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Eine Gruppe von Flüchtlingen schart sich vor dem Wartesaal zwischen Bahngleis drei und vier um Faizal Assan. Er trägt eine Schildkappe, eine blaue Weste und um den Hals sein Namensschild. Er gibt den Flüchtlingen die wichtigsten Informationen weiter und versucht sie zu beruhigen. Faizal ist der einzige hier, der übersetzen kann. „Jeden Tag kommen hundert Leute: Familien, Kinder, Schwangere. Sie tragen oft keine Schuhe und besitzen nur wenige Kleider. Wir helfen ihnen, wo wir können“, sagt er. Seine dunkelbraunen Augen sehen müde aus. Bis um zehn Uhr am Abend stehe er zurzeit oft am Bahnhof. Einen Monat lang hat er selbst auf Gleis drei geschlafen. Jetzt übernachtet er meist bei einem Freund, der ihm hilft, bis er eine Arbeit gefunden hat. Jeden Tag in der Früh macht er sich auf den Weg hierher, um den Leuten, die alles verloren haben, zu helfen. „Es belastet“, sagt Faizal.
Faizal ist 38 Jahre alt und stammt aus Somalia. 1992 musste er aus seiner Heimat fliehen und landete in Eritrea, studierte dort an der Universität. 2008 kam er nach Lampedusa und von dort nach Sizilien. Er weiß, welche Strapazen die Flüchtlinge hinter sich haben. Seit sechs Jahren lebt er in Italien, seit drei Monaten in Bozen. Er spricht fließend Italienisch, Arabisch und 13 afrikanische Sprachen. Jeden Tag steht er am Bahnhof, um zu übersetzen. Ehrenamtlich. Arbeit hat der Mann keine. Obwohl seine Papiere in Ordnung sind und er gelernter Koch ist. „Ich bin nach Südtirol gekommen, weil ich diesen Leuten helfen wollte“, sagt er. Viel Zeit, seine Geschichte zu erzählen, hat er nicht. Immer wieder kommen Flüchtlinge zu ihm, aber auch die Polizei, die bei der Ankunft der Züge zuhauf am Bahngleis drei und vier patrouilliert.
„Jeden Tag kommen hundert Leute: Familien, Kinder, Schwangere.“
Faizal Assan (38)Zu Hunderten stranden sie hier, am Bozner Bahnhof, geflüchtet vor Hunger und Gewalt in Somalia, Eritrea oder Bangladesh. Die Flüchtlinge, die hier ankommen, haben die Schifffahrt über das Mittelmeer geschafft. Alle in der Hoffnung, in Europa ein besseres Leben zu finden. Sie haben Wochen anstrengender Reise hinter sich und wollen nur eines: weiter nach Deutschland und in den Norden. Doch sie sitzen hier fest, weil sie keine Dokumente besitzen. Manche kaufen Zugtickets, irgendwie. Manche schaffen es, in einen Zug zu steigen, doch an der Weiterreise werden sie meistens gehindert. Notfalls holt man sie sogar gewaltsam aus den Zügen – egal ob Jugendliche oder Frauen mit Kindern.
Vielen bleibt keine andere Möglichkeit, als am Bahnhof auszuharren und auf die nächste Gelegenheit zu warten. Sie hocken auf dem Boden, schlagen die Hände übers Gesicht, blicken ratlos um sich. Manchmal streifen sie verachtende Blicke von Passanten, manchmal wird durch den Bahnhof gerufen: „Schickt sie nach Hause!“ oder „Was machen diese Schwarzen hier?“ Verstehen können die Flüchtlinge diese Worte nicht. Kaum einer spricht Englisch, Italienisch schon gar nicht. Ein Problem auch für die Helfer.
Auch die sind am Ende ihrer Kräfte. Neben dem Verein Volontarius, für den heute neben dem Camper am Eingang des Bahnhofs zwei Arbeiter vor Ort sind, helfen zahlreiche Freiwillige mit – so wie Eliana und Maria. Viele von ihnen organisieren sich über die Facebook-Gruppe „Solidarität mit Flüchtlingen – Südtirol“, die mittlerweile über 600 Mitglieder zählt. Dort spricht man auch über Faizal. Man nennt ihn „unser Held“.
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„Gestern haben zwölf Leute hier geschlafen“, sagt Faizal und zeigt auf den kleinen Warteraum zwischen Gleis drei und vier. Das war vergangene Woche. Mittlerweile ist der Warteraum dicht. Mit Eisenketten verschlossen, für die eigens Löcher in die Wand gebohrt wurden. Seit vergangenem Samstag steht den Helfern zwar ein Raum auf Gleis eins zur Verfügung, der wird aber jeden Tag um 19 Uhr geschlossen. Danach versorgen die freiwilligen Helfer die Hilfsbedürftigen notgedrungen aus ihren Rucksäcken. Auch die Boznerin Eliana. Sie will den Leuten direkt helfen – ohne den Zwischenschritt Bürokratie. Eliana war von Beginn an unter den Freiwilligen, in den ersten Tagen war sie sogar alleine und mit ihrem eigenen Geld vor Ort. Eliana nimmt Spenden entgegen. Alleine an diesem Tag kamen bereits drei Frauen zu ihr, um Geld zu spenden. Zahlreiche Südtiroler zeigen sich solidarisch und bringen Lebensmittel oder Kleidung.
„Ich mache das, was ich machen kann“, sagt die Frau mit den kurzen, grauen Haaren. Aber Essen auszuteilen allein reiche nicht. Eliana ist wütend. Die Situation verlange nach einem sofortigen Eingriff der Behörden und der Politik. Auch Maria sagt: „Die Politik tut nix, die Stocker macht vielleicht ein Foto, wenn sie mal herkommt.“ Soziallandesrätin Martha Stocker kündigte vor kurzem an: Erst wenn die Freiwilligen sich zurückziehen, würden die Ressourcen des Landes mobilisiert werden. Ein Schlag ins Gesicht für die vielen Helfer. „Die Reaktion der Politik ist unter aller Würde“, sagt Maria.
Eliana ist einst selbst mit ihrer Familie von Brasilien nach Südtirol gekommen. Jetzt will sie anpacken, wo es geht. Manchmal erntet sie für ihre direkte Hilfe auch Kritik von Volontarius. Denn Eliana will den Flüchtlingen helfen, an den Brenner zu kommen. „Volontarius sagt, das ist illegal. Aber der Brenner ist noch Italien“, sagt Eliana laut. Sie weiß, dass das keine langfristige Lösung ist. Auch am Brenner ist man mit der Situation überfordert. „Die Politik muss eine Lösung finden. Wenn die Leute hier auf der Straße leben, dann entsteht ein anderes soziales Problem. Und die Wut der Bevölkerung wächst“, sagt sie bestimmt. Wie die übrigen Helfer vor Ort ist auch Eliana langsam physisch und psychisch am Ende. Sie ist sichtlich mitgenommen von der Ohnmacht, die sie manchmal verspürt. „Wo sind die Menschenrechte?”, bringt sie unter Tränen hervor.
„Wo sind die Menschenrechte?”
Eliana„Eliana ist dauernd im Einsatz, da bricht man auch mal zusammen“, sagt Maria. Die Jenesierin ist zweimal die Woche am Bahnhof, um freiwillig mitzuhelfen. Auch sie verteilt Essen: Äpfel, Bananen, Kekse, Thunfisch, Kräcker – alles, was leicht mitgenommen werden kann, wenn sich die Flüchtlinge in einen der Züge in Richtung Brenner wagen. Während Maria erzählt, kommt ein junger Mann zu ihr. „Do you have any questions?“, fragt sie ihn. Er hebt die Schultern, zeigt auf die Bahngleise, Ratlosigkeit in seinen Augen. Maria streicht ihm über den Arm.
„Wir können nicht viel helfen, aber wir können da sein. Den Leuten ist ja alles genommen worden, zumindest ein Minimum an Würde und ein bisschen Mitgefühl können wir ihnen da geben“, erklärt Maria. Ihre Buben seien gleich alt wie einige der Flüchtlinge, die hier neben den Gleisen auf und ab gehen und warten. Warten, bis sie endlich weiterkommen, um irgendwann in Europa ein neues Leben anfangen zu können.
„Den Leuten ist alles genommen worden, zumindest ein Minimum an Würde und ein bisschen Mitgefühl können wir ihnen da geben.“
MariaPetra Schwienbacher, Armin Mutschlechner
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