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Julia Tapfer
Veröffentlicht
am 11.10.2013
Leben

Wenn das Licht ausgeht

Veröffentlicht
am 11.10.2013
Orientierungslosigkeit, Unbehagen, Sinnesschärfung … Was geht in mir vor, wenn ich für ein paar Stunden komplett blind bin? BARFUSS im Blindenzentrum.
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In meiner linken Hand halte ich ein saftiges Stück Hühnerbrust und sauge genüsslich daran. Mit den Fingern der rechten Hand suche ich auf dem Teller Kartoffeln und Zucchinistückchen und schiebe sie mir ebenfalls in den Mund. Verstohlen wende ich mich meiner rechten Sitznachbarin zu, nein, meine „Tischmanieren“ scheinen sie wirklich nicht zu stören.

Ich esse nicht immer wie ein Schwein. Meistens fühle ich mich mit Messer und Gabel sogar richtig wohl, aber heute ist es anders. Ich sitze mit zwölf anderen Neugierigen in einem kleinen Raum und wir essen im Dunkeln. Zwei Stunden sehe ich nur schwarz vor Augen, nach ein paar Minuten spüre ich schon leichte Kopfschmerzen. Vergeblich strengen sich meine Augen an, eine Lichtquelle als Orientierungspunkt im Raum festzumachen.

Für die 23-jährige Marion Hartmann aus Gargazon muss die Welt immer so oder zumindest so ähnlich aussehen. Unsere heutige Kellnerin, die uns überdimensionale Paferlen (Lätzchen) austeilt, ist schon seit ihrer Geburt fast vollständig blind. Lichtquellen kann sie zwar erkennen, viel mehr aber auch nicht. Ganz offen spricht Marion mit mir über ihren Alltag und das Blindsein. Im Blindenzentrum St. Raphael in Bozen bewegt sie sich wie eine Sehende. Wenn ich ihr durch die Gänge folge, vergesse ich sogar kurz, dass sie nichts sieht.

Seit einem Jahr wohnt die junge Frau in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Freund. Den Alltag kann sie gut meistern. Kochen ist zwar nicht so wirklich ihr Ding, aber das Waschen beherrscht sie mittlerweile ganz gut. Lachend erzählt sie mir von ihren ersten Waschversuchen, als sie ein Semester lang in München studiert hat. „Da habe ich auch schon mal alles rosa verfärbt, das gehört halt dazu“, berichtet die fast blinde Frau von einem Erlebnis, das doch auch jeder sehende Student irgendwann mal macht. Derzeit arbeitet Marion im Blindenzentrum, weil sie nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit eben genau das nicht gefunden hat. Niemand wollte sie einstellen, ein harter Schlag für die selbstbewusste Frau: „Es wird einem einfach nichts zugetraut. Sobald die Leute das mit der Augenkrankheit lesen, glauben sie, man würde nichts schaffen. Ich habe das deshalb auch ein paar Mal nicht im Lebenslauf erwähnt.“ Weiter als bis zum Vorstellungsgespräch hat es Marion trotzdem nicht geschafft. Sie hofft nun darauf, sich endlich einmal beweisen zu dürfen. Bis dahin führt sie Leute wie mich durch den Dunkelparkour ins Dunkelrestaurant im Blindenzentrum.

Etwas mulmig ist mir schon zumute, als Marion mich durch zwei Vorhänge in die komplette Dunkelheit bringt. Ich solle mich links halten, an der Mauer entlang gehen. Dann eröffnet sich der gewundene Parkour mit allerlei zum Anfassen. Das gefällt mir. Ich ertaste eine alte Nähmaschine, so eine wie sie meine Oma hatte. Mit dem Gehen ist es schon etwas schwieriger, zweimal bin ich kurz so orientierungslos, dass ich nicht mehr sicher bin, ob ich überhaupt in die richtige Richtung gehe. Endlich führt mich Marion zu meinem Platz im Dunkelrestaurant, ich bin aufgeregt und kann immer noch nicht meine Augen schließen – ich könnte ja was verpassen, meint mein inneres Gefühl.

Das Dunkelrestaurant gibt es bereits in der achten Saison, erzählt Elisabeth Gitzl, die Direktorin des Blindenzentrums St. Raphael, als wir uns vorher im Besprechungsraum zum Interview treffen. Wie selbstverständlich drückt sie den Lichtschalter – bloß für mich, wie sich herausstellt. Sie selbst ist komplett blind. Das Dunkelrestaurant startete mit dem Ziel der Sensibilisierung. „Wir wollten Sehenden die Chance geben, etwas anderes zu erleben. Die Rollen sind hier vertauscht, wir Blinde sind eher die Sehenden“, sagt Gitzl. Sie hätte sich nie gedacht, dass die Besucher so großes Interesse am Blindsein hätten. Das erstaune sie immer wieder.

Das Blindenzentrum ist 1980 als private Einrichtung aus einer Selbsthilfeorganisation entstanden. Es ist neben dem Blindenverband die Anlaufstelle für die etwa 1.300 blinden oder stark sehbehinderten Südtiroler. Heute vereint es mehrere Aufgaben, wie etwa die fixe Betreuung von Blinden mit insgesamt 60 Betten oder die verschiedenen Trainings, die es als Kompetenzzentrum anbietet – angefangen von der Frühförderung und Schulberatung bis hin zu Mobilitäts- und Selbstständigkeitstrainings. Marion Hartmann ist derzeit in der Hilfsmittelberatung tätig. Dabei versucht man den Menschen den Alltag zu erleichtern, das können sprechende Handys und Uhren sein, Leselupen oder der Stock.

Die Menschen zu sensibilisieren und Barrieren abzubauen, sei immer noch eine der wichtigsten Aufgaben. Auch in Südtirol gebe es noch viel Handlungsbedarf, sagt die Direktorin des Blindenzentrums. In den vergangenen Jahren verspürte sie aber eine Öffnung für die Probleme von Sehbehinderten. Dass das im Alltag schon Kleinigkeiten wie ein von oben herabhängender Briefkasten sein können, erlebe ich im Parkour selbst, als ich plötzlich Angst bekomme, mir meinen Kopf an irgendetwas zu stoßen. Das ist zwar nicht passiert, beim Essen schaffe ich es aber den Rotwein nicht in meinen Mund, sondern auf meine Hose zu gießen. So geschickt wie Marion bin ich im Dunkeln eben nicht. Für sie ist ein Restaurantbesuch aber sicherlich nicht so entspannend – denn die anderen sehen sie im Normalfall schon, denke ich, als ich die letzten Tiramisú-Reste von meinen Händen lecke und froh bin, dass es gerade stockfinster ist.

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