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In den Elendsvierteln in den brasilianischen Städten sind die Menschen der Pandemie seit Monaten schutzlos ausgeliefert. Noch schlimmer steht es um die indigenen Völker im Amazonas-Becken. Dort grassiert ungehindert die Pandemie, die wenigen Krankenstationen werden nicht mit Impfstoffen versorgt. Steckt dahinter eine perfide Strategie des Präsidenten Bolsonaro?
Deshalb fragte sich das deutsche Ärzteblatt, ob sich die Geschichte wiederholt. Als die Europäer 1492 nach Amerika kamen, lebten dort mehr als 50 Millionen Indigene. Um 1650 hatten eingeschleppte Krankheiten die einheimische Bevölkerung dezimiert, auf 8 Millionen Menschen. Und auch heute noch gilt, zitiert das Ärzteblatt den brasilianischen Mediziner Lucas Albertoni, dass „ein einfacher Schnupfen sie in zwei, drei Tagen töten kann.“ Covid-19 „schafft“ das an einem Tag.
Indigener Protest
Präsident Bolsonaro gilt als ein Corona-Leugner, der die Krankheit verharmlost. Mehr als 20 indigene Organisationen forderten den Präsidenten auf, dem Sterben im Regenwald nicht tatenlos zuzuschauen: „Brasiliens indigene Völker kämpfen in der Coronavirus-Krise um ihr Überleben. Denn Covid-19 verschärft die dramatische Lage, die von Entrechtung und Marginalisierung geprägt ist. Die Regierung unter Staatspräsident Jair Bolsonaro zeigt wenig Interesse an einem wirksamen Schutz der Indigenen vor der Pandemie“, erklärten die Indigenen-Verbände. Ihr Vorwurf an den rechtsradikalen Staatspräsidenten: Bolsonaro hat oft genug deutlich gemacht, dass ihm am Zugang zu indigenem Land – an den staatlichen Schutzgebieten – und seinen Ressourcen mehr liegt als am Schutz indigenen Lebens.
300.000 der 900.000 Indigenen in Brasilien leben außerhalb staatlich anerkannter Schutzgebiete. Die Gelüste der Agrar- und Bergbau-Industrie, auch auch der vielen Landlosen auf diese Gebiete ist enorm gewachsen. Präsident Bolsonaro „entrümpelte“ die Staatsbürokratie, er entließ kurzerhand engagierte Beamte im Landwirtschafts- und Umweltministerium und in der Indianer-Behörde Funai und setzte Vertrauensleute ein – aus der Industrie. Das Machtkartell aus Staatsapparat, Agar- und Bergbau-Konzernen drängen in das Amazonas-Becken, über die letzte Grenze hinweg.
Report gegen Pestizide
In einem neuen Report schlug die Menschenrechtsorganisation „Gesellschaft für bedrohte Völker“ deshalb Alarm. Die Agrar-Industrie setzt auf ihren Latifundien am Amazonas rücksichtslos Pestizide ein, Giftmittel, die in Europa schon lange verboten sind. Die GfbV schießt sich in ihrem Report auf das deutsche Chemie-Unternehmen Bayer AG ein. Bayers Pestizidexporte und ihre Folgen für Indigene sind dramatisch, kritisiert die Menschenrechtsorganisation: „Leidtragende der großflächigen Vergiftung sind die ohnehin Marginalisierten: Indigene, Quilombolas, kleinbäuerlich Tätige“, berichtet Regina Sonk von der GfbV. „Viele leben in unmittelbarer Nähe zu großflächigen Anbaugebieten von pestizidintensiven Agrarprodukten. Flugzeuge, die Pestizide versprühen, tragen die Giftstoffe buchstäblich bis vor ihre Tür. Böden und Gewässer sind nachweislich belastet, nicht nur auf dem Land, sondern auch in vielen brasilianischen Großstädten.“
Als die Wolke aus Kalkstein und Pestizidstaub über das Dorf Guyraroká zog, saßen 15 Kinder beim Frühstück. Bald bekamen sie Hautreizungen, dann Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen. Der giftige Cocktail war im Mai 2019 über dem Dorf der Guarani Kaiowa im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul versprüht worden. Viele verwendete Pestizide liefert der deutsche Pharmariese Bayer. Bayer nutzt „Doppelstandards“, kritisiert Juliana Miyazaki von der GfbV. So werden in Deutschland viele Pestizide produziert, die in der EU verboten sind, um sie in Länder wie Brasilien zu exportieren. Dort werden sie vor allem beim Anbau von Soja, Mais, Zucker und Baumwolle verwendet – Exportprodukte für den EU-Binnenmarkt. Die GfbV spricht von einer „Verlagerung menschenrechtsverletzender und umweltverschmutzender Praktiken in Drittländer“.
Der GfbV-Report sorgte für Aufregung und für Unruhe bei Bayer. Die GfbV verschickte den Report an die Aktionäre der Bayer-AG. Pestizide gegen Indigene? Ganz in der Betriebs-Tradition? Im Dritten Reich kollaborierte der Konzern ungeniert mit den Nazis, im Konzentrationslager Auschwitz baute Bayer ein Farbenwerk auf, in dem mehr als 30.000 Juden starben. Bayer, wie andere deutsche Konzerne auch, verdrängten lange ihre Geschichte der profitablen Paktelei mit dem Dritten Reich.
Bleibt Bayer mit seinen Pestizid-Importen nach Brasilien somit seiner lang verdrängten Tradition treu? Und das Image? Wohl auch deshalb suchte der Konzern den Kontakt mit der GfbV, recherchierte die Berliner TAZ. „Wir freuen uns über einen direkten Austausch mit der Bayer AG und hoffen, den Konzern mit betroffenen Indigenen zusammenbringen zu können“, sagt Regina Sonk von der GfbV. Auf Nachfrage der taz erklärte Bayer, dass eine erste Analyse der genannten Fallbeispiele „keine konkreten Bezüge“ feststellen ließe. Das Unternehmen erklärte, „angemessene Maßnahmen“ ergreifen zu wollen, „sollten sich Verletzungen bestätigen, die von Bayer verursacht wurden oder auf die wir realistischen Einfluss haben“.
„Brasiliens Umweltgesetze sind in den letzten Jahren sehr geschwächt worden.”
Während der Konzern aus Leverkusen in den USA wegen des Unkrautvernichters Glyphosat mit einer Welle von Einzelklagen konfrontiert ist, steht die Situation in Brasilien nur selten im Fokus. Dabei importiert kein Land der Welt so viele Pestizide wie Brasilien. Die exportorientierte Agrarwirtschaft setzt auf Monokulturen, Indigene stehen der Wachstumslogik im Weg.
„Brasiliens Umweltgesetze sind in den letzten Jahren sehr geschwächt worden. Dem gegenüber steht eine beispiellose Öffnung des Agrarsektors für große Unternehmen und eine zügellose Neuzulassung von Pestiziden“, analysiert GfbV-Mitarbeiterin Miyazaki: „Schon deshalb ist ein starkes Lieferkettengesetz notwendig, um auszuschließen, dass derart belastete und schädliche Produkte in den Handel gelangen.“
Aber: Die Regierung des Rechtsradikalen Jair Bolsonaro ist eng mit der Agroindustrie verbunden und baut seit Amtsantritt systematisch Umweltschutzrichtlinien ab. Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina hat in zwei Jahren bislang 1.132 neue Pestizide zugelassen – viele davon sind in Europa verboten. Dazu gehören zum Beispiel das für Bienen gefährliche Insektizid Fipronil von BASF oder das Insektizid Chlorpyrifos von Bayer, das in zahlreichen landwirtschaftlichen Kulturen verwendet wird.
Laut der Informationsplattform Amerika 21 profitieren von der neuen Zulassungswelle erneut viele Unternehmen mit Sitz in China, die inzwischen für die Produktion von drei Viertel der in Brasilien zugelassenen Pestizide verantwortlich sind. Die Bolsonaro-Regierung kündigte an, die laschen Pestizidvorschriften weiter zu liberalisieren.
Institutionen warnen
Während die US-Umweltschutzbehörde EPA viele der in Brasilien eingesetzten Pestizide möglicherweise krebserregend für Menschen einstufte, die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit vor dem Einsatz der Pestizide warnte, genehmigt die brasilianische Nationale Gesundheitsaufsichtsbehörde ANVISA die Pestizide ohne große Nachprüfungen. Gleichzeitig verzögert diese Behörde die Zulassung von Impfstoffen gegen Covid-19, zitiert Amerika 21 den brasilianischen Ökologie-Professor Marcos Pedlowski.
Der Report der GfbV beleuchtet beispielhaft sieben Fälle, in denen Pestizide fahrlässig oder sogar absichtlich in unmittelbarer Nähe oder direkt auf indigene Siedlungen ausgebracht wurden. „Bayer muss unternehmerische Sorgfalt walten lassen – gerade in Ländern wie Brasilien, wo die Regierung nicht gewillt ist, ihre Bevölkerung zu schützen“, fordert Regina Sonk.
Hier der link zum 45-seitigen Report „Big in Brazil: Bayers Pestizidexporte und ihre Folgen für Indigene“.
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