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Irina Ladurner
Veröffentlicht
am 13.05.2019
LebenKörperkult in den sozialen Medien

​Nie schön genug

Veröffentlicht
am 13.05.2019
​Muskulöse Körper, schlanke Beine, makellose Haut: Soziale Medien konfrontieren uns mehr denn je mit Schönheitsidealen. Filmemacherin Jennifer Rezny über die Frage, was das mit jungen Frauen macht.
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Beim Scrollen durch Facebook, Instagram und Co. werden wir ständig mit unerreichbaren Körperbildern konfrontiert – und das intensiver denn je. Denn Schönheitsideale, die wir früher mit Models und Starlets in Verbindung brachten, verkörpern heute Frauen wie du und ich. Fitnesswahn, Essstörungen, Bodyshaming und Sexismus sind die Folgen.

Die Wiener Filmemacherin Jennifer Rezny zeigt in ihrem Dokumentarfilm „Nie genug“, wie diese scheinbar perfekten Bilder junge Frauen unter Druck setzen und Selbstzweifel und Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen schüren. Sie traf für ihren Film sieben Frauen Mitte zwanzig, von der Bikini-Athletin bis zur türkisch-stämmigen Rapperin, die jede auf ihre Art vom Körperkult in den sozialen Medien beeinflusst wird. BARFUSS hat die Filmemacherin zum Interview getroffen.

Was war der Anlass für dich, das Thema aufzugreifen?
Schon als Teenager hat es mich verunsichert, wenn ich diese geschönten Plakate gesehen habe. 2018, als mir die Idee für den Film kam, hatte ich das Gefühl, dass sich das durch soziale Medien verstärkt. Beim Scrollen durch Facebook oder Instagram wird man ständig mit geschönten Bildern konfrontiert. Ich habe mich gefragt, wie es jungen Frauen damit geht. Bei meiner Recherche stieß ich auf eine kanadische Studie, die zeigte, dass Social Media das Unsicherheitsbefinden junger Frauen massiv verstärkt hat. Das war der Grund für mich, mir das Thema genauer anzusehen.

Regisseurin Jennifer Rezny

Wie verändert Social Media unsere Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper im Vergleich zu früher?
Durch Social Media sind wir häufiger und intensiver mit geschönten Bildern von Frauen konfrontiert. Früher waren das Supermodels auf Plakaten oder Schauspielerinnen im Fernsehen. Da konnte man sagen, das sind Stars, an die komme ich sowieso nie ran. Heute aber sind das Bloggerinnen oder Influencerinnen, Frauen wie du und ich. Das erzeugt einen größeren Druck und junge Frauen denken sich: das kann ich auch. Außerdem hängen viele Frauen stundenlang auf Social Media herum, wo sie ständig von solchen Bildern bombardiert werden.

Hat die Recherche deine anfängliche These beeinflusst?
Die These, dass Frauen diesen Bildern häufiger ausgesetzt sind und sich das Unsicherheitsbefinden verstärkt hat, haben mir die Frauen und Experten im Film bestätigt. Allerdings sind auch Themen wie Diversität seit Aufkommen von Social Media präsent. Demnach gibt es ein Gegengewicht, das größer wird – das war mir zu Beginn nicht bewusst. Auch der Ästhetikforscher im Film hat einen für mich neuen Aspekt angesprochen: Ich dachte, wenn ich reflektiere, dass diese Bilder nicht echt sind, können sie mir nichts anhaben. Der Experte erklärt aber, dass das Gehirn nicht zwischen real und irreal unterscheiden kann und Bilder als real abspeichert. Je mehr man davon konsumiert, umso größer ist die Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und diesen Bildern. Je weniger Bilder man sich also ansieht, die unangenehme Gefühle auslösen, umso weniger entsteht ein Gefühl von Mangel. Damit sind wir dem Druck der Bilder nicht hilflos ausgeliefert. Ich kann mir zwar nicht aussuchen, welche Werbeplakate auf der Straße hängen, aber wählen, was ich mir auf Social Media anschaue und welchen Seiten oder Usern ich folge. Folge ich jemandem, der sich zeigt, wie er ist oder jemandem, der mit Filtern arbeitet, sich aus den schönsten Perspektiven präsentiert und seine Bilder bearbeitet?

Was ist überhaupt schön?
Schönheit ist etwas, das nicht der Masse entspricht. Wenn alle danach streben und sich viele Menschen dem Ideal annähern, wird es uninteressant und muss durch ein neues ersetzt werden. Früher galten üppige Frauen als schön. Und in den 90er-Jahren waren es Silikonbrüste wie von Pamela Anderson in Baywatch. Jetzt ist hingegen ein durchtrainierter Po wichtig. Dadurch, dass sich Ideale verändern und nichts Konstantes sind, ist Schönheit brüchig – so erklärt es die Psychologin im Film. Schönheit ist nichts in Stein Gemeißeltes. Dem Gehirn wird suggeriert, etwas sei schön und das nimmt es dann als schön wahr.

Model Jazz

Du hast für den Film sieben junge Frauen getroffen, die auf unterschiedliche Weise vom Körperkult beeinflusst sind. Welche Begegnung hat dich am meisten bewegt?
Ich habe versucht, sieben ganz unterschiedliche Protagonistinnen zu finden. Ich dachte, je vielschichtiger ihre Charaktere und Perspektiven sind, desto eher kann ich die Breite des Themas abdecken. Am traurigsten hat mich von diesen sieben Protagonistinnen das Fitnessmodel gemacht und am kraftvollsten und beeindruckendsten fand ich die Rapperin. Ich habe selten eine junge Frau kennengelernt, die so selbstbewusst ist – im positiven Sinn – und so in sich ruht. Von so einer Frau kann man sich inspirieren lassen. Das Fitnessmodel ist eine reizende, intelligente junge Frau, aber gefangen in dieser Fitnesswelt – das wirkte auf mich wie eine Sucht. Es ist eine unglaubliche Leistung, die sie da erbringt, ähnlich einer Spitzensportlerin. Aber bei ihr dreht sich alles nur darum und das kam mir total unfrei vor. Auch die Vorstellung, dass sie das in zehn Jahren nicht mehr machen kann, weil es physisch nicht mehr geht, hat mich traurig gemacht.

Es gibt Plus Size Models und Werbekampagnen wie von Dove, die dem Körperkult entgegen wirken wollen. Zeichnet sich ein Umdenken ab oder sind das vorgeschobene Versuche, Frauen ihr Selbstbewusstsein zurück zu geben, die doch wieder mit dieser Unsicherheit der Frauen spielen?
Die Plus Size Models, die das Model im Film kennt, haben Größe 38 oder 40. Frauen tragen durchschnittlich Größe 40. Den Durchschnittskörper als Plus Size zu bezeichnen ist demnach diskriminierend. Der Begriff suggeriert der Frau: du bist zu viel. Es ist gut, wenn Werbekampagnen Diversität in den Vordergrund rücken und unterschiedliche Figuren und Typen zeigen. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Unternehmen etwas verkaufen wollen. Die Industrie funktioniert eben so: Wir würden uns die Cremes, die Wimperntusche oder das Puder nicht kaufen, wenn wir nicht das Gefühl hätten, wir bräuchten das, um schöner zu werden. Kampagnen wie von Dove zeigen zwar unterschiedliche Körperformen, die Haut wird aber doch wieder weichgezeichnet und alle Frauen sind strahlend schön. Es gibt aber auch Kampagnen, die tatsächlich Dehnungsstreifen und andere Makel zeigen, wie H&M das jetzt zum Beispiel gemacht hat.

Es gibt Menschen, die andere online anonym aufgrund ihres Aussehens beleidigen – man nennt das „Bodyshaming“. Wer sind diese Leute, die andere öffentlich beschimpfen und wen trifft das besonders?
Oft trifft es Frauen, auch weil Frauen noch immer stärker objektiviert und sexualisiert werden. Bodyshaming geht vielfach von Männern aus. Ich kann mir vorstellen, dass das Männer sind, die Angst vor Frauen haben, davor dass sie ihnen etwas wegnehmen. Hält man Frauen klein, indem man sie objektiviert und als gut oder schlecht einstuft, braucht man weniger Angst davor haben, dass sie einem ebenbürtig sind und erkennen könnten, dass man nicht so toll ist, wie man es gern wäre. Es sind natürlich nicht nur Männer, die das machen. Ich habe bei meiner Recherche beobachtet, dass auch Frauen – zumindest laut Profil waren es Frauen – auf Körpereigenschaften anderer Frauen beleidigend reagieren. Das tut mir noch mehr weh. Die müssten ja wissen, wie es sich anfühlt, wenn man als Frau ständig bewertet wird.

Wenn ich mein Schönheitsideal erreiche – bin ich dann glücklich?
Das Fitnessmodel hat vor allem erzählt, wie unglücklich und angespannt sie ist und wie diszipliniert sie sein muss, um ihr Schönheitsideal für die Wettbewerbsphase zu erreichen. Sie darf eine Zeit lang ganz wenig trinken und das Körperfett muss möglichst auf Null gehen, damit die Muskeln noch stärker sichtbar werden. Ihr Idealgewicht und die Idealfigur hat sie aber nur für ein paar Tage, denn diesen Zustand kann man gar nicht dauerhaft herstellen. Für einen kurzen Moment erlebt sie dann dieses Höhegefühl, eine Art High. Das ist kein Glück, das von Innen kommt, sondern ein kurzer Kick wie auf Droge. Du willst dieses High zwar immer wieder, aber richtiges Glück ist es keines. Es sollte wohl mehr um Zufriedenheit gehen. Es gibt Tage, da fühlt man sich wohl, man mag, wie man aussieht und ist gut drauf. Und dann gibt es Tage, da fühlt man sich nicht wohl, will sich zurückziehen. Ich glaube, dass das ok ist. Es reicht zu wissen, heute ist ein Tag, da fühle ich mich nicht so wohl, aber ich weiß, das wird vergehen. Zufriedenheit kann jeder herstellen, indem man sich bewusst macht, dass es eben keine Dauerzufriedenheit gibt.

Rapperin Esra

Hast du im Rahmen deiner Recherche Frauen getroffen, die zufrieden sind mit ihrem Körper?
Bei der Rapperin hatte ich diesen Eindruck. Es wird natürlich nicht jede Frau mit so einem Selbstbewusstsein geboren. Kindheit und Sozialisation spielen da eine Rolle: Die Frage, welche weiblichen Vorbilder man hatte, wie die eigene Mutter war zum Beispiel. Die Rapperin war wohl schon als kleines Kind sehr selbstbewusst und wurde von ihren Eltern bestärkt, das zu tun, was sie möchte. Als Frau, die in einer türkischen Community aufgewachsen ist, die rappt und sich „männlicher“ kleidet, ist sie oft kritisiert worden und hat viel Widerstand erfahren. Sie hat das ausgehalten und ist sich treu geblieben. Die Studentin im Film, die unter Magersucht litt, hatte eine Mutter, die dauernd mit ihrem Gewicht gehadert hat. Der Vater war sehr sportlich und hat der Mutter immer wieder gesagt, sie hätte zugenommen. Das hat die Tochter verunsichert. Das ist nicht der einzige Grund, warum sie aufgehört hat zu essen, aber sicher mit ein Grund.

Was muss sich ändern, damit junge Frauen Zufriedenheit und Akzeptanz finden?
Natürlich sollten die Medien Individualität mehr Raum geben und unterschiedliche Typen zeigen und die Industrie einen moralisch-ethischen Anspruch an das Ganze legen. Politiker könnten einführen, dass man retuschierte Fotos gar nicht erst zeigen darf. In Frankreich müssen diese Bilder ja schon als retuschiert gekennzeichnet werden. Allerdings wirkt das Bild eben immer stärker als die Kennzeichnung und das Gehirn speichert es als echt ab. Insofern müsste man diese Bilder verbieten, was der Industrie natürlich nicht gefallen würden. Das Wichtige aber ist: Man ist nicht hilflos und kann bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen, was man sehen will.

Was möchtest du jungen Frauen noch mitgeben?
Das Bewusstsein, dass das Bild stärker wirkt als jede Reflexion darüber, dass es nicht echt ist. Und ich würde den Tipp geben, über eigene Unsicherheiten zu reden. Körperlichkeit ist oft mit Scham verbunden, deshalb spricht man wenig darüber. Man will sich seine Komplexe nicht anmerken lassen, dabei ist es wichtig, mit Menschen, die einem nahe stehen, darüber zu reden. Oft zeigt sich so, dass das Bild, das man von sich selbst hat, ganz anders ist als jenes, das andere von einem haben. Etwas aus Scham für sich zu behalten, es zu verstecken oder zu kompensieren kann zu unfreiem oder sogar zwanghaftem Verhalten führen.

„Nie genug“ von Jennifer Rezny (Feuer und Flamme Film) hier in voller Länge ansehen.

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