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Ivo Drescher studiert seit vier Jahren in Zürich Maschinenbau – ob und wann er nach Südtirol zurückkehren wird, weiß er selbst nicht so genau. So wie ihm geht es vielen jungen Südtirolern: Nach der Matura wollen sie erst einmal weg. Universitätsluft schnuppern und dabei die weite Welt kennenlernen. Die wenigsten planen, nicht mehr zurückzukommen – doch viele lässt das Leben im Ausland nicht mehr los. Martin Fink, Mitarbeiter bei der Südtiroler Hochschülerschaft, meint dazu: „Wir schätzen, dass circa ein Drittel der Studenten nicht mehr zurück nach Südtirol zieht.“
Südtirol zerbricht sich schon lange den Kopf, wie es diese Zahl verkleinern kann. Denn das Land hat eine niedrige Akademikerquote. Sehr niedrig, um genau zu sein: Sie liegt mit 10,6 Prozent noch unter dem italienweiten Schnitt von 14,9 Prozent – und das, obwohl Italien europaweit bereits den letzten Platz belegt. Junge Akademiker zeigen bei der Schuldfrage oft auf das Land: Es werde zu wenig getan, um Südtirol als Arbeitsort attraktiv zu machen. Erst kürzlich sorgte der Brief einiger Medizinstudenten für große Aufregung. Doch wie sieht die Lage zurzeit tatsächlich aus?
„Momentan gibt es zwei Maßnahmen, die Akademikern eine Rückkehr schmackhaft machen sollen: Die eine setzt bei den Arbeitgebern an, die andere bei den Arbeitnehmern“, sagt Martin Fink. Für Arbeitnehmer, die fünf Jahre lang ihren Wohnsitz im Ausland hatten und ihn wieder zurückverlegen, gibt es als ZuckerleSteuererleichterungen von 30 Prozent. Martin Fink kritisiert die Regelung jedoch: „Das ist ein Beispiel dafür, dass Italien gute Maßnahmen ergreifen kann. Nur: Sobald man in Rom bemerkt hat, dass mehr Leute die Vorteile nutzen wollen, als geplant war, ist man zurückgerudert und hat immer mehr Auflagen damit verbunden, sodass heute nur noch wenige von der Regelung profitieren.“
Die zweite Maßnahme setzt bei den Arbeitgebern an: Sie werden belohnt, wenn sie neue Stellen für hochqualifizierte Mitarbeiter schaffen, indem das Land die Hälfte der Personalkosten übernimmt. Als hochqualifiziert gelten dabei Personen, die ein Doktorat in einem naturwissenschaftlichen Bereich abgeschlossen und mindestens fünf Jahre im Ausland gearbeitet haben.
Ivo Drescher könnte in einigen Jahren zu dieser Gruppe von Hochqualifizierten zählen und von der Regelung profitieren: Er plant, einen Forschungs-PhD an seinen Master anzuschließen. Ob eine Maßnahme wie die Steuererleichterung da zum Zünglein an der Waage werden wird? Ivo sagt: „Ob ich nach Südtirol zurückkommen werde, hängt eigentlich von zwei Faktoren ab: Zum einen hätte ich gerne einen Job, der mich herausfordert und bei dem ich Möglichkeiten habe, mich weiterzuentwickeln und aufzusteigen. Der andere entscheidende Faktor ist natürlich mein Privatleben: Ich werde bis dahin einige wichtige Jahre in Zürich gelebt haben. Ich habe hier einen großen Freundeskreis und die meisten Leute in meinem Alter studieren gerade in ganz Europa, die wenigsten leben in Südtirol.“
Im Jahr 2008 hat sich die ASTAT ebenfalls mit dieser Frage auseinandergesetzt: Wann und warum kommen Südtiroler Studenten wieder zurück und aus welchen Gründen kehren sie Südtirol den Rücken? Das zentrale Ergebnis: Ein Großteil von ihnen hat vor, mittel- oder langfristig nach Südtirol zurückzukommen – wie auch Ivo Drescher. Aber der Hauptgrund dafür ist vor allem das Privatleben: Besonders die bessere Lebensqualität (91 Prozent), die Nähe zur Familie (87 Prozent) und zu Partner und Freundeskreis (85 Prozent) sind ausschlaggebend. Erst dann folgen berufliche Überlegungen als Gründe für die Rückkehr.
Auch wenn es im ersten Moment also gar nicht so wichtig scheint, den Arbeitsmarkt für Akademiker attraktiver zu gestalten, setzen die Maßnahmen am richtigen Punkt an. Der Südtiroler Arbeitsmarkt hat Aufholbedarf: Die Hauptgründe fürs Nicht-Mehr-Zurückkommen sind die besseren Karrierechancen (81 Prozent), die weltoffenere Mentalität (78 Prozent) und die der Ausbildung entsprechende Arbeitsstellen (77 Prozent) im Ausland.
Immer wieder scheitern Rückkehrer auch an der Anerkennung der Berufstitel und Studienabschlüsse. Schwer haben es dabei besonders Studenten, die ihren Abschluss nicht in Österreich gemacht haben: Laut einer Studie der Astat wurde in fast 70 Prozent der Fälle der Studientitel nicht anerkannt. Aber auch bei den Studenten aus Österreich liegt der Prozentsatz noch bei 49 Prozent. Hier herrscht Handlungsbedarf: „Viele vergessen, dass mit der Bologna-Reform nur beschlossen worden ist, dass man sich mit jedem europäischen Schulabschluss an jeder europäischen Universität einschreiben kann – jedoch nicht, dass europäische Universitätsabschlüsse in jedem Land anerkannt werden. Das ist problematisch. Da die Kompetenz der Studientitelanerkennung bei Rom liegt, können wir nicht viel machen. Unsere Zwischenlösung wäre deshalb, Anerkennungen nach dem Vorbild der Lehrer anzustreben“, sagt Martin Fink.
Neben der Anerkennung für (hauptsächlich medizinische) Berufstitel gibt es mittlerweile auch eine Zwischenlösung für Lehramtsstudenten aus Österreich. Ihr Abschluss wird von Südtirol auf lokaler Ebene anerkannt. Das bedeutet: Sie dürfen mit ihrem Abschluss in Südtirol arbeiten, im restlichen Italien jedoch nicht. Fink betont, dass diese Regelung für viele Südtiroler bereits eine gute Lösung darstelle, am großen Ganzen jedoch weiterhin gearbeitet werden müsse.
Doch jede akademische Anerkennung wird wenig nützen, wenn es in Südtirol auch weiterhin wenig Jobmöglichkeiten für Hochqualifizierte wie Ivo Drescher gibt. Deshalb sollte die Förderung von neuen Arbeitsplätzen ausgebaut werden – und dabei nicht nur auf Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner beschränkt bleiben. Auch Studenten anderer Fachrichtungen können wichtige Kompetenzen mitbringen, auf die Südtirol nicht verzichten sollte. Vielleicht lässt sich so auch an einem Punkt arbeiten, der noch mehr Südtiroler zurück in die Heimat locken wird: die weltoffene Mentalität.
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