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Die Studienzeit ist die schönste Zeit im Leben? Wer schon vorher Zweifel an dem Spruch hatte, darf nun beruhigt sein. Das Losungswort diverser Generationen ist inzwischen endgültig außer Kraft gesetzt. Millionen Studierende waren in den letzten Wochen in schlecht durchlüfteten WG-Zimmern eingesperrt oder haben sich wieder bei Hotel Mama einquartiert. Auch wenn man mittlerweile wieder an die frische Luft kann, bleibt all das, was studentisches Leben ausmacht – sozialer Austausch, anregende Seminare, dionysische Nächte – bis auf Weiteres Zukunftsmusik. Die Probleme vieler Studierender gehen aber noch deutlich weiter und betreffen nicht selten ihre Existenz. Dass darüber kaum gesprochen wird, sieht Julian Nikolaus Rensi, stellvertretender Vorsitzender der Südtiroler HochschülerInnenschaft, als symptomatisch.
Dein Telefon klingelte in letzter Zeit ziemlich oft. Krisengespräche?
Das kann man wohl so sagen. Bei der SH sind wir seit Wochen rund um die Uhr damit beschäftigt, die politischen und administrativen Entscheidungsträger auf die Probleme unserer Kommilitoninnen und Kommilitonen – also auf unsere Probleme – hinzuweisen. Und jedem Telefongespräch, sei es mit Beamten oder Politkern, gehen zahllose interne „Strategiegespräche“ voraus. Man muss sich ja überlegen, wann man welche Forderung platziert, wem gegenüber und wie. Ich wollte die lange Auszeit vom „normalen“ Leben eigentlich zum Lernen nutzen – das hat bisher nicht optimal funktioniert. Eher habe ich jetzt ein Gefühl dafür bekommen, wie es sich in einem Krisenstab arbeitet. Auch eine Erfahrung …
Wurdet ihr als Studierendenvertretung in die politischen Entscheidungsprozesse miteingebunden?
Wir haben zwar einige Male direkt mit den Entscheidungsträgern und -trägerinnen sprechen können, aber aktiv eingebunden wurden wir nicht. Das macht die Sache leider nicht einfacher; es wäre zielführend gewesen, wenn man uns bei der Planung von verschiedenen Maßnahmen von Beginn an hätte mitwirken lassen: Wir kennen die Sorgen, Erwartungen und Wünsche der Südtiroler Studierenden aus erster Hand. So müssen wir hingegen Tag für Tag aufs Neue das Gespräch suchen, arbeiten an vielen Baustellen zugleich und sind von den sich überschlagenden Ereignissen getrieben. Und für die Studierenden schaut immer nur Schritt für Schritt was raus. Das sorgt dann naturgemäß für Unmut.
Sagt das möglicherweise etwas über den Stellenwert von Studierenden in der Südtiroler Gesellschaft aus?
Andere, mächtige Lobbys haben mehr Druckmittel und schaffen es, die Interessen ihrer Klientel sehr schnell durchzusetzen. Man muss realistisch sein und sich eingestehen, dass die Meinung der Jugend (also auch der akademischen Jugend, der Studierenden) in der breiten Debatte um die Coronakrise nicht allzu gefragt war und ist. Im Gegenteil. Zu Beginn der Pandemie wurden wir pauschal in ein schlechtes Licht gerückt, da wir als „super-spreader“ ja so verantwortungslos seien und nur dazu fähig, respektlose Coronapartys zu schmeißen. Offenbar haben uns Bill Gates bzw. die Regierung Conte aber als Sündenbock inzwischen abgelöst.
Zu Beginn der Pandemie wurden wir pauschal als „super-spreader“ in ein schlechtes Licht gerückt.
Immerhin wurde nun eine zentrale Forderung der SH, nämlich eine Lösung für Studierende, die an ihren Studienort in Österreich zurückfahren müssen, gefunden.
Es sieht danach aus. Die österreichischen Bundesminister Faßmann (Bildung, Wissenschaft, Forschung) und Nehammer (Inneres) haben in einem an Landesrat Philipp Achammer adressierten Brief erklärt, die Verordnung, in der die Einreise nach Österreich geregelt wird, „studierendenfreundlich“ auslegen zu wollen. Nämlich so, dass Südtiroler Studierende nicht in die ansonsten vorgeschriebene zweiwöchige Quarantäne gehen müssen. Problematisch ist, dass es sich nur um eine – wenn auch offizielle – Interpretation handelt, die Norm an sich wurde nicht geändert. Wohl deshalb gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung, manche Grenzpolizisten waren nicht im Bilde und Nordtiroler Behörden haben die neue Handhabe sogar kurzzeitig auf Eis gelegt. Vermutlich alles ein Kommunikationsproblem, das mittlerweile auch behoben ist, aber es verdeutlicht, wie sehr derzeit alle überlastet sind.
Warum war diese Ausnahme für Studierende wichtig?
Die meisten Südtirolerinnen und Südtiroler studieren in Österreich. Die Frage zu klären, ob und wie man dorthin aus- bzw. einreisen darf, war für uns als Studierendenvertretung aus zwei Gründen fundamental. Erstens gingen Anfang Mai in Österreich die Präsenzprüfungen wieder los, und zweitens wissen wir von vielen Studierenden, dass sie fast all ihre Lernunterlagen und Bücher am Studienort zurückgelassen haben, als sie eilig heimgekehrt sind. Man wusste ja Mitte März nicht, dass der Notstand so lange anhält.
Studierende haben derzeit noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Welche sind die drängendsten?
Die coronabedingte Wirtschaftskrise ist eine große Gefahr für das Recht auf Hochschulbildung. Denn ein Studium ist mit teils hohen Kosten verbunden, aber viele Familien werden finanziell unter den Folgen der Krise leiden, und damit auch die Studierenden. Außerdem bleiben Verdienstmöglichkeiten im Sommer aus und bereits jetzt sind die vielen typischen Studentenjobs weggefallen, mit denen viele sich ihr Studium (mit-)finanzieren. Wir haben unzählige verzweifelte Anfragen bekommen, ob es z. B. für die Mieten öffentliche Hilfsgelder gibt. Denn auch wenn viele Studentenwohnungen leer stehen, bleibt die Miete zu zahlen. Zu diesen materiellen Problemen gesellt sich der massive Verlust der Lebensqualität; gerade in der Studienzeit will man Freiheit genießen, sein Leben individuell gestalten. Das geht jetzt kaum noch. Und jede noch so gut gemeisterte, onlinebasierte Fernlehre kann nicht die direkte, soziale Interaktion an der Uni ersetzen. Die Diskussion, die politische und kulturelle Öffentlichkeit – das sind wesentliche Elemente des akademischen Lebens, die jetzt abhandenkommen.
Wir wissen, dass noch Gelder aus der Bildungsförderung übrig sind, aber noch nicht ausgezahlt wurden. Wir reden hier von beachtlichen Summen.
Welche finanzielle Unterstützungsmaßnahmen fordert die SH?
Das Land hat Unternehmen und Selbstständigen unter die Arme gegriffen, ähnliche Hilfsleistungen sind auch für Studierende notwendig. Dadurch würde man ja auch Familien entlasten. Wir bräuchten außerordentliche Beihilfen, die nach objektiven, sozialen Kriterien ausgezahlt werden. Das könnte im Rahmen eines eigenen Wettbewerbs analog zum bereits existierenden Wettbewerb für die Studienbeihilfen erfolgen. Alternativ dazu ist eine Art Notfall-Fonds denkbar, aus dem man Gelder bekommt, wenn man nachweisen kann, dass sich die eigene Wirtschaftslage infolge von Corona verschlechtert hat – also dem österreichischen Modell folgend. Egal wie man es konkret umsetzt: Es muss so eine öffentliche Hilfe geben, und zwar schnell! Die sizilianische Regierung hat schon Anfang April ganze sieben Millionen Euro nur für Mietbeihilfen an Studierende beiseite gelegt – und in Südtirol ist man erst bei den Planungen. Aber wir sind im Austausch mit den zuständigen Stellen. Dort wird an Lösungen gearbeitet, und wir bestehen, wie gesagt, auf angemessene und gerechte Unterstützungsmaßnahmen.
Hat das Land Südtirol dafür die Mittel?
Es muss die Mittel dafür haben. Und wir wissen, dass noch Gelder übrig sind, die für die Bildungsförderung bereitgestellt, aber noch nicht ausgezahlt wurden. Wir reden hier von beachtlichen Summen, mit denen man einiges anfangen kann. Für das kommende Jahr werden zudem wohl mehr Studierende um eine Beihilfe ansuchen als noch 2019. Hier wird man um eine Aufstockung der finanziellen Mittel nicht herumkommen, wenn man verhindern will, dass viele ihr Studium abbrechen.
Welche spezifischen Probleme haben Studierende an Südtiroler Hochschulen?
Weniger als andere, offenbar. Unsere Kollegen und Kolleginnen von der Freien Universität Bozen haben mir bestätigt, dass das Rektorat recht schnell gehandelt hat und etwa der Übergang zur digitalen Lehre gut gemanagt wurde. 95 Prozent der Vorlesungen werden per Fernlehre abgehalten. Auch die Kommunikation mit den Studierenden habe gut funktioniert, allein die Prüfungsmodalitäten wurden in einigen Fällen erst spät definiert. Bemerkenswert ist auch, wie sehr sich die Uni darum bemüht hat, den Bibliotheksdienst trotz #ibleibdahoam möglichst aufrecht zu erhalten. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch, dass sich in der Krisenzeit die hohe Bedeutung einer gut organisierten Studierendenvertretung gezeigt hat. Nur wenn sich die Studierenden zusammentun und gemeinsam für ihre Interessen einstehen, bewegt sich etwas. Der Austausch zwischen der Hochschülerschaft, der MUA (Movimento Universitari Altoatesini) und den student‘s speakers der Uni Bozen wurde intensiviert und stellt sicher, dass gegenüber der Landespolitik sowohl die lokalen Probleme der Studierenden in Südtirol, als auch die der außer Landes studierenden Südtirolerinnen und Südtiroler Gehör finden.
Hast du den Eindruck, dass die SH mit ihren Anliegen in den Südtiroler Medien gut vertreten ist?
Die Südtiroler Medienlandschaft folgt ihren eigenen Gesetzen. Im Vergleich zu anderen Interessenvertretungen sind wir in den gedruckten Medien jedenfalls nicht gerade überrepräsentiert. Das mag mit der Zielgruppe der Zeitungen, der typischen Leserschaft zusammenhängen, die vielleicht weniger aus Studierenden besteht. Daher müssen wir flexibel sein, zwischen verschiedenen Kommunikationskanälen wechseln, und Mitglieder bzw. Studierende erreichen wir in den letzten Wochen vielfach über die gegenwärtige Ersatz-Öffentlichkeit namens Facebook. Es gibt hierzulande aber durchaus Medien bzw. Journalisten und Journalistinnen, die offen für unsere Gedanken und Themen sind und uns gerne entgegenkommen. Im Allgemeinen stelle ich fest, dass die Öffentlichkeitsarbeit der SH in den allerletzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Gut, denn: Interessenvertretung ohne (wie auch immer gestaltete) mediale Präsenz ist wie Schlutzkrapfen ohne Schmalz.
Aber diese Präsenz gibt Stol.it und der Südtiroler Jugendring den Jugendlichen ja in ihrer neuen Kooperation. Junge Menschen können Erfahrungsberichte zur Coronakrise einsenden, die dann veröffentlicht werden …
Nun ja, man will Jugendlichen „eine Stimme geben“. Aber solche „Erfahrungsberichte“ sind höchst subjektiv und nicht repräsentativ. Selbst wenn sie mit sinnvollen Forderungen verbunden sein sollten, bringen sie uns Studierenden nicht viel, denn die Politik kann sie getrost ignorieren. Es sind ja bloß Einzelmeinungen. Sie verleihen einem höchstens das Gefühl, gehört zu werden, oder man kann Frust abbauen. Der Vertretung und Durchsetzung von Interessen – in unserem Falle, der studentischen – nützt so etwas jedoch nicht, denn dazu braucht es gerade Allgemeingültigkeit, die nur von dazu berufenen Organisationen kommen kann.
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