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„Die Veranstaltung Online-Friendship-Speeddating wurde erfolgreich gebucht!“ steht auf meinem Bildschirm. Ich klappe den Laptop zu und packe ihn in den Koffer. Ich bin zufrieden: Es ist der Anfang meines Erasmus-Semesters inmitten einer Pandemie, noch bin ich zuhause in Bozen. Aber für die Zeit in der Hansestadt ist schon mal digital vorgesorgt. Das war bitter nötig: Online-Uni und absolut keine Aussicht auf das Ende der Pandemie. Und das heißt auch: In einer fremden Stadt sitzen – ohne Kontakte. Aber es ist für mich alles eine Sache der Einstellung: The Show must go on… Corona hat schon viel zu viel angerichtet, ich will jetzt trotzdem alles machen, was ich auf dem Plan habe. Deshalb muss ich mich anpassen, und wenn man im Jahr 2021 Freundschaften über Online-Friendship-Speeddatings knüpft, dann melde ich mich jetzt eben an.
Diese Veranstaltung war nur eines von vielen Online-Treffen, die für uns Erasmus-Studenten organisiert wurden. Schließlich sollten wir trotz Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in einer völlig neuen Stadt und im Ausland wenigstens ein paar Leute kennenlernen. Und so lief es ab: Auf Zoom wurde man im Fünf-Minuten-Takt in verschiedene Breakout-Sessions gesteckt und versuchte, ins Gespräch zu kommen. Früher traf man sich in der Vorlesung oder beim Kaffee, besprach etwas zu den Kursen oder fragte nach dem Weg. Und jetzt? Man hat fünf Minuten, um zu entscheiden, ob einem das Gesicht des Gegenübers freundlich vorkommt und schreibt dann vielleicht eine Direktnachricht auf Zoom „Hi, du siehst nett aus, wollen wir mal spazieren gehen?“ und hofft ganz fest, dass man den Text jetzt nicht aus Versehen an alle geschickt hat.
Bei dieser Veranstaltung wurde mir klar, wie sehr sich unser Leben verändert hat. Nach einem Jahr Pandemie haben wir gelernt, uns hinter einem Namen zu verstecken. Die Videokamera kann man einfach ausschalten, wenn man etwas gefragt wird, kann man schlechte Internetverbindung vortäuschen oder wenn Breakout-Sessions angekündigt werden, kann man einfach die Sitzung oder Vorlesung verlassen. Für uns Studenten*innen mag der Alltag vielleicht weniger stressig als vorher sein, die Prüfungen sind vielleicht einfacher und viele von uns konnten Geld einsparen, weil sie ihre Wohnung kündigen konnten und zurück zu den Eltern gezogen sind. Doch mit einem Studentenleben, den sogenannten „besten Jahren“, hat das inzwischen wenig zu tun. Und dabei fing alles so gut an.
Ich war überzeugt davon, dass ich eindeutig nicht den Kürzeren gezogen hatte.
Nachdem im März 2020 der Lockdown ausgerufen wurden, habe ich von mir selbst lange Zeit behauptet, dass ich sehr privilegiert bin. Ich gehörte zu den „fortunati“, „die Glücklichen“ wäre dafür keine gute Übersetzung. Ja vielleicht würde ich sagen, ich kam mir vor wie eine Gewinnerin. Damit meine ich keinen Gewinn, so wie ihn etwa Zoom, Amazon oder Biontech eingefahren haben, aber wenigstens fühlte ich mich nicht wie eine Verliererin der Pandemie. Meine Familie blieb gesund, meine Uni verlief zwar online, aber problemlos und regulär weiter, ich und meine Mitbewohnerinnen verbrachten die Tage im Innenhof und spielten Volleyball, außerdem hatten wir gutes WLAN.
Ich habe Freunde und Freundinnen, die die erste Covid-Matura schreiben mussten, oder andere, die gerade das Studium abgeschlossen hatten und inmitten einer Pandemie Arbeit suchen mussten. Andere wiederum hatten gerade ihr erstes Studienjahr begonnen. Keine und keinen von ihnen habe ich beneidet. Ich war überzeugt davon, dass ich eindeutig nicht den Kürzeren gezogen hatte. Auch wenn ich nun in einer deutschen verregneten Stadt mitten im Lockdown lebe, wo mein sieben Quadratmeter kleines Zimmer Hundert Euro mehr kostet als meine zwanzig Quadratmeter in Italien. Vielleicht war der Optimismus übertrieben, vielleicht realitätsfremd, aber das ist meine Art, mit Krisensituationen umzugehen. Verzweiflung lasse ich selten zu, ganz nach dem Motto „The Show must go on!“.
Ein Jahr später kann ich sagen, die Show ist weitergegangen, es fühlt sich aber an, wie mit einem klassischen Cinepanettone, der jedes Jahr pünktlich zu Weihnachten im Fernsehen läuft: Man schaut ihn, und will doch einfach nur einschlafen und aufwachen, wenn der Abspann läuft. Genauso fühlt sich die Pandemie nach einem Jahr an. Doch anderseits haben wir inzwischen gelernt uns umzustellen. Einige Unternehmerinnen und Unternehmer waren visionär. Ich habe vor Kurzem erfahren, dass man zum Beispiel in der Dating-App „Bambel“ bei „Was suchst du?“ auch die Option „Freunde“ wählen kann. Man kann dann, wie gewohnt, nach links oder nach rechts „swipen“, ganz wie einem die potentielle Freundschaft vorkommt und manchmal kommt dann „It‘s a match!“
Jetzt erst wurde uns bewusst, dass wir uns nicht nur physisch, sondern auch psychisch gesund halten müssen.
Interessant ist auch, wie sich unser Wortschatz verändert hat. Manchmal höre ich meine Mitbewohnerinnen sagen, dass sie jetzt ein „Freundschafts-Bambel-Date“ haben. Eigentlich schön, finde ich. Schnell wurde mir bewusst: Die Pandemie hat uns alle auf einer psychologischen Ebene verändert und belastet. Immer mehr Studien und Experten bestätigen dies. Das Gute daran ist, dass endlich vermehrt über psychische Belastbarkeit und Gesundheit gesprochen wurde; über die Auswirkungen des Lockdowns und des darauffolgenden Lockouts. Wenn ich mich an die Zeiten vor Corona zurückerinnere, dann war da wenig Platz für „mental issues“, vor allem unter Jugendlichen. Es wurde ein bisschen wie ein Tabu-Thema angesehen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass vielen (mir selbst auch) erst bewusstwurde, dass wir uns nicht nur physisch, sondern auch psychisch gesund halten müssen.
Ich habe immer versucht, meiner Philosophie „The show must go on“ treu zu bleiben. Seit im März vor einem Jahr der Lockdown ausgerufen wurde, habe ich angefangen, jeden Tag Sport zu machen. Ich habe gelernt rauszufinden, was die Dinge sind, die mich glücklich machen. Ich habe mir jeden Tag Zeit für die schönen Dingen freigeschaufelt. Ich habe mir selbst zugehört und verstanden, was ich brauche. Ich brauche Zeit für einen Videocall mit meinen Freunden, ich brauche Zeit für den Sport, Zeit fürs Kochen, Zeit für einen guten Wein, Zeit für mich allein, Zeit für die Uni, Zeit fürs Putzen, Zeit für Self-care. Ich bin davon überzeugt, dass ich mich selbst durch diese globale Krise besser kennengelernt habe. Und hier ist die Optimistin wieder.
Wie viele Jugendliche stehe nun auch ich vor einer Entscheidung. Ich werde nämlich offiziell zu der Generation gehören, die ihre „Laurea“ zu Covid-Zeiten macht. Hoffentlich nicht online, aber wer weiß. Die ersten Fotos von denen, die bei ihrer Laurea in Hemd und Krawatte vor dem Computer saßen und darunter lediglich Unterhosen anhatten, waren anfangs ganz lustig, aber inzwischen auch ein bisschen klischeehaft. Was nach dem Bachelor kommt, steht noch in den Sternen. Früher dachte ich mir, ich will mir nach meinem Bachelor vielleicht ein Gap-Year gönnen. Um die Welt reisen, vielleicht hier und da ein bisschen arbeiten. Vielleicht Inspiration für eine Arbeit oder einen Master finden. Und jetzt? Jetzt scheint mir alles aussichtslos.
Vielleicht werden wir später erwachsen. Es wäre nur fair.
Wir haben verlernt, wie man plant. Weil es einfach überflüssig wurde. Das Reisen fällt bekanntlich weg. So wie der italienische Arbeitsmarkt aktuell aussieht, bin ich auch recht skeptisch, was das Arbeiten betrifft. Es bleibt noch der Master. Studieren scheint in dieser Zeit das Einfachste zu sein. Doch ich will ehrlich sein: Auf drei Jahre Bachelorstudium habe ich nur die Hälfte unter normalen Umständen erlebt. Weitere zwei Jahre, davon können wir ausgehen, bleibt die Pandemie ein allgegenwärtiges Problem. In zwei Jahren hätte ich voraussichtlich meinen Master. Und hatte auf zehn Semestern insgesamt nur eineinhalb davon „so richtig erlebt“.
Aber wer weiß. Vielleicht kehrt auch alles viel schneller zur Normalität zurück. Vielleicht wird diese Pandemie auch alles verändern und wir Jugendliche werden alles nachholen. Vielleicht werden wir ein paar Jahre länger feiern gehen, als es bisher im Schnitt üblich war. Vielleicht werden wir später erwachsen. Es wäre nur fair. Uns wurde die „besten“ Jahre einfach weggenommen. Die Jahre, von denen alle so viel erzählen und die mit ein bisschen Sehnsucht und ein bisschen Wehmut erinnert werden. Es gab bestimmt Menschen, Kategorien, soziale Schichten, Länder, Berufsgruppen, die von dieser Krisensituation schlimmer betroffen waren, aber vielleicht sind wir eine der Kategorien, die am meisten vergessen wurden. Und vielleicht sind wir diejenigen, die eine andere Art von Folgebeschwerden von der ganzen Pandemie mitnehmen werden. Uns wurde eine sehr wertvolle Zeit „gestohlen“, uns wurde das Jungsein, das Dummsein, das Lernen und „Daraus-Lernen“ verwehrt.
Bestimmt kann all das gerade wie „First-world-problems“ wirken, sind sie auch, aber wenn in dieser Krise auch wirklich jeder zu Wort kommen soll, dann will ich auch meinen Senf dazugegeben haben. Und vielleicht will ich mich auch nur im Voraus rechtfertigen, falls man mich in zehn Jahren immer noch (innerlich und hoffentlich äußerlich) jung und leichtsinnig antrifft und ich vielleicht immer noch nicht entschieden habe, ob ich nun einen Master machen soll oder nicht. „Ich war vor zehn Jahren schon mal erwachsen“ werde ich sagen und weitertanzen.
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