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Sie stürmen Events, veranstalten Sitzstreiks und laute Straßenaktionen. Sie treten provokant und selbstbewusst auf, diskutieren im Plenum stundenlang über eine bessere Gesellschaft, manchmal wohnen sie sogar in WGs mit ideologisch Gleichgesinnten. Die Rede ist weder von Hippies der ersten Generation noch von jungen Linken in mitteleuropäischen Unistädten heute. Sondern es geht hier um die so genannten „Identitären“, so die Selbstbezeichnung der Mitglieder dieser Bewegungen aus der jüngeren rechtsextremen Szene.
Straff organisierte, politische Verbände junger Menschen, die von einem Europa träumen, in dem jedes „Volk“, welches als geschlossene, homogene Gruppe verstanden wird, auch eine solche bleiben soll.
Offiziell gibt es sie in Österreich seit 2012, wo sie unter dem Namen Verein zur Erhaltung und Förderung kultureller Identität agieren, und in Deutschland seit 2014 als Identitäre Bewegung. Zu ihren ideologischen Vorläufern gehören neben Le Bloc Identitaire in Frankreich (gegründet 2002, heute Les Identitaires) auch die 2003 gegründete Casa Pound in Italien. Straff organisierte, politische Verbände junger Menschen, die von einem Europa träumen, in dem jedes „Volk“, welches als geschlossene, homogene Gruppe verstanden wird, auch eine solche bleiben soll und zwar innerhalb der entsprechenden nationalen Grenzen. Die Ideologie stützt sich dabei auf keineswegs neue, rassistische Konzepte wie den „Ethnopuralismus“ und warnt vor einem „großen Austausch“ – sprich der Unterwanderung dessen, was als das „Volk“ bezeichnet wird. Gedankengut, das sich in die NS-Zeit und noch weiter zurück verfolgen lässt. Was hingegen neu scheint, sind die Methoden, mit denen die Akteure der „Neuen Rechten“ in der Öffentlichkeit auftreten.
Die wohl bekanntesten Aktionen der Identitären in Österreich fanden im November 2016 und Februar 2018 statt. Im Zuge der ersten wurde über Nacht ein Maria-Theresien-Denkmal in der Wiener Innenstadt mit einer riesigen Burka verhüllt und mit einem Schild „Islamisierung – Nein Danke“ versehen. Der Schockeffekt blieb natürlich nicht aus und bescherte dem bis dahin eher unbekannten Verein so manche Schlagzeile. Auch die zweite Aktion spielt mit Provokation und einer Überraschungstaktik. Im Februar letzten Jahres stürmte eine Gruppe Identitärer die Aufführung des Theaterstücks „Schutzbefohlene“ von Elfriede Jelinek im Audimax der Uni Wien, in dem nicht nur inhaltlich die Migrationsthematik behandelt wird, sondern auch Geflüchtete als Darsteller mitwirkten. Die Vorstellung wurde unterbrochen, es wurde ein großes Transparent mit der Aufschrift „Heuchler“ entrollt und Kunstblut verspritzt. Symbolisch ist wohl auch der Ort der Aktion: Das Audimax war 2009/2010 eines der Zentren von Studierendenprotesten für freie Bildung.
Die Message: Wir sind die neuen Rebellen.
Ich werfe einen Blick auf die Webseiten von den Identitären, von Les Identitaires und Casa Pound. Vor allem die der ersten beiden sind grafisch sehr ansprechend gestaltet, bieten eigens designte Nachrichten-Apps für maßgeschneiderte Information an und werben mit professionellen Foto- und Videokampagnen. Die Bilder zeigen junge, gutaussehende (weiße) Gesichter, je nach Thema gut gelaunt und voller Tatendrang oder wild entschlossen und militant für die Sache. Immer wieder fallen die Worte „Widerstand“ und „Aktivismus“. Die Message: Wir sind die neuen Rebellen. Der Social-Media-Experte Markus Hündgen (European Web Video Academy) analysiert in einer Dokumentation des WDR, dass die Symbolik der Neuen Rechten eine viel breitere als die der bis dato gekannten Neonazis ist. Es geht darum, smart und cool aufzutreten und das sehr junge Zielpublikum durch spielerische und abenteuerartige Aktionen zunächst einfach auf sich aufmerksam zu machen, lange bevor der theoretische Überbau der Bewegung überhaupt spürbar wird. Oft, so Hündgen, seien Einsteiger der Neuen Rechten auf der Suche nach einer Community, die sich für eine gute Sache einsetzt und glauben, zum Beispiel in den Identitären endlich den geeigneten Rahmen dafür gefunden zu haben.
Ein Beispiel aus Südtirol. Seit Juni 2018 gibt es die Facebookseite Blocco Studentesco Bolzano. Der Blocco ist die Schüler- und Studierendenorganisation von Casa Pound. Auf ihrer Timeline ist ein Video zu sehen, in dem Mitglieder des Blocco Studentesco das verwahrloste Gelände rund um ein ehemaliges Schulgebäude reinigen. Gleichzeitig aber auch ein Post von einem Rechtsrockkonzert, bei dem sich Besucher mit dem „saluto romano“ zeigen. Erinnerungskultur an die foibe steht gleich neben lokapolitischem Engagement gegen ein Heim für Asylsuchende. Die Strategie ist stets dieselbe: aktiver Einsatz fürs Gemeinwohl und Forderungen sozialer Natur mit faschistischer Symbolik und Sprache, das Ganze in einem Format, das Jugendliche anspricht.
Wir haben es also mit jungen, vernetzten, motivierten und meist gebildeten, letztendlich aber hoch ideologisierten Menschen zu tun, die von der 68er-Generation methodisch gelernt haben. Sie verfügen außerdem, so die deutsche Autorin und Extremismus-Forscherin Julia Ebner, wie viele der neueren extremistischen Bewegungen über ein zeitgemäßes und „ansprechendes Marketing“, während es an stärkeren, attraktiveren und vor allem jungen Gegenbewegungen fehle. Im Netz werden sie daher mancherorts etwas platt als „Nipster“ (Nazi+Hipster) bezeichnet. Füllen solche neorechten Gruppen ein Vakuum, das linksliberale Widerstandsbewegungen zurückgelassen haben?
Identitäre und Mitglieder des Blocco Studentesco haben meist einen hohen Bildungsstandard, bewegen sich nicht selten in einem universitätsnahen Umfeld und verfügen über akademisches Wissen.
Die extreme Rechte ist heute nicht mehr zwangsläufig mit der national-sozialistischen Komponente verbunden, die dem Klassenkonflikt mit moralisierendem Nationalismus von unten beizukommen versucht. Im Gegenteil, oft ist die Argumentation neoliberal-ökonomisch und eignet sich eine elitär-rationale Attitüde an, die natürlich viel massentauglicher ist als strammes Nazitum. Die Neue Rechte gibt sich oft als die einzige Stimme der Vernunft in einer verkommenen Welt. Identitäre und Mitglieder des Blocco Studentesco haben meist einen hohen Bildungsstandard, bewegen sich nicht selten in einem universitätsnahen Umfeld und verfügen über akademisches Wissen. Das spiegelt sich auch in ihren Konzepten und Methoden wider. Oft werden Neologismen erschaffen, es wird mit Worten und Sekundärbedeutungen gespielt und ganze Diskurse werden neu erfunden. Der anfangs angesprochene „Ethnopluralismus“ zum Beispiel ist so ein pseudowissenschaftliches Konstrukt. Das Fremdwort wirkt technisch, rational und erweckt den Anschein von Intellektualität. Durch den positiv-liberal konnotierten Wortteil „Pluralismus“ kann sich dieses Konzept auf der sprachlichen Ebene von inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Rassentheorien distanzieren und entzieht sich einer eindeutigen Klassifikation.
Das Problem ist vielschichtig, es will aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und analysiert werden, nicht zuletzt aus einem sprachwissenschaftlichen. Es gehört mitunter zu einer bewährten Methode der Neuen Rechten, den „Feind“ selbst sprachlich zu konstruieren und hervorzuheben, um ihm dann gegenüberzutreten. „Die behaupten ja, dass man Sachen nicht sagen darf, machen es dann aber trotzdem“, beschreibt ein Aussteiger der Identitären in einem Interview mit belltower.news und meint weiter: „Dieses Rebellische hat mich damals fasziniert“. Ähnliches lässt sich auf den Social-Media-Profilen des italienischen Innenministers Matteo Salvini beobachten. Einen beachtlichen Teil seiner unzähligen Posts widmet er systematisch seinen Gegnern. Er veröffentlicht Bilder von Demonstrierenden mit Plakaten, die ihn beleidigen, Drohungen, die er erhalten hat, sowie Videos, in denen seine Kritiker sprechen – natürlich immer gekürt von einem süffisanten Kommentar.
Sarkastische Äußerungen zu sensiblen Themen und radikale, verallgemeinernde Aussagen werden in diesem Format nicht nur toleriert, sondern sind es, die dieses ausmachen.
Es ist genau dieser ironische Tonfall und die sloganhafte Art der Kommunikation, die ins Auge fällt, wenn man Salvini & Co. zuhört oder ihre Botschaften liest. Komplexe Sachverhalte werden drastisch vereinfacht und in einen Zweizeiler gezwängt. Der wiederum – das Hashtag-Prinzip? – wird gespickt mit bestimmten Reizwörtern und einer Prise Provokation. Das Paradebeispiel dürfte Salvinis inflationär gebrauchter Schlachtruf „La pacchia é finita“ sein. Er steht für eine rechtlich und praktisch unmögliche Abschiebepraxis von Geflüchteten, die von ihm aber als die Lösung schlechthin für alle Probleme verkauft wird. Selbst wenn den Worten nur teilweise Taten folgen, weitet eine solche Benennungspraxis jedoch die Grenzen des Sagbaren auf bedenkliche Art und Weise aus. Die „Anderen“ werden zunächst entindividualisiert, dann entpersonalisiert und schlussendlich entmenschlicht. Sarkastische Äußerungen zu sensiblen Themen und radikale, verallgemeinernde Aussagen werden in diesem Format nicht nur toleriert, sondern sind es, die dieses ausmachen. Es ist cool und erwünscht, kompromisslos zu sein und eine zynisch-herablassende Art tritt an die Stelle des Respekts.
Was ist nun wichtig in einer Zeit der Informationsflut und der fließenden Übergänge zwischen rechts und rechtsextrem, zwischen verschiedenen Extremismen? Ich denke zuallererst geht es ums Ernstnehmen. Sich entschieden gegen die Bagatellisierung und das Lächerlich-Machen von menschlichen Notlagen stellen. Und: Achtsamkeit, vor allem in der Sprache. Sich überlegen, wo gewisse Formulierungen herkommen und ob sie nicht – bewusst oder unbewusst – auf etwas anspielen. Denn es macht sehr wohl was aus, wenn Frei.Wild-Sänger Philipp Burger in Bezug auf neue, kultursensible pädagogische Ansätze von einer „kranken Geisteshaltung, die zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Hirnkrebs zusammengewuchert hat“, spricht. Und es ist definitiv nicht in Ordnung, wenn ein Innenminister per Facebook-Post mal eben chemische Kastration für Sexualstraftäter fordert.
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