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Veronika Ellecosta
Veröffentlicht
am 08.07.2020
LebenInterview mit Netzaktivistin

„Jeder hat etwas zu verbergen“

Veröffentlicht
am 08.07.2020
Bürgerrechtsaktivistin Katharina Nocun hält wenig davon, auf Smartphone und Soziale Medien pauschal zu verzichten. Sie will eine offene Debatte - aber nicht mit allen.
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Katharina Nocun ist eine deutsch-polnische Netzaktivistin, Publizistin und Autorin. In deutschen Medien wird sie gerne als Expertin befragt, wenn es um Datenschutz im Internet oder um Verschwörungstheorien geht. Nicht ohne Grund: In ihrem 2018 erschienenen Buch „Die Daten, die ich rief: Wie wir unsere Freiheit an Großkonzerne verkaufen“ veranschaulicht Nocun anhand eines Selbstversuches, wie Google, Facebook und Co massenhaft Daten seiner Nutzer speichern und nutzen. Kürzlich ist ihr zweites Buch erschienen: „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.“ Zusammen mit der Psychologin Pia Lamberty beschreibt Nocun darin, welche Rolle die Sozialen Medien bei der Radikalisierung von Menschen durch Verschwörungstheorien spielen. In einem eigenen Kapitel finden sich darüber hinaus Tipps und Hilfestellungen für Menschen, deren Angehörige in Verschwörungstheorien abdriften.

Frau Nocun, warum sollten wir sensibler mit unseren Daten im Netz umgehen?
Ich glaube, jeder Mensch hat grundsätzlich etwas zu verbergen. Wir sind ja auch sehr selektiv, was wir über uns in Sozialen Medien teilen. Wenn wir wüssten, was Unternehmen zu Werbezwecken alles über uns erfassen, unsere psychischen Probleme, unsere sexuellen Vorlieben, wären wir vorsichtiger beim Umgang mit dem Internet. Wenn Unternehmen all diese intimen Details über uns wissen, ändert sich die Beziehung zwischen ihnen und den Konsumenten. Das Unternehmen kennt dann meine Schwachstellen und kann mich in eine bestimme Richtung drücken. Ich kann aber auch beispielsweise von Versicherungsunternehmen benachteiligt und über manche Angebote gar nicht informiert werden. Wenn wir über Datenschutz reden, meinen wir meistens das, was wir selber posten, aber nicht den viel größeren Berg von Metadaten – also Daten, die im Hintergrund erfasst werden, wie etwas Standort und Klickverhalten.

Woran liegt es, dass die meisten Nutzer nicht wissen, was mit ihren Daten im Netz passiert?
Viele Unternehmen wollen grundsätzlich nicht, dass wir uns intensiv mit unseren Datenspuren beschäftigen. Gemäß der europäischen Datenschutz-Grundverordnung haben wir das Recht, unsere Daten kostenfrei bei allen Unternehmen anzufordern und eine Kopie davon zu erhalten. Aber viele Unternehmen erschweren dieses Vorhaben. In dem Moment, wo Menschen sehen würden, wie groß ihre Datenspur im Netz ist, gäbe es eine größere Diskussion in der Gesellschaft. Ich habe selbst bei Amazon nach einer Kopie meiner Daten über einen Zeitraum von 14 Monaten gefragt. Amazon hatte etwa 15 365 Klicks gespeichert. Ist es wirklich notwendig, all diese Daten zu speichern? Ich würde sagen, nein.

Welchen Nutzen hat Amazon davon, die Daten seiner Nutzer in so großem Umfang zu speichern?
Je besser ich meinen Kunden kenne, desto passender kann ich natürlich Werbung schalten. Ich kann Konsumentengruppen und Kategorien erstellen und weiß, welche Werbung bei welcher Gruppe gut funktioniert. Darüber hinaus kostet es Amazon wenig, die Daten zu speichern, weil Speicherplatz sehr günstig ist. Es wird aber kaum über Risiken derartiger Datensammlungen diskutiert, weil die meisten Menschen das nicht wissen.

Wie lässt sich das ändern? Wie kann man Menschen darüber aufklären, was mit ihren Daten im Netz geschieht?
Als ich für mein erstes Buch meine eigenen Daten selbst angefragt und durchleuchtet habe, war die Resonanz groß: Viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie dadurch inspiriert wurden, ebenfalls ihre Daten anzufordern. Ein Leser hat seine Daten bei Kindle, dem eBook-Unternehmen von Amazon, angefordert und hat mir dann darüber berichtet. Und das Ergebnis hat mich nicht überrascht: Natürlich hat Amazon auch gespeichert, wann er welche Kapitel und Bücher liest. Das kann etwa bei Ratgeberliteratur durchaus interessant und auch sehr intim sein. Ich denke, wir brauchen einfach viel mehr Menschen, die ihre Daten und ihre Rechte einfordern.

Eine Verzichtdebatte würde nur dazu führen, dass sich nichts ändert.

Es wäre also für Sie keine denkbare Lösung, einfach keine Sozialen Medien oder kein Amazon mehr zu nutzen?
Unternehmen lieben diese Debatte: Entweder man nutzt die Sozialen Netzwerke oder schmeißt als Alternative am Besten gleich das Smartphone weg. Diese Debatte verwischt aber, dass es Möglichkeiten gäbe, Soziale Netzwerke datenfreundlicher zu gestalten. Indem die Unternehmen einfach sagen “Nutze die Sozialen Medien nicht, wenn es dir nicht gefällt”, schieben sie die Verantwortung den Konsumenten zu. Bei solchen Debatten wird auch ausgeblendet, dass viele Unternehmen im Netz eine Quasi-Monopolstellung haben, die keine Alternativen zulassen: Viele Serien gibt es nur bei Netflix oder Amazon Prime und viele Menschen wollen nicht drei Stunden im Netz suchen, bis sie ein Produkt auf einer Alternativplattform finden. Ich denke, dass wir anstelle dieser Verzichtdebatte eine Debatte führen sollten, wie wir Technik nach unseren Bedürfnissen gestalten können. Eine Verzichtdebatte würde nämlich nur dazu führen, dass sich nichts ändert. Und dass wir langfristig eine menschenfeindliche Umgebung schaffen, die negiert, dass Menschen das Bedürfnis nach Privatsphäre haben.

Sind Soziale Medien auch verantwortlich für die Verschwörungstheorien, die heute kursieren?
Natürlich sind Soziale Netzwerke ein Kanal für die Verbreitung von Verschwörungsideologien, allerdings ist es nicht so, dass die Menge dadurch signifikant zugenommen hätte. Es gibt Studien, die darlegen, dass der Anteil der Menschen in der Bevölkerung, die an Verschwörungsideologien glauben, in verschiedenen Ländern in den letzten Jahren nicht eklatant größer geworden ist. Allerdings gibt es heutzutage mehr neue Verbreitungswege. Früher musste man, um mit eher abseitigen Ideen in Kontakt zu kommen, spezielle Buchläden aufsuchen oder zu Konferenzen fahren. Heute bekommt man die Ideen auf Youtube mit einem Klick serviert und sie werden dort von prominenten Influencern der Verschwörungsszene verbreitet. Gleichzeitig ist aber auch der Faktencheck durch das Internet einfacher geworden. Ich muss nicht mehr in die Bibliothek oder Experten konsultieren, um eine These zu verifizieren, ich kann im Internet relativ unkompliziert nach bestimmten Studien suchen. Außerdem gibt es auch auf Youtube viele Videos von tollen Wissenschaftsjournalisten. Hier wirkt sich das Internet eben auch positiv aus, als Kanal, über den Aufklärung stattfinden kann.

Glauben Sie, dass die Verschwörungsproblematik im Netz eher was mit mangelnder Medienkompetenz der Nutzer zu tun hat?
Medienkompetenz spielt natürlich eine Rolle. Wenn man in der Schule die Grundlagen vermittelt bekommen hat, kann man später Falschinformationen oder dubiose Quellen besser erkennen. Aber Medienkompetenz ist nicht etwas, das nur Jugendliche brauchen. Die sind mit dem Internet aufgewachsen. Anders ist das bei den heute 50- oder 60-Jährigen, die nie eine Fortbildung zur Internetnutzung bekommen haben. Deshalb würde ich sagen, dass Medienkompetenz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Wie informiere ich mich im Internet, was sind seriöse Quellen, wie kann ich ein Foto, das aus dem Kontext gerissen wurde, mittels Google-Bildersuche überprüfen: Das sind Skills, die jeder Internetnutzer haben sollte.

Jemand, der etwa an antisemitische Verschwörungserzählungen glaubt, hat sich vom rationalen Diskurs längst verabschiedet.

Wie könnte man flächendeckend Aufklärung und Medienkompetenz-Schulungen ermöglichen?
Es gibt heute Kurse zur Internetnutzung an Volkshochschulen, aber auch online sollte das Angebot ausgeweitet werden. Gleichzeitig soll auch die gesellschaftliche Debatte aufrecht erhalten bleiben. Es gab in den letzten Wochen viele Zeitungsartikel und Fernsehberichte, die viele hilfreiche Hinweise und Tipps gegeben haben, wie man sich im Internet verlässlich zu Corona informiert, auch als Reaktion auf zahlreiche Falschmeldungen und Verschwörungsmythen.

Sind Sie der Meinung, dass die Medien in Zeiten der Pandemie vernünftig mit Verschwörungstheoretikern und -theorien umgehen?
Es gab eine breite Debatte darüber, wieso sich bestimme Menschen an die Sicherheitsmaßnahmen und Corona-Vorschriften halten und andere wieder nicht. Ich habe beobachtet, dass viele Journalisten eher überrascht waren über die Proteste, an denen vielerorts auch das verschwörungsideologische Milieu beteiligt war. Man hatte das Gefühl, dass darüber berichtet wurde, als handele es sich hier um völlig unbekannte Gruppen oder ein neues Phänomen. Zusammen mit meiner Kollegin Pia Lamberty habe ich für unser neues Buch „Fake Facts“ intensiv im Milieu der Verschwörungsgläubigen recherchiert und wir habe auch altbekannte Gruppen bei den Gegnern der Maßnahmen gefunden: Impfgegner, Menschen aus der Esoterikszene, Verschwörungsgläubige, die an Gedankenkontrolle durch 5G glauben, und Stars der Verschwörungsszene wie Ken Jebsen. Es waren auch rechtsextreme und antisemitische Gruppierungen wie QAnon oder die Reichsbürgerszene vertreten, bei denen es ein reales Gewaltpotenzial gibt. In solchen Kreisen wurden auf Sozialen Medien häufig Bürgerkriegsszenarien heraufbeschworen. Ich hoffe, dass die Politik das Gewaltpotential solcher Gruppen in Zukunft ernster nimmt.

Wie berichtet man medial angemessen über diese Gruppierungen, ohne ihnen eine Bühne zu bieten?
Bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen war es ein neues Phänomen, dass so viele Menschen aus dem verschwörungsideologischen Milieu sich derart schnell organisiert haben und gemeinsam auf die Straße gegangen sind. Gleichzeitig war das aber nur quasi die Spitze des Eisbergs. Viele Menschen haben in ihrem Umfeld die Erfahrung gemacht, dass Freunde oder Verwandte plötzlich Verschwörungserzählungen verbreitet haben. Berichterstattung mit Experten und Beobachtern ist hier durchaus angebracht, denn es handelte sich um ein relevantes Phänomen. Davon, Verschwörungsideologen in Berichten selbst zu Wort kommen zu lassen, halte ich nichts. Jemand, der etwa an antisemitische Verschwörungserzählungen glaubt, hat sich vom rationalen Diskurs längst verabschiedet.

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