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Georg Kaser ist einer der weltweit renommiertesten Klimaforscher. Seit vielen Jahren mahnt der ehemalige Professor an der Universität Innsbruck vor den verheerenden Folgen des Klimawandels. So auch zum Auftakt der Toblacher Gespräche am letzten Wochenende im Euregio Kulturzentrum in Toblach, das dem Green New Deal der EU gewidmet war. Bis Ende dieses Jahrzehnts sollen nämlich die schädlichen CO2-Emissionen um 55% reduziert werden. Bis 2050, so sieht es der Green New Deal vor, sollen in Europa sämtliche Wirtschaftsbereiche klimaneutral sein. Geht das überhaupt oder sind das nur Sonntagsreden, so die zentrale Frage der Tagung. Kaser leitete mit seinem Eröffnungsreferat eine Diskussionsrunde zur Klimakatastrophe ein, an dem junge Südtirolerinnen und Südtiroler teilnahmen. Mit drei von ihnen hat sich BARFUSS in Toblach anschließend unterhalten: den Klimaaktivisten Alexander Schönafinger und Janin Höllrigl von der Initiative Mava Seggo sowie David Hofmann, ebenfalls Klimaaktivist und Mitgründer der Bürgerinitiative Regala Zukunft.
Immer wieder wird der Gedanke laut: Südtirol ist ein Vorzeigeland im Klimaschutz. Inwiefern ist Südtirol denn bereits so ein Vorzeigeland?
Janin Höllrigl: Südtirol hat Glück, viel Wasserkraft zu haben. Dadurch ist automatisch ein großer Teil der verbrauchten und erzeugten Energie in Südtirol erneuerbar. Der Klimaplan zeigt allerdings auf, dass viele Chancen nicht genutzt werden und Südtirol kein Vorzeigeland ist, obwohl es das sein könnte.
Greta Thunberg meint, dass die Politik auf große Worte keine Taten folgen lässt. Trifft das auch auf Südtirol zu?
Alexander Schönafinger: Das ist ein weltweites Phänomen. Das Klima wird nur als eines von vielen Problemen gesehen. Daher beschränkt sich die Politik auf minimale Veränderungen, obwohl der Druck von allen Seiten groß ist. Wenn die Klimakrise ernsthaft angegangen würde, könnten viele Probleme auf einmal gelöst werden.
Das bedeutet, dass die Politik nicht wirklich handelt, sondern nur die Gemüter besänftigt?
David Hofmann: Total. Es handelt sich um eine reine Symptombehandlung, wo keine Symptombehandlung mehr möglich ist. Anstatt an radikalen Lösungen zu arbeiten, die das Problem an der Wurzel angehen, bemüht sich die Südtiroler Landesregierung einzig und allein darum, die Gemüter durch Symptombehandlungen zu besänftigen.
Gibt es Formen von radikalen Lösungen in Südtirol?
David: Nein. Die Politik steckt derzeit einfach fest. Vermutlich gibt es einige Politikerinnen und Poltiker, die wirklich etwas verändern wollen, aber es nicht können, weil sie sich nicht an die Wurzel der Probleme, also den Wandel der Ökonomie herantrauen. Das Wirtschaftssystem ist der Kern des Problems. Die Lobbys haben einen zu starken Einfluss auf die Politik. Solange dieser Einfluss besteht, ist es für die Politik schwer sich dorthin zu bewegen, wo sie sich hinbewegen müsste.
Der erste Schritt wäre also die Reform des Wirtschaftssystems. Machen System-interne Lösungen dann überhaupt Sinn?
David: Natürlich ist es gut, wenn auch kleine Lösungen angestrebt werden. Wenn einige Lösungen schneller umsetzbar sind, wie die Produktionssteigerung von erneuerbaren Energiequellen, sollten diese weiterhin verfolgt werden. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass das nicht genügen wird.
Was tut die Landesregierung gegen die Klimakrise in Südtirol?
Janin: Mir fällt dazu nicht wirklich etwas ein. Bislang stehen nur einige Pläne fest, die noch nicht umgesetzt wurden.
David: Es gibt einen offensiven Ausbau der Fahrradstrecken und die Vision für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Natürlich muss man dann schauen, wie die tatsächliche Umsetzung dann ausschaut. Es gibt noch viel zu tun. Im Dorf, in dem ich lebe, komme ich beispielsweise nach sieben Uhr abends öffentlich nicht mehr raus oder rein. Ohne Auto steckt man einfach fest.
Alexander: Hier möchte ich kurz anmerken, dass die öffentlichen Verkehrsmittel gegenüber den anderen Regionen in Italien gut funktionieren und auch sehr günstig sind. Auch im Vergleich zu Deutschland und Österreich kann Südtirol sehr gut mithalten. Das sind schon mal gute Voraussetzungen. Solange aber immer mehr Leute nach und durch Südtirol strömen und auch das Straßennetz weiter ausgebaut wird, hat die gute Struktur öffentlicher Verkehrsmittel alleine keine Chance, den Verkehrssektor nachhaltiger zu machen.
Gibt es denn überhaupt Länder, die dem Klimawandel mit radikalen Lösungen begegnen?
David: Ja, mein Favorit ist Neuseeland. Dort hat die Regierung ohne großen Druck durch die Bevölkerung zwei Dinge umgesetzt. Zum einen wurde das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wirtschaftspolitik abgesetzt und durch das Well-Being Budget abgelöst. Dieses ist nicht nur auf wirtschaftliches Wachstum, sondern auch auf viele soziale und ökonomische Aspekte ausgelegt. Zum anderen gibt es ein Gesetz, das Banken dazu zwingt, ihr Investment in fossile Energieträger offenzulegen. So kann jeder selbst entscheiden, wem das eigene Geld anvertraut wird. Auch Costa Rica ist bereits auf einem guten Weg zur Klimaneutralität.
Vermutlich gibt es einige Politikerinnen und Poltiker, die wirklich etwas verändern wollen, aber es nicht können, weil sie sich nicht an die Wurzel der Probleme, also den Wandel der Ökonomie herantrauen.
Welchem klimatischen Szenario werden wir im Alpenraum in den nächsten Jahrzehnten gegenüberstehen?
Alexander: Wenn im Allgemeinen von Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels gesprochen wird, bezieht sich das immer auf ein globales Mittel. In unterschiedlichen Gebieten können sich die klimatischen Veränderungen aber ganz unterschiedlich auswirken. Laut dem Klimareport des IPCC (Weltklimarat, Anmerkung der Redaktion) werdem beispielsweise die Temperaturen in gebirgigen Gebieten, also auch in den Alpen, dopppelt so hoch ansteigen als die mittlere globale Temperatur. Diesen Temperaturanstieg können wir bereits heute an einigen Extremereignissen erkennen: der Anstieg von Murenabgängen oder das Herunterbrechen von Bergspitzen zum Beispiel. Dieser Temperaturanstieg wirkt sich auch auf die Landwirtschaft aus. Für die Apfelwirtschaft sind bereits heute die Wintermonate teilweise zu kurz: Es wird zu früh warm und dann kommt nochmal eine Spätkälte, wodurch die Triebe abfrieren können. Ich stelle mir aber nicht die Frage, was nach dem Apfel kommt, sondern was wir langfristig ändern können, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
Janin: Ich denke, dass in Südtirol die größten Veränderungen nicht unbedingt klimatisch spürbar, sondern viel eher von weltweiten Folgen bestimmt sein werden. So wird auch Südtirol einer klimatisch bedingten Migrationsströmung gegenüberstehen.
Wie nimmt die Bevölkerung die Klimakrise wahr?
Alexander: In der Bevölkerung steigt aufgrund vermehrter Ereignisse wie den Murenabgängen, das Bewusstsein dafür, dass etwas nicht stimmt.
Janin: Die Wahrnehmung für die Auswirkungen des Klimawandels steigt. Allerdings glaube ich nicht, dass die Südtiroler wirklich wissen, worauf sie zusteuern.
David: Ich sehe das etwas anders und glaube nicht, dass die Bevölkerung die Klimakrise wirklich wahrnimmt. Die Astat hat vor kurzem die STG Indikatoren für Nachhaltigkeit generiert. Dabei vergleicht ein Indikator die Wahrnehmung der Klimakrise der Bevölkerung von Südtirol mit dem Rest von Italien. Das absurde Ergebnis zeigt, dass die Südtiroler die Klimakrise als weniger gefährlich erachten als der Rest von Italien. Sprich wir sind optimistischer.
Warum haben wir keine Angst?
Alexander: Weil wir denken, dass es Alternativen gibt. Viele Bauern denken zum Beispiel: „Gut dann baue ich in Zukunft etwas anderes an. Für mich ändert sich dadurch nicht die Welt.“ Wir glauben, durch Anpassung überleben zu können.
Janin: Man kann nicht sagen, dass Südtirol den Klimawandel überleben wird. Das hängt von der Frage ab, wie weit wir in die Zukunft schauen.
David: Das stimmt. Der Eurac-Report von 2018 greift genau dieses Narrativ der Anpassung auf. Wir werden uns mit dem Klimawandel konfrontieren müssen, indem wir uns adaptieren. Das Narrativ schwenkt von Klimaschutz zu Adaption, also zur Anpassung. Arnold Schuler meinte zur Nachhaltigkeitsvision, dass mehr Berge verbaut werden müssen, um schlimme Murenabgänge zu verhindern. An diesem Beispiel sieht man, dass die Politik immer noch denkt, alles unter Kontrolle zu haben. Allerdings hinken wir der Klimakrise immer einen Schritt hinterher und unterschätzen deren Auswirkungen enorm.
Durch Proteste kann Druck auf die Politik ausgeübt werden. Das wäre ein guter Gegendruck zu den Lobbyisten.
Trotzdem: Viele von uns sind sich der Gefahr bewusst, tun aber nichts, um dagegen anzukämpfen. Welche Hürden müssen wir noch bewältigen, um die Menschen vom Bewusstsein zum Handeln zu bewegen?
Alexander: Das was jeder machen kann, ist den eigenen Konsum anzupassen. Wir haben in den meisten Geschäften die Möglichkeit und Auswahl an besserem und schlechterem Konsum. Diese Auswahl zu haben ist ein Privileg.
Janin: Genau. Wir müssen Gewohnheiten durchbrechen. Das Verändern des eigenen Lebensstils wie der Verzicht von gewissen Nahrungsmitteln ist sehr wichtig und unabdingbar. Das allein wird aber nie ausreichen, weil es Veränderungen in der Politik braucht. Ohne politische Maßnahmen kann unser persönlicher Treibhausgas-Fußabdruck nicht auf netto Null kommen.
David: Persönliches Handeln bedeutet aber nicht nur Verzicht, sondern auch politisch aktiv zu werden. Durch Proteste kann beispielsweise Druck auf die Politik ausgeübt werden. Das wäre ein guter Gegendruck zu den Lobbyisten. Zudem sollten wir uns gegenseitig mehr auf die Schulter klopfen, wenn wir eine weitere klimaschädliche Gewohnheit abgelegt haben oder bei einer Klimaaktion mitgewirkt haben. Es ist essentiell, Solidarität untereinander aufzubauen und eine klimabewusste Kultur zu schaffen.
Interview: Valentina Gianera und Teresa Putzer
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