Als ich im Vahrner Haus Voitsberg ankomme, singt Angela Merkel gerade ziemlich unmotiviert die deutsche Nationalhymne. Ich weiß, wie’s dir geht, Angela, ich bin auch nur undercover hier, ein Fan für eine Nacht sozusagen. Keine Sorge, ich geb’s ja gern öffentlich zu: An mir ist kein großer Fußballbegeisterter verloren gegangen. EM und WM hab ich trotz der selbsterklärenden Abkürzungen allein heuer mehrfach verwechselt, bei Balotelli denke ich automatisch an exotische Pastasorten und beim letzten Deutschland-Match, das ich auf einer Leinwand verfolgt habe, hieß der Mannschaftskapitän Hans Landa. Bis heute: Deutschland spielt gegen Portugal und wird, so sagt es zumindest Krake Regina voraus, in 90 Minuten als Sieger vom Platz gehen. Ein Urteil, auf das ich mich jetzt einfach mal verlassen muss, weil ich den anwesenden Zusehern und ihren weiblichen Begleitungen keinen Heulkrampf wünsche: Vahrn ist sowohl eine Deutschland-Fanhochburg. Hier treffen heute strahlend weiße Trikots auf schwarze „Dem-Land-Tirol-die-Treue“-Leibchen (übrigens die einzig offiziell anerkannte WM-Modekollektion des Schützenbundes). Dennoch: Hier wird zum Glück keine Politik gemacht, Angela singt ihre Hymne ganz ohne Publikumsbeteiligung.

Minute 2 startet mit einem leisen Raunen, als die erste Torchance das Herz der Deutschlandfans höherschlagen lässt. Ich nippe an meinem Bier und schaue auf die schwach beleuchtete Leinwand, umrahmt von zwei riesigen Deutschland-Flaggen samt Bundesadler. Selbst die Barwand hat in Vahrn einen klaren Favoriten. Minute 7: „Schiaß, schiaß, schiaß, SCHIASS, NA, DIOCANE!“, schallt es laut aus Reihe Eins. Hier sitzen, wie die stolzen Eltern im Schultheater, die allergrößten Fans. Ein paar Reihen dahinter hat eine Familie samt circa dreijährigem Kleinkind ihre Wangen deutschlandisiert, zumindest den Kleinsten scheint das Geschrei weiter vorne wenig zu beeindrucken. Er weiß nicht, was auf ihn zukommt. Minute 11, Foul an Götze, Müller schießt, Vahrn bebt und … TORTORTORLINKSUNTENTORTOR. Der Vater des Kleinkinds ist ein Meister im Multitasking: Er schreit, beruhigt seinen Sohn, schreit, beruhigt, schreit, „Ist doch nur ein Spiel“, schreit er. Und nach einem zufriedenen „Diocane“ wird es wieder ruhig. Der universale Fluch passt einfach, egal was gerade auf der Leinwand passiert.
Lahm wird gefoult = „SCHEISSE, DIOCANE“,
Hummels schießt zum 2:0 = „JO SCHIAN, DIOCANE“,
Pepe muss wegen einer nun mal wirklich zuckersüßen Kopfnuss vom Platz „VERZIACH DI, DU SCHÄDLING“ – Pause – „diocane“.
Als es zehn Minuten später zum 3:0 kommt, würde es mich nicht überraschen, wenn die Vahrner Fans dem beherzten „Oh, wie ist das schön“ aus dem Stadion ein „Diocane“ hinzufügen würden. Immerhin schreit hier niemand „SCHLAND“. Herzliches Dankeschön dafür.

Nach der Halbzeitpause, in der leere Bierkrüge und Facebook-Pinnwände gefüllt werden, wäre es für mich eigentlich Zeit, heimzugehen. Meine mangelnde Begeisterung sorgt schon langsam für misstrauische Blicke, die seit Minuten andauernde Männerumarmung in Reihe 3 will ich allerdings auch nicht stören. Ich bleibe also bis zum 4:0 (Müllers Dreifaltigkeits-Tor) und kriege gerade noch mit, wie Müller unter allgemeinem Applaus den Platz verlässt. „Schian, diocane, bravo, diocane, i bin fertig!“ Ich auch.