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Eine Jeans-Hose und eine Trainings-Hose, drei kurzärmlige T-Shirts und zwei mit langen Ärmeln, zwei Sport-BHs, zwei Pullover, eine Daunen- und eine regenfeste Jacke, vier Paar Socken und fünf Unterhosen und natürlich Turnschuhe. Genau so viele Klamotten packe ich in meinen 50-Liter-Rucksack, wenn ich länger auf Reisen gehe. Und genau mit diesen Klamotten kann ich fast jede Lebenslage problemlos meistern. Trotzdem schaffe ich es fast nicht, die ganzen Klamotten in meinem Kleiderschrank zu zählen, als ich nun davor stehe. Der Blick auf diesen Überfluss bestätigt, dass es eindeutig Zeit für meine erste Kleidertauschparty wird – natürlich mit dem Ziel, so viele Klamotten wie möglich an Menschen abzugeben, die sich darüber freuen, und so wenige wie möglich wieder mit nach Hause zu nehmen.
Weil ich in Sachen Klamotten zu der Spezies gehöre, die Kleider jahrelang hortet, um sie dann mit großer Freude wiederzuentdecken, neu zu kombinieren oder gar umzunähen, fällt mir das Aussortieren schwer. Fünf bis zehn Teile sollte man mitbringen, wenn man in den Tauschhandel der Party einsteigen will. Sie sollen frisch gewaschen und keine Ladenhüter sein. Also wühle ich mich in die hintersten Ecken meines Schrankes und finde sie doch, diese Teile, die ich vielleicht doch nie wieder anziehen werde. Bevor ich hinter diesen Satz ein Fragezeichen setze, verstaue ich sie in einer Tüte und mache mich auf nach Meran.
Ohne Unterwäsche kauft jeder Europäer im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr.
Über den Konsum meiner Klamotten mache ich mir eigentlich erst seit einigen Jahren Gedanken. Wenn ich zu Mittelschulzeiten noch um jedes Ketten-Schnäppchen gebuhlt habe, kam irgendwann auch bei mir der erleuchtende Moment, als ich begriffen habe, dass auch Klamotten nur Konsumgüter sind, die wir alle im Überfluss besitzen. Ohne Unterwäsche kauft jeder Europäer im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr. Auf diese Zahl komme ich bestimmt in den letzten acht Jahren nicht. Meinen Schrank habe ich seit meiner Erleuchtung nur noch mit Klamotten von meiner Oma, meiner Mama oder dem Second-Hand-Shop gefüttert. Einige Teile habe ich selbst genäht oder gehäkelt und nur einige wenige neu gekauft. Weil ich dabei versucht habe, auf faire und ökologische Produktionsverhältnisse zu achten, musste ich zwar etwas tiefer in den Geldbeutel greifen, aber dafür kauft man bewusster ein und hat am Ende nur das im Kleiderschrank, was man auch wirklich gerne anzieht. Im Gegensatz zu meinen Studienzeiten in München fällt einem in Südtirol ein solches Shopping-Verhalten etwas schwerer. Ausgewählte Läden haben aber auch hierzulande immer mehr Alternativen in ihrem Sortiment. Suchen lohnt sich.
Im Ost West Club sind die Kleiderstangen bei meiner Ankunft voll gefüllt. Auf der Leinwand hinter der Bühne läuft eine Dokumentation über Kinderarbeit in der Kleiderproduktion. Keine dreitausend Kilometer von uns entfernt, in einer türkischen Stadt namens Gaziantep, arbeiten syrische Flüchtlingskinder in dunklen Garagen, um Klamotten und Schuhe für den europäischen Markt zu produzieren. Obwohl sie viel lieber zur Schule gehen würden, um Lehrer oder Ärzte zu werden, arbeiten sie für eineinhalb Euro elf Stunden am Tag an alten Nähmaschinen. „Ich arbeite, um zu leben“, sagt ein kleiner Junge. Irgendwie will man es doch nie wahrhaben, wie unmittelbar nahe uns die tägliche Ausbeutung von Kindern doch ist.
„2.500 Tonnen Altkleider werden in Südtirol pro Jahr gesammelt“, sagt Verena Gschnell von der Organisation für eine solidarische Welt (oew), als der Film zu Ende ist, „allein von der Caritas!“ Das zeugt von unserem verrückten Kleiderkonsum. Gemeinsam mit dem Meraner Weltladen hat die oew die Kleidertauschparty heute organisiert. „FAIRträgt sich gut – moda sostenibile“ ist das Motto, mit dem die Party nun eröffnet wird. Die Regeln sind einfach: Mitnehmen darf jeder so viel, wie er gebracht hat. Sollten sich zwei um ein Kleidungsstück streiten, entscheiden die anderen Tauscher, wem das Kleidungsstück besser steht.
Kleider, Röcke, Pullover, Hosen, Blusen, T-Shirts, Jacken und Accessoires – von allem kann man hier etwas finden. Die tauschwütigen Frauen, die heute in den Club gekommen sind, wühlen sich durch die Kleider, halten sie ins Licht und messen sie an ihren Körpern, um sie am Ende hinter einer roten Umkleidewand aus Samtstoff anzuprobieren und vielleicht mitzunehmen. Mittendrin dreht sich Kathrin Rösch mit einem breiten Grinsen vor dem Spiegel hin und her. Sie trägt ein knöchellanges Sommerkleid mit schwarz-weißen Blümchen und großem Ausschnitt. „Genau so eines habe ich gesucht“, sagt sie und führt es gleich ihren Freundinnen vor. Die drei sind sozusagen Profis. Immer wieder machen sie bei Kleidertauschpartys mit und füllen so ihre Kleiderschränke. Erst vergangenen Herbst haben sie sich selbst einen Raum gemietet, um einen Tauschabend zu veranstalten. Die wenigen neuen Teile, die sich Kathrin pro Jahr kauft, kombiniert sie am liebsten mit den geschenkten, alten Kleidern ihrer Verwandten.
Wer gut kombinieren kann, ist auf so einer Party klar im Vorteil. Hier treffen sich verschiedenste Stile und Größen. Obwohl ich nichts mitnehmen möchte, kann ich meine Neugierde nicht zurückhalten und stöbere mich durch die Kleidungsstücke. Ungefähr ein Dutzend Frauen zwischen 16 und 50 sind der Einladung zur Tauschparty heute gefolgt. Für die Organisatoren ein voller Erfolg. Alternativen wie Second-Hand-Shops, Tausch- und Verschenk-Treffs oder alternative Kleidergeschäfte scheinen an Beliebtheit zuzunehmen. Das freut auch die oew, die mit verschiedenen Aktionen in Südtirol immer wieder versucht, zum Nachdenken über das eigene Kaufverhalten anzuregen. „Falls ihr denkt, ihr seid zu klein, um etwas zu bewegen, wart ihr noch nie mit einer Mücke im Bett“, zitiert Verena Gschnell zum Abschluss noch Gandhi. Jede Kaufentscheidung liege in unseren Händen und könne das Leben anderer verändern, meint sie. Und ich packe ruhigen Gewissens einen leichten Sommerrock mit großen, bunten Blumen in meine Tasche.
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