und Heterosexuell zugleich sein?“ habe ich mir deswegen oft gedacht.
Dass es so etwas wie Bisexualität gibt, davon habe ich schon irgendwann mal gehört. Schließlich fiel schon damals gelegentlich der Spruch „Ein bisschen Bi schadet nie.“ Was das genau bedeutet und ob das auf mich zutreffen könnte, davon hatte ich keine Ahnung. Ich wollte lange nicht akzeptieren, dass ich mich auch zu Jungs hingezogen fühle, zu groß war für mich die Angst, in der Schule oder in meiner Clique dafür bloßgestellt zu werden.
In meinem Umfeld gab es in meiner Teeniezeit auch keine Person aus der Queer-Community, mit der ich hätte sprechen können. Ich kannte keine Organisation, an die ich mich hätte wenden können. Nicht zuletzt auch deswegen, weil ich nicht wusste, ob ich als (möglicher) Bisexueller überhaupt in solchen queeren Organisationen willkommen war. Das ist ein Problem, dass viele Bisexuelle haben: Sie fühlen sich nirgendwo wirklich zugehörig, weil sie eben nicht klar hetero- oder homosexuell sind. Was auch zu mentalen Problemen führen kann, wie eine amerikanische Studie zeigt.
Das ist ein Problem, dass viele Bisexuelle haben: sie fühlen sich nirgendwo wirklich zugehörig, weil sie eben nicht klar hetero- oder homosexuell sind.
Also habe ich mich jahrelang verstellt, so gut es ging. Oder sagen wir, ich habe es versucht. Es wurden nämlich immer wieder mal Gerüchte über meine Sexualität gestreut und dass ich mich irgendwann einmal in meinen damaligen besten Freund verliebt habe, hat die Situation natürlich nicht leichter gemacht. Im Gegenteil: Das emotionale Chaos in mir war damals perfekt. Meine Zweifel wurden immer größer.
Dass meine sexuelle Identität nicht heterosexuell ist, wurde mir allmählich immer bewusster. So habe ich immer wieder verschiedene – teils auch fragwürdige – Onlinetests zur Bestimmung der sexuellen Identität gemacht. Ich wollte endlich Gewissheit haben. Das Ergebnis war meistens – wenig überraschend – dass ich bisexuell bin. Gleichzeitig habe ich mich über die Bisexualität informiert und mit der Zeit für mich akzeptiert, dass ich eben bisexuell bin. Das war mein sogenanntes „inneres Coming-out“. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wann genau der Moment war, wann ich das erste Mal ehrlich zu mir selbst sagen konnte, dass ich bisexuell bin, aber ich war wohl schon volljährig.
Mich anderen Menschen anzuvertrauen, habe ich lange gezögert. Meine Bisexualität offen zu leben, war für mich sowieso lange Zeit ein Ding der Unmöglichkeit. Die Angst vor negativen Reaktionen in meinem damaligen Umfeld hat mich immer wieder davon abgehalten, mich zu outen. Als ich vor einigen Jahren mit zwei damals sehr engen Freunden und Freundinnen unterwegs war, habe ich mich schließlich überwunden, all meinen Mut zusammengenommen und mich vor ihnen geoutet. Es verlief alles gut, aber mich vor anderen Personen zu outen fiel mir noch verdammt schwer und so wussten bis vor einigen Monaten nur sehr wenige Menschen von meiner Bisexualität.
Was mir mein Coming-out zusätzlich erschwert hat, ist die Tatsache, dass mir die Vorbilder gefehlt haben. Ich kannte damals schlicht keine anderen (geouteten) Bisexuellen, auch prominente Bisexuelle waren mir damals keine bekannt. Hätte ich damals schon gewusst, dass etwa Billie Joe Armstrong, der Sänger von Green Day, oder David Bowie bisexuell sind bzw. waren, hätte mir das sicherlich auch viel Selbstbewusstsein gegeben und mich darin bestärkt, zu meiner sexuellen Identität zu stehen.
Hätte ich damals schon gewusst, dass etwa Billie Joe Armstrong, der Sänger von Green Day, oder David Bowie bisexuell sind bzw. waren, hätte mir das sicherlich auch viel Selbstbewusstsein gegeben und mich bestärkt zu meiner sexuellen Identität zu stehen.
Ein weiterer Faktor, der es mir lange erschwert hat, zu meiner sexuellen Identität zu stehen, sind die vielen Vorurteile über Bisexualität.
Was Bisexuellen immer wieder nachgesagt wird, ist zum Beispiel, dass sie „verklemmte Homosexuelle“ seien. Oder es sei „nur eine Phase“, die sie gerade durchleben. Immer wieder wird auch daran gezweifelt, dass Bisexuelle in einer monogamen Beziehung leben können: Wer sich zu zwei oder mehreren Geschlechtern hingezogen fühle, könne nicht mit einem einzigen Partner zufrieden sein. Dass das Unfug ist, zeigt etwa Billie Joe Armstrong, der seit Jahren mit seiner Frau zusammen ist und mit ihr auch eine Familie gegründet hat. Vielfach heißt es auch, dass Bisexuelle sich immer zu Frauen und Männern gleichermaßen hingezogen fühlen. Dabei können wir eindeutige Präferenzen haben, welche auch über die klassischen binären Geschlechtsidentitäten hinausgehen. Auch besondere Lust an sexuellen Ausschweifungen wird Bisexuellen gerne unterstellt.
Ein großes Problem ist aus meiner Sicht, dass die Bisexualität gesellschaftlich nach wie vor sehr unsichtbar gemacht wird. Menschen in heterosexuellen Beziehungen gelten nahezu immer als heterosexuell, während Menschen in homosexuellen Beziehungen fast immer als homosexuell gelten. Dass zumindest eine Person in diesen Beziehungen eine andere sexuelle Identität (z.B. bi- oder pansexuell) haben kann, wird ignoriert. Auch in Gleichberechtigungsdebatten, etwa wenn es um die Öffnung der Ehe für alle geht, werden Bisexuelle – ebenso wie Pansexuelle – meistens ignoriert. Dabei sind auch wir von diesen Debatten betroffen. Denn es ist eigentlich ganz einfach: Überall dort, wo Homosexuelle diskriminiert werden, werden Menschen, deren sexuelle Identität Homosexualität einschließt, genauso diskriminiert.
Überall dort, wo Homosexuelle diskriminiert werden, werden Menschen, deren sexuelle Identität Homosexualität einschließt, genauso diskriminiert.
Einer der Gründe, warum Bisexualität so unsichtbar ist, liegt meiner Ansicht nach darin, dass über die unterschiedlichen sexuellen Identitäten kaum aufgeklärt wird. Wer weiß etwa, dass sich eine bisexuelle Person zu Menschen zweier oder mehrerer Geschlechter sexuell hingezogen fühlt, wobei das eben nicht im selben Maß der Fall sein muss und es Präferenzen geben kann? Es gibt viele Überschneidungen mit Pansexualität: Pansexuelle Personen fühlen sich zu Menschen aller Geschlechter sexuell hingezogen, ohne dass diese Anziehung jedoch auf deren Geschlecht basieren muss.
Aufklärung über die unterschiedlichen sexuellen Identitäten ist nicht nur wichtig, um ein Bewusstsein für deren Existenz und die Bedürfnisse der Menschen mit diesen Identitäten zu schaffen. Es geht nicht nur darum, die soziale Akzeptanz der unterschiedlichen sexuellen Identitäten zu erhöhen, sondern auch darum, Menschen, deren sexuelle Identität nicht heterosexuell ist, zu helfen, ihre sexuelle Identität zu erkennen und frei leben zu können.
Es kommt vor, dass Bisexuelle bisweilen auch von Homosexuellen nicht ernst genommen oder sogar diskriminiert werden, weil diese kein Verständnis für die sexuelle Identität der Bisexuellen haben.
Was ich mir wünsche, ist, einmal in einer Gesellschaft zu leben, in der so etwas wie ein “Coming-out“ nicht mehr notwendig ist, weil alle sexuellen und geschlechtlichen Identitäten selbstverständlich zur Normalität gehören und gesehen werden. Ich möchte, wenn es um die Gleichstellung von sexuellen Identitäten geht, dass die Bisexualität – neben all den anderen sexuellen Identitäten – genannt und berücksichtigt wird. Was wir, die Bisexuellen, wollen, ist im Grunde etwas sehr Einfaches und Menschliches: da zu sein und so akzeptiert zu werden, wie wir nun einmal sind.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support