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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 21.12.2020
LebenAktionsgruppe Schenke Zukunft

Nackt gegen Konsum

Veröffentlicht
am 21.12.2020
Sie standen zehn Minuten nackt auf dem Bozner Siegesplatz, auf ihren Bäuchen die Schrift: „Regala Zukunft“. Ein Appell zur besinnlichen Weihnacht, mit weniger Konsum.
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Ein Pulli gegen die Kälte, aber nicht zehn Schuhe: Die Aktivisten von “Extinction Rebellion” und “Schenke Zukunft” stellen bei 6 Grad Celsius die Frage, wie …

Am goldenen Sonntag, dem letzten vor Weihnachten, ist Einiges los in der Landeshauptstadt. Eine Schar an Weihnachtsmännern – sie fahren Vespa – rast unter lautem Gehupe an mir und meinem Klapperfahrrad vorbei. Ich bin gerade unterwegs zu einem Flashmob, dessen Veranstalter ankündigten, sich im Freien vor der Öffentlichkeit nackt auszuziehen. Eine Skurrilität kommt wohl selten allein, denke ich, und radle weiter in Richtung Siegesplatz. Von weitem sehe ich die hautfarbenen Gestalten, die sich abheben von der Masse schwarzer Mäntel um sie herum. Es scheint, als würde die Aktion die gewünschte Aufmerksamkeit erzeugen.

„Weniger ist mehr“. Diesen Spruch kannten schon unsere Großeltern, bevor die Folgen der Industrialisierung auf die Umwelt bekannt wurden und wir als „Konsumgesellschaft“ beschrieben wurden. In Zeiten von Klimawandel und Wegwerf-Lifestyle ist dieser Spruch umso berechtigter. Doch scheint er besonders in der Weihnachtszeit verdrängt zu werden, denn unter dem Christbaum weicht der Umweltschutz dem neuesten I-Phone, die Genügsamkeit dem Päckchen mit der letzten Amazon-Bestellung. Auf die Folgen dieses weihnachtlichen Kaufrausches will die Bürgerinitiative “Schenke Zukunft” gemeinsam mit der Umweltgruppe “Extinction Rebellion South Tyrol” hinweisen – und lässt dafür die Hosen runter.

Auf dem Siegesdenkmal hat sich eine Menschentraube vor rund vierzehn jungen Menschen versammelt, die, bis auf die Unterhose, nackt auf dem Bozner Siegesplatz stehen. Im Dezember, bei gerade einmal 6 Grad. Sie stehen im Halbkreis, jeder einen Buchstaben auf den Bauch gemalt, und zusammengenommen bilden die Buchstaben die Aufschrift: Regala Zukunft. Statt materieller Güter, so die Message der Aktion, solle man Zukunft schenken, also einen sauberen Planeten mit gesundem Klima. Und Zeit, für Freunde, Verwandte und das, was wirklich zählt im Leben. „Unser Konsum macht ein Drittel unseres CO2-Fußabdrucks aus,“ erklärt David Hofmann. „Es gibt also viel Spielraum, mit dem wir als Individuen zum Klimaschutz beitragen können.“

Hofmann ist Neurowissenschaftler aus Sterzing, und forschte bis vor Kurzem an der Universität von Atlanta in den Vereinigten Staaten. Seit kurzem ist er nach Südtirol zurückgekehrt und hat die Bürgerinitiative mitgegründet.

Die Aktivisten möchten Menschen auch daran erinnern, dass sie durch Verzicht viel gewinnen können: „Mentalen Raum für uns selbst, aber auch für die Gesellschaft. Denn weniger Konsum schenkt uns mehr Zeit, die wir anderen Menschen widmen können,“ so Hofmann.

Wer weniger konsumiert, muss weniger arbeiten und hat mehr Zeit, die man anderen schenken kann: Dazu braucht man auch kein Weihnachtsmannkostüm.

Naivität will sich Hofmann nicht vorwerfen lassen, denn dass Konsum in unserem Wirtschaftsmodell zu Wachstum beiträgt, und vielen aufstrebenden Ländern und Unternehmen in Entwicklungsländern zu Wohlstand verhilft, leugnet er nicht: „Kurzgedacht stimmt das. Langfristig gesehen muss man aber bedenken, dass unter dem Klimawandel eben jene Entwicklungsländer wieder verstärkt leiden würden. Bereits jetzt verarmen viele Menschen aufgrund von zu trockenen Böden.“

Die Initiativgruppe “Schenke Zukunft” stellt sich auch nicht pauschal gegen Konsum. Es geht ihr um die Art des Konsums: „Konsum ganz zu stoppen, das geht nicht. Wir sagen aber: Kreislaufwirtschaft soll gefördert, Konsum nachhaltiger gestaltet werden,“ erklärt Hofmann.

Weniger Konsum täte nicht nur dem Planeten gut, sondern auch unserer Psyche, ist der Wissenschaftler überzeugt: „Obwohl wir im Wohlstand leben, steigen psychische Krankheiten wie Depression. Es gibt viel Ablenkung vom Wesentlichen.” Hofmann glaubt, dass diese Ablenkung von der Beschleunigung kommt, die unser Wirtschaftssystem fördert. Und dazu gehöre auch der Konsum, den es zum wirtschaftlichen Wachstum braucht.

Die Initiative stellt die großen Fragen: Wohin entwickeln wir uns? Wie sieht unsere Zukunft aus? Und wie können wir das Zusammenleben besser gestalten? Lösungsvorschläge wird die Initiative “Schenke Zukunft” in nächster Zeit durch neue Aktionen präsentieren, von denen Hoffmann noch nichts verraten möchte. Es soll jedoch um aktuelle Probleme gehen, etwa die Unterbewertung von Pflegeberufen. Wir dürfen uns somit auf neue Weihnachtspäckchen an Gedanken und Anregungen freuen.

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