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Um diese Fragen zu klären, hat BARFUSS Nina (Name von der Redaktion geändert) um ihre Meinung und Erfahrungen gebeten. Sie ist 24, lesbisch und studiert in Wien.
BARFUSS: Fühlst du dich angesprochen, wenn über Frauen und Weiblichkeit gesprochen wird?
Nina: Es kommt drauf an. Natürlich fühle ich mich bei manchen Themen angesprochen, da ich mich als weiblich identifiziere. Wenn es aber um Liebe, Ehe und um heteronormative Lebensweisen geht, fühle ich mich ausgeschlossen, weil ich so einfach nicht lebe. Ich habe das Gefühl, dass über alternative Lebensweisen – außerhalb meines Umfelds – nicht wirklich gesprochen wird. In diesem Punkt fühle ich mich gesamtgesellschaftlich vergessen.
Wie unsichtbar nicht-heterosexuelle Frauen im Vergleich zu nicht-heterosexuellen Männern in der Gesellschaft sind, zeigt eine Studie der MaLisa Stiftung über die Diversität im Film und Fernsehen in Deutschland. Generell sind LGBTQAI*-Personen im Film und Fernsehen in Deutschland stark unterrepräsentiert. Insgesamt sind nur 3% der Protagonist:innen in audiovisuellen Medien in Deutschland nicht-heterosexuell, wobei es bei Männern 4% und bei Frauen lediglich 1% sind. Ein Beispiel für die mediale Sichtbarkeit nicht-heterosexuelle Männer im Vergleich zu nicht-heterosexuellen Frauen ist die Datingshow „Prince Charming“, welche seit 2019 produziert wird. Das lesbische Gegenstück „Princess Charming“, gibt es erst seit 2021.
Wie wichtig sind Vorbilder?
Sehr wichtig. Als ich mit 13-14 mein inneres Coming-Out hatte, also erlebt habe, dass ich „anders“ bin, habe ich eigentlich niemanden gekannt, der so lebt oder fühlt wie ich. Ich kann mich erinnern, dass über zwei Lehrerinnen unserer Schule gemunkelt wurde, dass sie zusammen sind. Das fand ich voll cool. Ich hatte einmal mit dem Gedanken gespielt, zur Lehrerin hinzugehen und ihr zu sagen, dass ich auch anders bin. Ich hatte sonst niemanden, der mich verstehen konnte.
Kanntest du sonst keine queeren Frauen?
Nicht wirklich. Damals konnte ich noch nicht so einfach wie heute nach lesbischen Celebrities oder Politikerinnen googeln und im Fernsehen wurde das auch nicht thematisiert. Heute gehen Medien, Film und Kunst viel offener damit um. Leute, die nach Gleichgesinnten suchen, werden im Internet und in der Realität schnell fündig. Ich glaube diese Identifikation erleichtert das ganze Coming-out. Zusätzlich ist mittlerweile Homosexualität gesellschaftlich viel mehr akzeptiert.
Inwiefern hat dir das Leben in einer großen Stadt geholfen?
In Wien sieht man immer wieder ein lesbisches oder schwules Paar. Das habe ich in meiner Heimatstadt eigentlich nie gesehen. In Südtirol haben Lebensmodelle außerhalb der heteronormativen Vorstellung keinen Raum. Wenn man merkt, dass man im eigenen Umfeld und in den Medien nicht „sein“ darf, fällt es einem schwerer, sich selbst zu akzeptieren. Man fühlt sich schnell allein, obwohl man ja nicht alleine ist und viele andere Leute die gleichen Gefühle haben und dasselbe erleben.
Fehlen politische Vorbilder wie Klaus Wowereit (Anm. d. Red.: ehem. Bürgermeister von Berlin), der vor 20 Jahren gesagt hat: „Ich bin schwul und das ist auch gut so?“
Ja. Es ist natürlich etwas ganz anderes, ob du dich jetzt mit einer Schauspielerin aus Hollywood oder einer Politikerin aus deinem Land identifizieren kannst. In der Politik geht es nicht so viel um Kunst, Schauspiel und Emotion, sondern um sachliche Themen, es geht um Macht. Wenn man sieht, dass ein schwuler Mann mächtig sein kann, ändert das viel in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Je mehr wichtige Positionen in der Gesellschaft von offen queeren Menschen besetzt werden, umso besser. Je mehr Leute ihre queere Identität offen ausleben, desto leichter wird es für die jungen queeren Leute einfach okay mit sich zu sein. Und die anderen Leute, die vielleicht sogar homophob sind und sehr negative Einstellungen haben, können das vielleicht mal überdenken, weil sie sehen, dass es nicht nur um eine kleine Minderheit geht, die einfach leise sein soll und keine wichtigen Rollen besetzt.
„Je mehr Leute ihre queere Identität offen ausleben, desto leichter wird es für die jungen queeren Leute einfach okay mit sich zu sein.“
Lesbische Frauen fordern die von heterosexuellen Männern dominierte Gesellschaft heraus, weil sie keine Männer brauchen und cis-Männer (Anm. d. Red.: Person, die sich mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht identifiziert) ihre Machtpositionen nicht teilen wollen, wie die Feministin und Lesbe Élisabeth Chevillet auf queer.de schreibt. Auch in der queeren Community sind Frauen oft weniger stark präsent, als Männer, wie Nina erzählt:
Ich selbst bin nicht so stark in der queeren Bubble unterwegs. Ich habe vereinzelt queere Freunde und Bekannte. Wenn man nach Veranstaltungen sucht, die sich gezielt an Lesben richten, findet man in Wien vereinzelte Angebote. Für schwule und bisexuelle Männer gibt es da viel mehr.
Das heißt es gibt keine so starke Community unter lesbischen und bisexuellen Frauen, wie man sie klischeemäßig von queeren Männern kennt?
Genau. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, wo ich Single war und nicht in Wien gewohnt habe, sondern am Land. Da war ich viel auf queeren Partys in Berlin oder München unterwegs. Diese Partys waren letztlich eher für queere bzw. schwule Männer. Da habe ich gemerkt, dass unter ihnen sehr viel Zusammenhalt und der Wunsch nach Sichtbarkeit herrscht. Solche Veranstaltungen wirkten auf mich sehr homogen, divers und willkommen, das war schön. Dieses Gefühl hatte ich auf lesbischen Veranstaltungen nicht.
Wieso nicht?
Ich finde es schwieriger, mich mit queeren Frauen zu verbinden. Da habe ich eher das Gefühl, dass man so in seinem eigenen Grüppchen bleibt. Es ist nicht so, dass du eine neue Gruppe findest, mit der du dann zum Beispiel öfters was machst und längerfristig Freundschaften schließt.
Woran liegt das deiner Meinung nach?
Ich habe persönlich das Gefühl, dass Frauen nicht so offen sind. Es wird mehr erwartet, dass man selbst den ersten Schritt auf sie zu macht. Manche haben vielleicht auch gar nicht das Bedürfnis, aus ihren kleinen Gruppen herauszugehen. Auch abweisendes, dominantes Verhalten habe ich hier beobachten können. Das ist aber natürlich von der Person abhängig. Es gibt nicht wirklich die Räume, in denen sich lesbische und bisexuelle Frauen treffen und austauschen können.
Woran liegt das?
Vielleicht liegt es an der Motivation. Möglicherweise fühlen sich Frauen nicht so motiviert, um Gruppen zu bilden, oder bilden Partnerschaften und bleiben dann eher für sich. Männer gehen trotzdem weiterhin aus, weil ihnen dieses Community-Feeling wichtiger ist. Für eine gute Community braucht es immer Leute, die damit anfangen, ihre Zeit investieren, Räume und Leute finden… Das ist ein großer Aufwand.
Bist du in solchen Communitys unterwegs?
Nein. Ich wollte nicht zwischen heterosexuellen und nicht-heterosexuellen Frauen unterscheiden. Es war mir zu viel Aufwand, meinen Freundeskreis und meine Komfortzone zu verlassen. Viele Frauen haben aus sozioökonomischen Gründen keine Zeit, keine Räume dafür, weil sie sich um den Lebenserhalt usw. kümmern müssen. Viele queere Menschen haben gesellschaftliche Homophobie internalisiert und leben bewusst in der Unsichtbarkeit oder wissen gar nicht wo sie eine queere Community finden würden.
„Wenn queere Männer in Machtpositionen sind, sollten sie sich dafür einsetzen, dass auch andere Gruppen, wie etwa queere Frauen, nicht durch diese Machtstrukturen benachteiligt werden.“
Was kann die queer-männliche Community tun, um der lesbisch-bisexuellen Communty mehr Sichtbarkeit zu geben?
Ich denke da zuerst an die Bars, Clubs und Veranstaltungen für queere Männer. Diese sollten für alle queeren Menschen geöffnet werden. Auch das Marketing sollte alle queeren Menschen ansprechen. Im Endeffekt ist es doch egal, ob man lesbisch, schwul oder was auch immer ist. Wichtig ist, dass man die Möglichkeit hat, gleichgesinnte Menschen zu treffen. Wenn queere Männer in Machtpositionen sind, sollten sie sich dafür einsetzen, dass auch andere Gruppen, wie etwa queere Frauen, nicht von diesen Machtstrukturen benachteiligt werden. Vor allem aber ist es wichtig, für alle queeren Leute Räume zu schaffen, wo sie sich vernetzen können.
Findest du, dass die lesbische Community selbst Mitschuld an ihrer Unsichtbarkeit ist, weil es vergleichsweise so wenige lesbische Frauen gibt, die sich offen hinstellen und sagen: „Ich bin lesbisch“?
Ich würde nicht sagen, dass sie selbst schuld sind. Man muss immer den Grund dahinter sehen. Es liegt meiner Meinung nach auch daran, in welchem Umfeld wir uns bewegen. Ich kann bei meinen Eltern nicht offen lesbisch sein und ich weiß nicht, ob ich sichtbarer wäre, wenn ich wüsste, dass sie voll okay damit sind. Vielleicht würde ich dann ganz anders aussehen oder hätte mich ganz anders entwickelt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen noch immer nicht so viel Macht haben wie Männer und lesbische Frauen umso weniger. Natürlich glaube ich, dass wir uns mehr Platz einräumen und lauter werden sollten. Wir müssen uns trauen, öffentlich zu unserer Liebe zu stehen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass wir männerdominierten Machtstrukturen mehr Akzeptanz gegenüber bringen.
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