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Wenn ich mich im Jahr 2020 so umsehe, wird mir ein wenig schwindelig. Von überall her prasseln Informationen auf mich ein: Meldungen aus Radio, Fernsehen, Onlineportalen und sozialen Netzwerken. Werbung, wohin das Auge reicht. Mein Alltag ist häufig „online“. Die Schlagzeilen entnehme ich Onlineportalen, erarbeite mir Goethes Faust mithilfe von „MrWissen2Go“ und finde meine „Peer-Group“ auf YouTube. Am Freitagabend schaue ich die „Heute Show“, um das Weltgeschehen satirisch zu entkräften. Alles, was da auf mich einwirkt, macht etwas mit mir. Es nimmt Einfluss auf meine Person – das digitale Außen formt mein individuelles Innen. Ich habe das Gefühl, in einem Medienmeer zu schwimmen und dabei nur einen Bikini zu tragen. Einen Bikini, der gerade einmal meine intimsten Bereiche bedeckt. Medien dienen der Kommunikation, Verbreitung von Informationen und der Unterhaltung. Dabei tragen sie verschiedene Gewänder – sie kommen analog und digital daher. Zu den analogen Medien gehören Zeitungen, Bücher, Flugblätter, Magazine und Werbeplakate. Schier unendlich scheint die Menge an digitalen Medien: das Internet, Soziale Netzwerke, Smartphones, Radio und Fernsehen, eBooks und weitere.
Die Medien, die wir konsumieren, prägen unweigerlich unser Weltbild. Schließlich haben die meisten Leute eine Meinung dazu, wie sympathisch Greta Thunberg ist oder welche Folgen der Klimawandel haben wird, obwohl sie Greta nie persönlich getroffen haben und keine Klimaforscher*innen sind. Das ist die ganz normale Medienwirkung. Wenn aber durch gezielte Strategien im Netz Nutzer*innen beeinflusst werden, sprechen wir von Manipulation. Zum Beispiel: Wenn eine bekannte YouTuberin einen besonders aufsehenerregenden Titel unter ihr neues Video schreibt, klicken viele ihrer User das Video an, um mehr zu erfahren. Wenn der Titel sich jedoch als irreführend herausstellt und gar nicht zum Inhalt passt, nennt man das im Bloggerjargon einen „Clickbait“, einen „Klick-Köder“. Auch Internetportale und Onlinezeitungen nutzen diese Methode, um mit reißerischen Überschriften Leser*innen anzuziehen. Diese Manipulation verfolgt kommerzielle Ziele.
Auch in der Politik werden die Medien immer mehr benutzt, um Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen. Zeitungen vermitteln den Leser*innen beispielsweise ihre politische Ausrichtung, indem sie Themen ausschließlich von einem Standpunkt aus beschreiben, oder indem sie von manchen Ereignissen sehr breit, von anderen hingegen kaum berichten. Damit kann dem Leser oder der Leserin unausgesprochen eine ganz bestimmte Haltung vermittelt werden. Der Radioapparat „Volksempfänger“ ist ein Beispiel dafür, wie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Medium gezielt zur politischen Propaganda benutzt worden ist. Die nationalsozialistische Regierung schaltete damit kritische Töne im Rundfunk aus, sendete stattdessen Propaganda und Hitlerreden sowie Durchhalteparolen und Berichte über angebliche Kriegserfolge.
Als konservativ eingestuften Nutzer*innen wurden dann gezielt Inhalte über Waffengesetze oder Migration zugespielt.
Heute bieten „digitale Medien“, vor allem das Internet, neue Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme. Einem Bericht des US-Senats zufolge soll Russland bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 gezielt mit Texten, Bildern und Videos in sozialen Netzwerken die Wahl von Trump unterstützt haben. Laut dem Bericht sollen russische Akteure angeblich US-Nutzer von Twitter oder Facebook in Interessensgruppen eingeordnet haben. Als konservativ eingestuften Nutzer*innen wurden dann zum Beispiel gezielt Inhalte über Waffengesetze oder Migration zugespielt. Außerdem sollen sogenannte russische „Trolle“ im Netz geführte Debatten aktiv beeinflusst haben. „Trolle“ sind keine gewöhnlichen User, sondern Menschen, die mit ihren Kommentaren Onlinedebatten aktiv in eine bestimmte Richtung lenken.
Spätestens seit dieser Wahl ist klar, dass politische Propaganda auch in den digitalen und sozialen Medien ein heißes Thema ist. Im Netz ist es möglich, Hunderttausende bis zu mehrere Millionen Menschen in kürzester Zeit zu erreichen. So ist es auch möglich, Hass–Botschaften, Fake-News und populistische Parolen zu verbreiten. Das „Oxford Internet Institut“ untersuchte die Meinungsmache im Netz und deckte auf, wie Facebook, Twitter und Co. international als Raum für Manipulation genutzt werden. Die Studie untersuchte vor allem den Einsatz von sogenannten „Bots“. Der Begriff ist eine Abkürzung des englischen Worts „robots“ (Roboter) und bezeichnet Computerprogramme, die im Netz Informationen sammeln. Sie können sogar Posts kommentieren und mit „echten“ Nutzern teilen. Diese können nicht ohne weiteres erkennen, dass der vorliegende Post von einem Bot kommt. Besonders in der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 kamen diese Bots zum Einsatz. Aus der Studie des Oxford Internet Instituts geht hervor, dass diese Form der Wahlmanipulation von beiden Lagern im Kampf um das Präsidentenamt eingesetzt wurde.
Das digitale Medienmeer ist kein Planschbecken.
In Deutschland hingegen sind laut der Studie nicht Bots und Trolle, sondern von Menschen in Umlauf gebrachte „Fake-News“ das größte Problem. Diese Falschnachrichten basieren zwar oft auf Nachrichten mit einem wahren Kern, aber dieser wird ausgeschmückt und skandalisiert. Zuverlässige Fakten und Zahlen werden in einen verdrehten Zusammenhang wiedergegeben und lenken so die Nachricht in eine bestimmte Richtung.
Grundsätzlich ist der Umgang mit den digitalen Medien eine Gratwanderung zwischen Freiheit, Kontrolle und Manipulation. Die Anonymität im Netz ist groß, wir genießen die Freiheit in diesem Raum und nutzen sie täglich. Wenn wirtschaftliche und politische Interessensgruppen diese Freiheit jedoch für ihre Zwecke missbrauchen und uns manipulieren, kann das für uns zur Bedrohung werden. Die Digitalisierung der Medien schreitet in einem rasanten Tempo voran. Das macht es für die Gesetzgebung schwierig, Regeln für den digitalen Raum kontinuierlich anzupassen. Nutzer*innen stellt der schnelle Fortschritt vor die Aufgabe, beim Umgang mit den neuen Medien immer dazuzulernen und sich zu schützen. Auch und gerade für „Digital Natives“ – aufgewachsen mit den digitalen Medien – stellt das eine Herausforderung dar. Wirtschaft, Politik und das Individuum stehen immer in Wechselwirkung zueinander. Das digitale Medienmeer ist kein Planschbecken. Es fordert von uns Schwimmenden eine gewisse Eigenverantwortung. Wer am Wasser lebt, tut gut daran, schwimmen zu lernen. Das heißt für uns, kritisch zu hinterfragen, was da in Informationswellen an uns herangespült wird. Es heißt, den Bikini eventuell gegen einen Neoprenanzug zu tauschen.
Text von Anna Maria Parteli
Der Artikel ist erstmals in der Schulausgabe (März 2020) der Straßenzeitung zebra. erschienen.
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