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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 26.12.2019
Leben40 Wochen

Lügen haben Christkindflügel

Veröffentlicht
am 26.12.2019
Mit Weihnachten kommen die ersten Erziehungsfragen im Leben der jungen Familie auf. Wo hört Tradition auf und wo fängt eine Lüge an?
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„Mama, gibt es das Christkind etwa nicht?“ Ich kann mich noch haargenau daran erinnern, wie ich mit meinem Bruder auf der rostbraunen Couch meiner Oma saß und meine Mutter vermutlich am liebsten in den feinen Schlitzen zwischen den dicken Polstern verschwunden wäre. Jahrelang hatte sie uns angelogen bezüglich des engelsgleichen Kindleins, das uns Kindern an Heiligabend heimlich die tollsten Geschenke unter den Christbaum gelegt hatte – auch wenn niemand genau verstand, warum es das eigentlich macht. Und obwohl sie es nur allzu gut gemeint hatte und uns Kindern mit dieser mystischen Phantasiewelt vermutlich eine kleine sichere Blase in dieser maroden Welt bauen wollte, war nun der Moment der Wahrheit gekommen. Ich sehe ihr Gesicht heute noch vor mir. Sehe, dass sie in einer verdammten Zwickmühle steckt, nicht weiß, ob sie meinen kleinen Bruder weiterhin anlügen oder ihm nun doch die Wahrheit verklickern und als Lügnerin dastehen soll. Beide Wege boten keine rosigen Aussichten und das Ende war bereits klar. Mein Bruder in Tränen aufgelöst, enttäuscht von der Welt, nun endlich groß genug, um die Wahrheit zu erfahren: „Das Christkind bin ich!“

Von Werten und Traditionen

Wer das Christkind damals war oder heute ist, ob es irgendwann wirklich existierte oder nicht, darüber bin ich mir immer noch nicht ganz sicher. Auch egal, das Weihnachtsfest hatte in den vergangenen Jahren sowieso keine wirkliche Relevanz mehr in meinem Leben.

Doch nun, zwanzig Jahre nach diesem Erlebnis verbringe ich das erste Weihnachten mit meiner eigenen, kleinen Familie. Und obwohl Herzmensch noch zu klein ist, um mich mit solchen von kindlicher Neugier getriebenen Fragen in die Enge zu treiben, erledigt das mein Geist von ganz alleine. Irgendwann kommt er schließlich im Leben eines jeden Elternteils, dieser Punkt, an dem man sich entscheiden muss. Wofür man steht und was man seinem Kind mit dem eigenen Verhalten vorleben will. Auf welche Werte man besonders viel hält und auf welche weniger. Was man bereit ist, dafür auszuhalten oder zu verändern. Und vor allem: Wie man das Kind dadurch prägt oder beeinflusst.

Soll ich also lügen oder doch die Wahrheit sagen? Soll es das Christkind bei uns geben, damit Herzmensch wie alle anderen Kinder daran glauben kann? Damit wir Weihnachten feiern, wie alle anderen? Damit wir nicht aus der Reihe tanzen? Oder soll ich ihn wie einen Erwachsenen behandeln und ihm von Anfang an einfach die Wahrheit erzählen? Wird er dann vielleicht ausgeschlossen oder werden mich die anderen Eltern hassen, weil ich im großen Lügenkarussell nicht mitspiele?
Es sind Grundfragen der Erziehung, die sich mir an diesem Weihnachten auftun. Eine große Konfrontation mit meinem eigenen Gedankengut, meinen Werten und den Traditionen, in die ich einfach so hineingeboren wurde. Will ich diese weiterführen? Oder will ich mit meinem Kind neue, eigene Traditionen finden, in die wir gemeinsam vielleicht ganz einfach besser hineinpassen? Und muss ich mich überhaupt dafür oder dagegen entscheiden?

„Muss ich mich entscheiden?“

Immer, wenn ich das Wort Erziehung in meinem Vokabular abrufe, schießt mir der Journalist, Autor und Redner André Stern in den Kopf. Er ist sich sicher, dass wir unseren Kindern auf Augenhöhe begegnen müssen, anstatt sie zu erziehen. Nicht etwa durch strenge Regeln würden sie zu Menschen, zu Plus-Versionen, sondern durch Freiheit in ihrem Sein. Kinder seien lebende Potentialbomben, die nur begeisterungsfähig bleiben, wenn man nichts von ihnen erwartet.
Und genau so möchte ich auch Herzmensch begegnen. Ich möchte nicht von ihm erwarten, dass er an etwas glaubt, an das ich selbst nicht wirklich glaube. Weil ich es nicht lebe. Weil ich über den eigentlichen Sinn von Weihnachten so wenig weiß, dass ich für diesen Artikel sogar danach googlen muss. Und weil ich von dem, was aus Weihnachten geworden ist, nicht viel halte. Genau deshalb möchte ich auch Herzmensch nicht in den gezwungenen, herzlosen Konsum, die Christkind-Lüge und die gespielten Familienidyllen hineindrängen. Ich möchte in jedem Moment so sein, wie ich bin, authentisch bleiben und echt. Und damit als Vorbild vorangehen. Ganz ohne etwas zu erwarten.

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