Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Der französische Fotograf und Globetrotter Hugues Krafft bezeichnete es 1886 als „höchst ausgefallene Gigue“. Im bayrischen Partenkirchen beobachtete er, wie junge Männer den gemächlichen Walzer mit einem Mädchen unterbrachen, um sich in einem Solo-Intermezzo selbst heftige Schläge auf Schenkel, Knie und Fußsohlen zu versetzen. Der Franzos war beeindruckt. Krafft hatte auf seinen Reisen viel gesehen, aber die Skurrilität des Schuhplattelns hinterließ ihn verblüfft.
Eine harte Lehrzeit
Zwar ist die exotische Aura des Plattelns mittlerweile verblichen, von seiner Attraktivität für Tänzer und Publikum hat dieser uralte alpenländische Tanz jedoch nichts eingebüßt. Davon können die Michelsburger Schuhplattler aus St. Lorenzen im Pustertal ein Liedchen singen. 2009 beim Almabtrieb in Stefansdorf gegründet, erfreut sich der Club großer Beliebtheit, wenngleich die Plattler dafür zunächst durch eine harte Lehrzeit gehen mussten. „Wir waren voll motiviert, Schuhplattler zu werden, hatten aber ehrlich gesagt absolut keine Ahnung davon“, gestehen der 24-jährige Patrick Rizzi und sein dreißigjähriger Kumpane Jakob Steinmair rückblickend. Bei jenem Almabtrieb begann ihr Kollege Fabian Oberhöller spontan einen Schuhplattler. Ohne Rücksicht auf tänzerische Feinheiten ließ er seiner Freude, seiner Lust am Tanzen freien Lauf und entfachte damit die Leidenschaft seiner Kollegen. „Also mussten wir uns irgendwo Hilfe holen“, erzählen Patrick und Jakob. Ihren Heilsbringer fanden sie in Albin Kerschbaumer, einem gestandenen Akteur der Garna Schuhplattler, der ihnen die hohe Kunst des Tanzens mit hüpfen, schlagen, stampfen und juchzen beibrachte. „Albin hatte endlos viel Geduld mit uns. Für ihn war' s mühsam, für uns war' s schwer“, blicken die beiden zurück, „aber wir haben' s gepackt.“
Das kann man wohl sagen. Die Michelsburger Schuhplattler haben sich in wenigen Jahren zu einem national und international gefragten Ensemble gemausert, wie Patrick und Jakob berichten: „Unser Auftritt heuer zu Ostern in Rom war ebenso ein Highlight wie das Gastspiel im September 2011 beim Wein- und Genussfest in München.“ Neben ihren Auslandsfahrten absolvieren die 14 Mitglieder des Vereins an die 20 Auftritte pro Jahr in Südtirol. Für jeden dieser Termine trainieren die 13 Jungs und das eine Mädel, das als Ziehorgel-Spielerin mit dabei ist, ausgiebig. „In der Saisonvorbereitung treffen wir uns zweimal wöchentlich zur Probe. Zwischen den einzelnen Auftritten reduzieren wir das Pensum auf eine Übungseinheit pro Woche“, erklären die zwei Puschtra. Patrick ist Hydrauliker, Jakob wechselt demnächst Branche und geht zu den Tischlern. Ihre ohnehin knapp bemessene Freizeit investieren beide in die Pflege eines „lebendigen Brauchtums“, wie es Jakob formuliert. Die Entbehrungen und der Aufwand seien zwar groß, so die beiden unisono, doch der Spaß am Platteln und der Beifall des Publikums seien die lohnende Entschädigung dafür.
Platteln ist nicht gleich Platteln
Die Lorenzner Truppe hat sich einer Abwandlung des urtümlichen Schuhplattelns verschrieben. Eigentlich war das Platteln ja als Paartanz konzipiert, ohne feste Regeln und vorgegebene Schrittfolge, dafür mit viel Testosteron und Balzgetue. Im klassischen Drei-Viertel-Takt eines Ländlers absolvierte der Bursche eine Folge von Sprüngen und Hüpfbewegungen im Rhythmus der Musik. Dabei plattelte er sich selbst auf Schenkel, Knie und Fußsohlen, klatschte in die Hände und stampfte mit den Füßen. Zum Abschluss schmiss er sich in einen kurzen walzerischen Reigen mit jenem Dirndl, das er zuvor artistisch beeindruckt hatte.
Aus diesem ursprünglichen Balztanz heraus hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein vielfältiges Spektrum an Abwandlungen entwickelt. „Wir praktizieren den so genannten Burschenplattler, erklärt Jakob, „tanzen also ohne weibliches Zutun.“ Der Burschenplattler ist, wenn man so will, der Klassiker unter den modernen Varianten. Er ähnelt noch am ehesten dem Original, während das momentan recht populäre Dirndlplatteln oder der bei Touristen so beliebte Watschentanz großzügig auf traditionelle Bezugnahme verzichten.
Abgesehen von der rein männlichen Zusammensetzung des Tanz-Teams sind die Männer aus St. Lorenzen aber durchaus progressiv eingestellt. Ihre Kluft ist einzigartig, die Tatsache, dass ein Mädchen mit ihrer Ziehorgel den tanzenden Jungs einheizt, ebenso und nachgefragt, ob sich die Michelsburger Schuhplattler vorstellen könnten, so wie die Schützen in Algund einen Schwarzen in ihre Reihen aufzunehmen, antworten sie mit einem klaren Ja.
Wahrscheinlich ist es diese gelebte Offenheit, die der Gaudi-Truppe aus dem Pustertal vor zwei Jahren zu einem sensationellen Angebot verholfen hat. „Nach unserem Auftritt in München sprach uns ein Mann aus dem Publikum an. Er war Brasilianer und hellauf begeistert von unserer Darbietung. Er wollte, dass wir in seine Heimat fliegen, um dort eine kleine Tournee auf die Beine zu stellen“, verrät Jakob. Aus dem Abstecher an die Copacabana wurde es am Ende leider nichts. Für die Michelsburger Schuhplattler war es aber der Beweis, dass sie mit ihrem Engagement und ihrer Leidenschaft sogar Samba-verwöhnte Augen und Ohren betören können. Das Schuhplatteln hat also offensichtlich nichts von seiner bezirzenden Art verloren.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support