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Junge Eltern und Familien sind heute nicht nur durch die Medien mit ihren immer glücklichen Familien und die vielen Mumfluencer in den Sozialen Netzwerken großem Druck und dem ständigen Vergleich mit den vermeintlich perfekten Familienleben anderer ausgesetzt. Auch im direkten Umfeld fehlt es oft an Unterstützung, Empathie und Verständnis. Gefühle wie Überforderung, Zweifel, Trauer und Wut werden tabuisiert und über die weniger schönen Seiten von Elternschaft wird kaum gesprochen. Um dem entgegenzuwirken, Tabus zu brechen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wurde 2015 die Sensibilisierungskampagne „MutterNacht“ ins Leben gerufen. Jedes Jahr im Mai beleuchtet das Rittner Bildungszentrum „Haus der Familie“ gemeinsam mit 25 Südtiroler Organisationen, die im Bereich Familie und Soziales aktiv sind, die Schattenseiten von Elternschaft und Familienleben im Rahmen einer südtirolweiten Informationskampagne mit diversen Aktionen.
So widmete man sich in den vergangenen Jahren etwa den Themen Kinder mit Beeinträchtigung, Frühgeburt, Unerfüllter Kinderwunsch, Kindstod, Jugendschwangerschaft oder Elternkrankheit. 2022 rückt die Initiative, auch im Hinblick auf die vergangene Pandemiezeit, unter dem Titel „Mutterseelenallein“ das Thema Einsamkeit und Herausforderungen rund um die Geburt in den Fokus. „Oft ist die Rede vom magischen Moment nach der Geburt, vom Zauber des Augenblicks, in dem alle Schmerzen vergessen sind.
Doch die Realität sieht meist anders aus“, sagt Projektleiterin und Hebamme Astrid di Bella. Die Probleme und Herausforderungen sind vielseitig: Geburtsverletzungen schmerzen und müssen erst heilen, das Stillen funktioniert nicht, ein Elternteil darf nicht im Krankenhaus bleiben, das Baby schreit ununterbrochen, Frauen mit Migrationsgeschichte treffen auf ein fremdes kulturelles Umfeld, Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf Abwehr. Zuhause angekommen, warten oft Wochen der Überforderung, Babyblues und Einsamkeit. Doch das muss nicht sein, denn es gibt Beratung und zahlreiche Hilfsangebote. Auf diese und darauf, wie „normal“ herausfordernde Situationen rund um die Geburt sind, weist die Kampagne „MutterNacht“ auch in diesem Jahr wieder durch eine Textsammlung hin, für die Betroffene ihre persönlichen Erfahrungen geschildert haben. Hier folgend sind einige Auszüge aus den Textbeiträgen abgedruckt. (Einleitungstext: Lisa Frei)
Das Schreikind
Astrid
Man rechnet nicht mit den eigenen schwindenden Kräften und seiner Psyche und seinen Hormonen. Ich war leer. Ausgelaugt. Ich kümmerte mich nur noch wie ein Roboter um diesen Jungen. Füttern, wickeln, herumtragen. Ohne Gefühl. Es entstand keine Bindung zwischen uns. Ich weinte, wenn ich sein Fläschchen auswusch, wenn ich ihn umzog. Ich war nervlich fertig; wenn er endlich eingeschlafen war, nach langem Herumtragen in allen möglichen Positionen und ich ihn vorsichtig in sein Körbchen legen wollte, um endlich ein bisschen zu schlafen, verzerrte er schon sein Gesichtchen und brüllte wieder los. Wenn das eigene Kind schreit, erscheint einem die Lautstärke wie die eines Presslufthammers, eines Raketenstartes. Freunde, Bekannte und auch Fremde redeten beruhigend auf ihn ein. Und auf mich. Mütter, die einen friedlich schlummernden Wonneproppen in ihrem Wagen schaukelten, den sie sogar zum Füttern wecken mussten, weil sonst tät er glatt verhungern, kamen mir mit Weisheiten wie „Ist die Mutter ruhig und ausgeglichen, ist es auch das Kind.“ Andere empfanden großes Mitgefühl mit dem armen Kleinen, der so weinen musste. Und mit mir? Was war mit mir?
Eine andere Welt
Anonym
Als ich mit meinem ersten Kind nach Hause kam, hatte ich das Gefühl, dass mein Leben zu Ende ist, dass es mich nicht mehr gibt und ich nur mehr für die Versorgung dieses kleinen Wesens da bin. Vor allem fand ich es ungerecht, dass für meinen Mann das Leben fast normal weiter ging wie vorher. Er ging arbeiten und nur ich war an dieses Baby und seine Bedürfnisse gefesselt. Ich habe mich sehr schwer getan mit meiner neuen Rolle als Mutter. Ich dachte mir: Warum erzählt niemand, wie es wirklich ist? Warum schwärmen nur alle, wie wunderschön es ist?
Einsam
Sandra Moszner
Die erste Zeit mit dem Baby war unglaublich. Ich war so überwältigt von allem. Dieses kleine Wesen vereinnahmte jeden noch versteckten Winkel des eigenen Lebens. Essen, duschen, auf die Toilette gehen: Das Baby war immer dabei. Ich war quasi nie allein und fühlte mich trotzdem oft einsam.
So nah beieinander
Anonym
Mein kleiner Sohn ist jetzt fast zwei. Ich erinnere mich, dass der Tag seiner Geburt der glücklichste meines Lebens war. Ich hatte Glück, dass die Geburt schnell ging und ich fühlte mich unterstützt. Ich und mein Partner waren überglücklich. Von damals bis heute war die härteste und glücklichste Zeit meines Lebens. Ich schaue zurück und spüre die Wärme der glücklichsten Momente, in denen ich meinen kleinen Jungen in den Armen hielt. Die Freude, die wir als Familie teilten, als er anfing zu krabbeln, als er anfing zu brabbeln, als er seine ersten Schritte machte. Aber auf der anderen Seite gab und gibt es auch harte Zeiten. Gesundheitssorgen. Stillsorgen. Beziehungskonflikte. Überschäumende Emotionen. Das Gefühl, überfordert zu sein. Das Gefühl, allein zu sein. Ich möchte nicht weiter ins Detail gehen. Es ist immer noch schwer. Die glücklichen Zeiten bereiten mir die größte Freude, die ich kenne. Aber die schweren Zeiten bereiten mir die größte Traurigkeit, die ich kenne.
Schön
Barbara
Es war großes Glück, die Nachricht, dass wir unser erstes Kind bekommen! Das erste Kind in beiden Familien. Schön, diese Freude, die mit uns geteilt wurde.
Schön, diese Vorfreude auf unser Familienglück. Dann kam der erste Lockdown.
Mein Liebster zu Hause, es war eine richtig schöne Zeit, zusammen. Wie Urlaub. Dann erfuhren wir, dass die Väter aus den Geburtsstationen ausgeschlossen werden. Totaler Stress für mich, Baldtati und Ungeborenes. Zum errechneten Geburtstermin setzten die Wehen ein. Große Aufregung, denn wir wollten nicht zu früh losfahren! Dann fuhren wir ins Krankenhaus. Vor der Station gab mich mein Liebster ab.
Der schwerste Gang meines Lebens. Das Wort mutterseelenallein ergab für mich ab da einen Sinn. Die Nachthebamme ist jung, bemüht, aber erreicht mich nicht! Ich bin vier Stunden alleine im Kreißsaal. Bei Schichtwechsel schaut die neue Hebamme vorbei, sie erfüllt ihre „Routineaufgaben“, aber erreicht mich auch nicht!
Als meine Kräfte schwinden, stürmen mehrere Ärzte, Schwestern und Hebammen in den Kreißsaal, es wird hektisch! Nach 13 Stunden wird das Kind mit Kristeller und Saugglocke zur Welt geholt!
Schöner
Es ist geschafft. Er liegt nun auf mir. Wenige Minuten. Muss zur Beobachtung auf die Neugeborenenintensiv. Wieder Stress! Nach drei Tagen durfte er endlich zu mir ins Zimmer auf die Station. Die antibiotische Behandlung erfolgte in der Geburtenabteilung. Sieben Tage weggesperrt, eingesperrt mit vielen Emotionen, ohne Umarmungen, Blumen, ohne meinen Liebsten. Immer ein und dieselbe Maske. Ich soll mich nicht so anstellen, es sterben Leute alleine im Krankenhaus.
Am Schönsten
Wir werden entlassen. Mein Liebster holt uns ab. Tränen. Umarmungen. Aufregung. Freude. Hoam kemmen! Ein unbeschreibliches Gefühl. So viele Menschen, die sich mit uns freuen, aus der Ferne! Ein gesundes Kind erfüllt unsere Leben.
Ohne Schlaf und Warzen wund
Steffi
I sitz im Nido afn Stuhl mit bloßen Brüsten und 2 Hebammen massieren mir die Brust, um dass du epes zu Essen kriagsch. I glab, i hon mein Tiefpunkt erreicht. I fühl mi wia a Kuah, de koane Milch gib. Und du schreisch und schreisch, du hosch Hunger. Du liegsch neben mir im Bett, schlofsch amol a holbe Stunde und nor hon i a Gefühl in mir und Gedanken – wenn i aufhear zu schnaufen wos war donn? In der Nocht gea i stundenlong mit dir spazieren im Kronknhaus –isch des also, wemen Kinder hot? Do muasi lei durch! Noch 2 Tog horten Kompf, wunde Brustwarzen, koan Schlaf und dem ständigen Schreien in die Ohren, gib dir a junge Schwester endlich amol a Pappa und du konnsch amol richtig schlofen.
Genau in den Johr hot es Kronknhaus auf die Zertifizierung für a „stillfreundliches“ Kronknhaus gwortet, daher hon wol i a zu die Versuchskaninchen gehört. Beim Hoamgian sog a Schwester zu mir: Etz heint kenntes Hoamgian, wersch di freidn! Und in denkmer lei: Na bitte net, i schoffes net, i mecht net hoam. Nochn 5. Tog isch donn endlich die Milch eingeschossen, noch horten Kompf ve ins beade im Nochhinein, ober des Gefühl des Versagens, Ausgeliefertseins, des Gefühl des Mutterseelenalleineseins, hot sich innigebrennt und wert wohl sem bleiben, a Leben long. (…)
Depressiv
Anonym
Die Geburt empfand ich als schrecklich und total überfordernd, die Zeit danach war schwierig für mich. Ich fühlte eine allumfassende, totale Einsamkeit. Ich war überfordert und die Verantwortung für das wunderbare Wesen, das ich geboren hatte, raubte mir den Atem. Ich konnte mit niemandem darüber reden. Man nahm mich nicht ernst. Ich wollte, dass jemand anderes mein allerliebstes Kind zu sich nehmen und aufziehen würde, weil ich überzeugt war, es selbst nicht zu können. Diese Einsamkeit mündete in eine Depression. Erst viele Jahre später hatte ich das Glück, endlich eine Ärztin zu finden, die wusste, was mein Problem war.
Mutterseelenallein
Anonym
Die neue Arbeit als Vollzeit-Hausfrau und -Mutter macht mir zu schaffen. Ich selbst bin irgendwie darin verloren gegangen, so, als hätte ich mich aufgelöst. Das, was mich am meisten beschäftigt, ist die Angst, aus dieser Spirale nicht mehr herauszukommen. Keine Möglichkeit mehr, Vollzeit zu arbeiten, da die Strukturen, die Distanz zur Arbeitsstelle, sowie die Abwesenheit von Verwandten es schlichtweg unmöglich machen, ganz zu schweigen davon, auch nur an einen beruflichen Aufstieg zu denken. Gewissensbisse, auch dem Kind gegenüber. Vom sozialen Umfeld nicht verstanden, beginne ich zu denken, dass etwas mit mir nicht stimmt. Es geht mir immer schlechter. Erst durch den Austausch mit anderen Frauen wird mir klar, dass sie ebenso empfunden haben und empfinden. Ich erfahre sogar noch mehr. Sie würden heute entweder gar kein Kind mehr kriegen, oder, wenn überhaupt, nur noch eines zur Welt bringen. Gleichzeitig wünschen sie sich alle mehr Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse. Stille, Unbehagen, und dann Wut. Am Ende jedoch bleibt eine einsame Traurigkeit.
Hilfe, die nicht kam
Verena Vigl
Mein Freund durfte mich nach der Geburt bis vor das Zimmer begleiten und musste dann coronabedingt schnell weg. Das fand ich traurig. Für mich begannen Horrortage, die ich nie mehr erleben möchte. Ich fühlte mich allein, wusste nicht, wo mein Sohn war, den ich so gern in meine Arme geschlossen hätte. Sie sagten mir, er würde jetzt schlafen. Ich hatte ein ungutes Gefühl, konnte mich noch nicht bewegen… Bonding fehlte, stillen klappte nicht auf Anhieb, ich war beunruhigt. Es war mein größter Wunsch zu stillen, irgendwie hatte ich das Gefühl, allein zu sein. Keiner half mir … Ich wünschte mir, dass sich mein Partner um mich kümmern würde und um meinen Sohn. Doch er war nicht da … Das machte mich sehr traurig. Ich erinnere mich an die Situation, in der mein Sohn viel geweint hat. Ich bat um Hilfe. Man sagte mir, ab und zu sei es besser, „wenn die Mutter geht“. Ich brach in Tränen aus, todunglücklich, hatte das Gefühl, schon jetzt als Mutter zu versagen.
Es gibt Hilfe! In Südtirol gibt es vielfältige Anlaufstellen und Beratungsstellen, die Eltern in schwierigen Situationen, gerade auch in den ersten Wochen und Monaten des Elternseins mit Rat und Tat zur Seite stehen. Hier eine Auswahl: – www.familienberatung.it – www.hebammen.bz.it – www.elki.bz.it – www.lilithmeran.com – www.emotionelle-erste-hilfe.org – www.provinz.bz.it/familiesoziales-gemeinschaft/familie
Im Mai tourte die Sensibilisierungskampagne 2022 der Initiative MutterNacht durch Südtirol:
Dieser Beitrag ist erstmals in der Straßenzeitung zebra. (Ausgabe Nr. 75 10.05.2022 – 09.06.2022) erschienen.
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