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Wenn Sie denken, absurder geht nimmer, dann täuschen Sie sich. Absurder geht immer, ganz besonders vor den Gerichten dieses Landes. Und ganz besonders dann, wenn es um den Mord an einer Frau geht, ist nichts bekloppt genug, als dass es Menschen mit hohem Stundensatz in Anzügen und Blazer nicht als ernsthafte Argumentation ins Feld führen.
Fatima war im neunten Monat schwanger, als sie und ihr ungeborenes Baby vergangenen Jänner in Vierschach erst verprügelt und dann erdrosselt wurden. Im Ehebett, in der Nacht, und das ist ein wichtiges Detail, weil jetzt kommt’s: Es könnte sich um ein schlafwandlerisches Versehen ihres Ehemannes gehandelt haben. Ohne Witz. Die Gutachter überprüfen eine Schlafstörung des 38-jährigen Pizzabäckers, die zu „unbewussten, reflexhaften Handlungen vornehmlich im Bein-Bereich“ führe.
Die gewiefte Verteidigung, die offenbar im Wachzustand vornehmlich an unbewusster, reflexhafter Misogynie leidet, verweist diesbezüglich auf das Rechtsprinzip, dass niemand für eine Tat verurteilt werden kann, „der er sich gar nicht bewusst war.“ Kohärenterweise kann sich der Täter an nichts mehr erinnern, was nicht verwundert, weil bekanntlich selten ein Femizid ohne die Filmrissfloskel stattfindet — wobei sich die Täter zwar regelmäßig weder an die Tat, noch an die Planung derselben erinnern können, wohl aber bemerkenswerterweise daran, wie sehr sie das Opfer doch geliebt hätten.
Beim Mord durch Erdrosselung könnte es sich um ein schlafwandlerisches Versehen des Ehemannes gehandelt haben.
Wenn Sie also Ihre geliebte Frau in Italien ums Eck bringen wollen, dann reicht ein zuckendes Bein in der REM-Schlafphase, eine temporäre Amnesie und ein bisschen Geld für eine kreative Verteidigungsgang. Gucken Sie sicherheitshalber noch ein bisschen traurig-reuig, während der Verteidiger die paar obligatorischen Details aus Ihrer schweren Kindheit vorträgt (auch hier ist vorwiegend eine Frau — nämlich Ihre Mutter — schuld, weil sie Sie entweder zu wenig, zu sehr oder gar nicht geliebt hat) und ein paar Nachbarn und Arbeitgeber zitiert, die erzählen, was für ein bemühter Arbeiter und liebevoller Vater Sie doch immer waren. Wenn das alles nicht hilft, und sich der Richter nicht verarschen lässt, stellen Sie sich einfach schlafend, und bringen Sie mit gezielter Beinarbeit Ihren Verteidiger um, damit Sie sich einen Neuen suchen können.
Nein, witzig ist das nicht.
Genau genommen ist es so tragisch, dass einem die Begrifflichkeiten dafür fehlen und man sich fragen muss, ob die italienischen Gerichte in der Aufarbeitung von Femiziden inzwischen vollständig zu einem Marktplatz von Gauklern geworden sind, wo man sich schön frisiert und teuer gekleidet trifft, um sich gegenseitig die Hucke vollzulügen und am Ende dann jene*r gewinnt, der dem anderen erfolgreich den größten Bären aufgebunden hat.
Kürzlich hat übrigens der Verteidiger des Mörders im Fall Barbara Rauch etwa einen Antrag auf verkürztes Verfahren gestellt, weil – halten Sie sich bitte fest – ihr Mandant, der bekanntlich mit einem Messer mehrmals auf die junge Mami einstach, „nicht mit besonderer Grausamkeit vorgegangen sei“. Hier erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Und vielleicht erinnern Sie sich auch noch an die Geschichte von Frau M., die vor den Augen ihres Kindes niedergestochen wurde und sich seither verstecken muss, weil der Täter auf freiem Fuß ist.
Wie man den Angehörigen helfen und Gewaltverbrechen verhindert könnte, ist weder Gegenstand der juristischen noch pressetechnischen Aufarbeitung.
Bei allen diesen Geschichten geht es nicht mehr um eine sachliche Aufdeckung der Tatumstände — die zweifellos wichtig ist in einem Rechtsstaat — nach einem grausamen Mord oder Gewaltverbrechen, sondern um eine ad absurdum getriebene, institutionalisierte und verprotokollisierte Misogynie, die als absolut salonfähig gilt. Beziehungsweise nicht ganz und nicht überall, der Europäische Gerichtshof erhebt ja regelmäßig den Zeigefinger über Italiens Gerichte.
Auch wenn die Verteidigung am Ende mit ihrem frauenverachtenden Narrativ, der absurden Bagatellisierung und den Anträgen auf verkürzte Verfahren nicht durchkommt, bleiben die regelmäßigen entwürdigenden Argumentationen im Gerichtsverfahren ein Spießrutenlauf für Angehörige und Betroffene und eine kulturelle Unart, mit der sich Gerichte zeitintensiv auseinandersetzen müssen. Und so darf man nach einem schockierenden Femizid als Bürgerin regelmäßig bestürzt mitkriegen, wie das Opfer postmortem diffamiert wird („Sie hätte ihm halt Geld geschuldet.“), die Tat bagatellisiert („War ja gar nicht besonders brutal.“), der Täter entschuldigt wird („War halt verzweifelt.“) oder praktischerweise noch nicht mal anwesend war („Schlief leider.“).
Wie man den Angehörigen helfen und Gewaltverbrechen verhindert könnte, ist hingegen weder Gegenstand der juristischen noch pressetechnischen Aufarbeitung, dafür wissen wir dank der pietätlosen Yellowpress jetzt alle, dass Oberhauser, Beutel und Neumair sich in Bozen eine Zelle teilen und man sich als unbedarfte Bürgerin dabei ertappt, insgeheim zu hoffen, dass sie vielleicht alle an einer Schlafstörung leiden und sich damit das Problem von selbst löst, bevor es in maximal 25 Jahren (wenn überhaupt) wieder unter uns auf freiem Fuß weilt. Weil Gesetzeslage und Gesellschaft scheint ja ansonsten keine ernsthafte Lösung zum Schutz der Frauen und der hinterbliebenen Kinder zu haben.
Warum zum Gericht gehen, wenn die Frau eh immer irgendwie mitschuld ist und kaum geschützt wird?
Das alles passiert übrigens nicht in Mexiko oder Tadschikistan, sondern in Italien. Falls Sie sich jemals die Frage gestellt haben, warum so viele Frauen erst so spät oder gar nicht Anzeige erstatten: Das wäre eine der Antworten. Weil alles zusammenhängt, definiert der Umgang mit dem Danach den Handlungsspielraum im Davor. Warum zum Gericht gehen, wenn die Frau eh auch immer irgendwie mitschuld ist, kaum geschützt wird und am Ende eine ordentliche Stange Geld wegen der Gewalt, die sie erfahren muss und sich nicht ausgesucht hat, hinblättern muss und sich derweil noch anhören darf, wieviele Entschuldigungen man für das Verhalten des Täters findet?
Clara Ceccarelli ahnte beispielsweise, dass sie keiner vor ihrem gewalttätigen Ex schützen würde und hatte die eigenen Beerdigungskosten bereits im Voraus bezahlt und sich um einen Vormund für ihren behinderten Sohn bemüht. Eine Anzeige hatte sie nicht erstattet, wohl auch aus Angst, alles „schlimmer“ zu machen. Wie kann es sein, dass wir solche „angekündigten Morde“ (femminicidio annunciato) noch immer nicht verhindern können? Dass eine Frau lieber das letzte Geld in die Versorgung ihres Kindes nach ihrem Tod als in einen Gerichtsprozess steckt? Clara wurde am 19. Februar dieses Jahres in Genua ermordet.
Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte tadelt derweil regelmäßig die italienischen Gerichte für ihren Umgang mit Frauen, die Opfer von Gewalt wurden: Da werden die Opfer fröhlich stigmatisiert, da wird mit Referenzen zur Kleidung der Frau, ihrer sexuellen Orientierung und ihren lockeren sexuellen Kontakten im Rechtsspruch argumentiert, da wird mit menschenverachtenden Aussagen wie im Falle Barbara oder mit den absurdesten Entschuldigungen wie im Falle Fatima jongliert, als sei die juristische Aufarbeitung des Sterbens einer Frau nicht mehr als das: eine Frage der Rhetorik und der Unverschämtheit.
Dabei ist das juristische Bullshitbingo vor Gericht — selbst, wenn die Verteidigung mit diesen absurden Argumentationen am Ende nicht durchkommt — nicht nur für die Angehörigen der Opfer ein Spießrutenlauf: Eine Gesellschaft, die sich eher darin bemüht, Entschuldigungen für die Täter zu finden, als Gewalt und Femizide kompromisslos zu verurteilen, ist keine fallbezogene Ungerechtigkeit, sondern ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen.
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