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Unmittelbar neben dem Stephansdom in Wien befindet sich das christlich-katholische Begegnungs- und Kulturzentrum Quo Vadis?. Geleitet wird die Einrichtung von Lisa Huber, ehemalige Vorsitzende der Katholischen Jungschar Südtirol und Präsidiumsmitglied der Diözesansynode in Bozen-Brixen. Die Südtirolerin studierte Religionspädagogik in Brixen und Katholische Fachtheologie in Wien, seit Oktober 2019 ist sie bei Quo vadis?. Was steckt hinter diesem Begegnungs- und Informationszentrum? Was macht es anders zu ähnlichen kirchlichen Einrichtungen? BARFUSS hat die junge Südtirolerin in Wien zum Interview getroffen und zwar noch vor der medialen Auseinandersetzung mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche im Fall Ratzinger.
BARFUSS: Wie bist du zu Quo Vadis? gekommen?
Lisa Huber: Ich habe mich ganz schlicht für diesen Job beworben. Ich habe bereits in der Erzdiözese Wien gearbeitet und habe deswegen die Stellenausschreibung mitbekommen. Inhaltlich war ich aber schon länger auf der Suche nach so einem Job, wo so eine Mischung aus einer Bildungsidee und einem ansprechenden gastfreundlichen kirchlichen Ort gegeben ist.
Warum hast du dein zweites Studium in Wien absolviert?
Aus kirchlicher Sicht ist Wien wahnsinnig interessant. Hier befindet sich eine katholische Hochburg. Die Theologie in Wien hat einen recht liberalen Ruf, das hat zu mir gepasst. Ich habe auch gewusst, dass es hier viele berufliche Möglichkeiten gibt.
Wie schaut so ein Arbeitstag von dir aus?
Jeder Tag ist anders. Wir sind ja ein Kulturzentrum oder wie wir sagen ein „Begegnungszentrum“. Bis zum Abend sind wir als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner da, wir haben auch Ausstellungen, bieten Informationen zum Pilgern oder anderen spirituellen Angeboten an. Kurz: Das Tagesgeschäft bedeutet einfach da und offen zu sein: für die Leute, die kommen. Abends setzen wir unseren großen Veranstaltungskalender um und zwar zu den Themen, zu denen wir beauftragt sind: also Inspiration zu geben auf der Suche nach dem Sinn oder der eigenen Berufung bzw. dem Lebensweg und nach einer christlichen Lebensweise. Wir organisieren Workshops, Vorträge, Communityabende, Konzerte und Vernissagen.
Ihr bietet also eine Mischung aus Glauben und Kultur an?
Ja, vielleicht beschreibt es das Leben, der Glaube und die Kultur besser. Weil wenn jemand bei uns hereinkommt, dann hat er oft eine Frage oder irgendeine Sorge, ein Leid oder ähnliches. Da geht es lange auch nur um das Leben und da muss es nicht zwangsläufig nur um den Glauben gehen.
Wer kommt bei euch vorbei?
Es ist ganz schwierig diese Leute in Gruppen einzuteilen. Bei den Veranstaltungen sind es vor allem kulturinteressierte und spirituell interessierte Leute so zwischen 35 und 65 Jahren. Sehr viele sind kirchlich sozialisiert oder zumindest an religiösen und philosophischen Auseinandersetzungen interessiert. Tagsüber ist es viel differenzierter. Es kommen oft Menschen in existentiell schwierigen Lebenslagen, aber es kommen auch Leute, die gerne pilgern würden oder die gerne Exerzitien machen würden, manche möchten auch gerne ein paar Tage ins Kloster. Es ist echt schwierig zu sagen, wer untertags kommt, das ist immer anders.
Was findest du an deiner Arbeit am spannendsten?
Für mich ist die Arbeit mit Gruppen spannend. Also Menschen über einen längeren Zeitraum immer wieder zu treffen und sich über das, was einen gerade beschäftigt, auszutauschen und dann eventuell auch spirituelle Fragen miteinander zu besprechen. Wir essen auch immer zusammen und das ist für mich das Schönste an der Arbeit, weil daraus wirklich Beziehung entsteht und so etwas, wo ich mir denke: Das ist Kirche wie ich sie mir vorstelle. Es ist aber schon aufregend, in der Früh herzukommen und nicht zu wissen, was der Tag bringen wird. Jeder Tag ist anders, manchmal leidet man mit den Menschen mit, die über ihre schwierigen Situationen erzählen, oder freut sich mit ihnen mit.
Das ist für mich das schönste an der Arbeit, weil daraus wirklich Beziehung entsteht und so etwas, wo ich mir denke: Das ist Kirche wie ich sie mir vorstelle.
Warum habt ihr einen Gebetsraum? Es gibt ja viele katholische Kirchen in Wien und der Stephansdom ist ja in unmittelbarer Nachbarschaft…
Berechtigte Frage. Unser Auftragsgeber sind die österreichischen Ordensgemeinschaften, das sind 192 Ordensgemeinschaften in ganz Österreich: Diese haben gemerkt, dass sie mit ihren normalen Instrumenten an ihre Grenzen stoßen und sie deshalb neue Wege ausprobieren müssen. Deshalb wurde auch vor zehn Jahren Quo Vadis? gestartet, weil sie mit einem solchen Konzept, also einem modernen Raum, der im ersten Moment einfach mal einladend und nicht irgendwie vorbelastet ist, vielleicht andere Menschen erreichen als durch Kirchenräume. Deshalb ist dieses Angebot durchaus berechtigt, weil wir eine modernere oder einfach eine an die heutige Zeit angepasstere Sprache sprechen möchten. In dem Gebetsraum findet jeden Tag eine Mittagsmediation und einmal in der Woche eine Stille Meditation statt. Es kommen Menschen hierher, die eben diese Kürze von 15 oder 60 Minuten suchen, was ein Gottesdienst ja in dieser Form auch nicht leisten kann.
Ihr wollt einfach weniger formell, sprich niederschwelliger als die traditionelle Kirche sein, also gewissermaßen weniger Predigt und mehr Miteinander?
Ja genau. Wobei das Wort niederschwellig es vielleicht nicht unbedingt trifft: Wir sind leicht zugänglich, ja, aber unser Angebot ist nicht leicht zu haben. Die Tradition der Ordensgemeinschaften ist ja nicht niederschwellig, es ist ja eine tiefsinnige, spirituelle Tradition, wo man sich schon auf eine philosophisch-spirituelle Auseinandersetzung einlassen muss.
Quo Vadis? begleitet auch Menschen, die sich berufen fühlen in ein Kloster einzutreten. Wie kann man sich das vorstellen? Ist das nicht eher der Auftrag der Orden?
Da gibt es mehrere Dimensionen. Als erstes sind die Ordensgemeinschaften selbst natürlich offen und ansprechbar für Interessierte. Es ist auch ein Herzensanliegen fast aller Ordensgemeinschaften, inspirierend und einladend zu sein. Die Ordensgemeinschaften haben aber – wie bereits gesagt – bemerkt, dass es unter Umständen einfacher ist, manche Anliegen gemeinsam anzugehen und dass nicht jede Ordensgemeinschaft alles selbst machen kann, deshalb gibt es ja diesen Ort hier. Unser Angebot ist so aufgestellt, dass man bei den Vorträgen, Treffen und Gebeten immer Ordensleute trifft. Das ist so eine Brücke, die wir schlagen, zwischen einem niederschwelligen Ort in der Stadt und mit Ordensleuten aus Wien und der Umgebung. Menschen, die so eine Frage in sich tragen, können hier jemanden kennenlernen und merken vielleicht: So wie der lebt, möchte ich auch leben, oder so wie die sich einsetzen, möchte ich es auch tun. Das ist ein Weg…
… und welchen gibt es noch?
Außerdem gehen wir mit unserem Programm auf Fragen ein wie: Wie kann ich Entscheidungen treffen? Was für ein Leben möchte ich leben und was hat Gott dabei zu sagen und wie höre ich das? Wir versuchen, Anregungen zu geben. Also dass man sich diese Frage überhaupt stellen kann und was es da für Antwortversuche von anderen Menschen schon gibt und wie man gemeinsam das Leben deuten kann. Wir verstehen uns da als eine Art Werkstatt. Das ist jetzt nicht so ein klassisches Recruiting wie es andere Firmen machen. Eine solche Lebensentscheidung ist natürlich tiefsinniger und existentieller. Trotzdem versuchen wir Vermittler zu sein.
Das ist jetzt nicht so ein klassisches Recruiting wie es andere Firmen machen. Eine solche Lebensentscheidung ist natürlich tiefsinniger und existentieller.
Ist das Klosterleben in unserer Zeit, in einer Welt der sozialen Medien, überhaupt noch etwas zeitgemäßes? In einem Kloster kannst du das ja alles nicht leben…
Jetzt darf Jana antworten. (lacht und schaut zum Nebentisch)
Dort sitzt eine junge Frau, Jana, die gerne auf die Frage angehen will. Jana ist vor Kurzem in eine Ordensgemeinschaft eingetreten.
Jana: Ins Kloster zu gehen ist schon noch zeitgemäß, es ist halt ein ganz anderer Lebensentwurf. Als Gemeinschaft kann man mehr bewirken, aber natürlich spielt auch das innere Leben eine große Rolle und es ist auch die Enscheidung, den Weg mit Gott gehen zu wollen.
Lisa Huber: Das Thema Wohnen ist für mich zum Beispiel ein total aktuelles Thema. Der Wohnungsmarkt ist zu teuer, in unserer Generation werden wir uns nie wieder eine Eigentumswohnung leisten können, weil wir einfach nie das verdienen werden, was dafür nötig ist. Die Vorstellung in einer Gemeinschaft zu wohnen, mit jeder Privatsphäre, die man dafür braucht, aber trotzdem so unmittelbar miteinander verbunden ist, miteinander kocht und isst und so weiter, das macht das Ordensleben für mich so aktuell. Das kann auch ein soziales Problem lösen.
Also quasi eine sehr sehr große WG?
Naja, es gibt schon große Ordensgemeinschaften, aber man muss sich das so vorstellen, dass jetzt nicht mehr 60-70 Leute sind, die da in einem Haus wohnen, sondern man kann schon von größeren WG‘s sprechen.
Lisa dreht sich noch einmal zu einem Nebentisch um, an dem zwei Ordensfrauen sitzen. Diese erzählen, dass sie derzeit zu zwölft in der Gemeinschaft zusammenleben.
Also schon eine große WG, ja. (lacht)
Zurück zu Quo Vadis?: Ist es wirklich der Glaube, der die Menschen zu euch bringt oder nicht auch die Suche nach Spiritualität?
Bei uns geht es im Grunde nur um Spiritualität, da ist es eigentlich egal, ob man einen personalen Gott annimmt oder ob man von einer höheren Macht spricht. Das, was Menschen auf der Suche nach Spiritualität verbindet, ist das Gefühl, dass es mehr geben muss und der Wunsch, diesem im eigenen Alltag Raum zu geben. Der Glauben ist nicht unbedingt Voraussetzung dafür und solche Menschen suchen nicht sofort eine katholische Einrichtung auf. Die katholische Kirche hat in der Vergangenheit die Kompetenz verloren, die Menschen hier abzuholen, was verständlich ist. Aber wir merken schon, dass es auch solche gibt, die auf diesem Weg dann zu uns finden.
Wenn jemand auf einem spirituellen Weg ist, dann gibt es gar nicht so viel Trennendes, sondern mehr Verbindendes.
Und wie sprecht ihr diese Menschen an?
Wir haben ein Konzept von vier Stufen. Eine davon sind spirituelle Häppchen, bei denen man sich nur kurz mit dem Thema Spiritualität auseinandersetzen kann. Das Konzept geht bis zu vertiefenden Tagen, wo man sich dann mit einer konkreten spirituellen Praxis beschäftigt. Ich würde sagen, in der vierten Stufe, wo Menschen diese Vertiefung suchen, geht es dann schon oft um Glaube.
Ist diese Suche nach Spiritualität nicht einfach nur ein Trend, eine Modeerscheinung?
Ich glaube eher, dass es eine Antwort auf eine gesellschaftliche Entwicklung ist. Es ist der Versuch einer Antwort auf eine Gesellschaft, die in die Beliebigkeit und in den Individualismus rutscht. Hier kann Spiritualität – oder in unserem Fall christliche Spiritualität – einfach Orientierung geben, ein Ritual sein, Verbundenheit mit andere erleben lassen. Ein Stück weit kann sie von der all zu individualistischen Perspektive wieder in Rahmenweiten und auf so etwas wie eine gemeinsame Schöpfung schauen lassen. Es ist auf keinen Fall ein Trend, im Gegenteil, es ist eine Wieder- oder Neuentdeckung und es tut uns als Gesellschaft nur gut.
Also sollten wir alle spiritueller werden?
Ich glaube, dass jeder Mensch grundsätzlich spirituell ist und ich glaube es tut der Gesellschaft gut, wenn man den Fragen nachgeht: Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist der Sinn? Und was hat das mit den Menschen zu tun, mit denen ich zu tun habe?
Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist der Sinn? Und was hat das mit den Menschen zu tun, mit denen ich zu tun habe?
Quo Vadis? ist dezidiert katholisch. Was ist aber mit ökumenische Veranstaltungen? Und was ist, wenn eine evangelisch-gläubige oder griechisch-orthodox-gläubige Person hier aufkreuzen würde und sich diese Räumlichkeiten anschauen möchte?
Wir fragen niemanden nach der Konfession und sind für jeden offen. Wir haben regelmäßig Veranstaltungen mit andersgläubigen Menschen. Gerade mit der orthodoxen, der jüdischen oder muslimischen Tradition haben wir auch zu tun. Das ist so ein bisschen gewachsen, weil Menschen, die auf einem spirituellen Weg sind, sich auf einer Ebene verstehen, wo es egal ist, ob ich zu diesem Gott dann Allah oder Jahwe oder Gott sage. Da gibt es ja dieses Bild, die eine Idee darstellt: Ganz oben auf einem Berg ist Gott oder die höchste Kraft. Je weiter die Wege nach oben gehen, desto näher kommen sie zusammen, inhaltlich sozusagen. Das erleben wir auch in der Auseinandersetzung. Wenn jemand auf einem spirituellen Weg ist, dann gibt es gar nicht so viel Trennendes, sondern mehr Verbindendes.
Werden sich Projekte wie das eure in Zukunft vermehrt entwickeln, vielleicht auch in Südtirol?
Die katholische Kirche muss, wenn sie in Zukunft bestehen will, Spiritualitätsvermittlung und Räume für spirituelle Auseinandersetzungen, für Fragen und Begegnung anbieten. Die Erfahrung zeigt, dass das in der Pfarrei zusehends schwieriger wird und das auch nicht unbedingt der Ort ist, wo sich Menschen beheimatet fühlen können. Ich glaube schon, dass wir da ein Experiment sind. Wir sind im deutschsprachigen Raum einmalig, so etwas wie uns gibt es sonst nirgends. Ich hoffe, dass auch andere Diözesen erkennen, dass eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Spiritualitätsvermittlung gelingen kann und wie wir dadurch Menschen Hoffnung oder eine Perspektive geben können, sehr wichtig für die Zukunft sind.
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