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Die Wörndle-Joch-Alm am Fuße der Geislerspitzen: Auf der Weide, wo jetzt im Winter Skitourengeher ihre Schwünge ziehen, grasen im Sommer Villnösser Brillenschafe. Nichts Ungewöhnliches für ein alpines Berggebiet, möchte man meinen. Doch dass eine der ältesten Schafrassen Südtirols hier noch friedlich Dolomitengräser frisst, grenzt an ein Wunder.
Was ein Villnösser Brillenschaf von einem gewöhnlichen Tiroler Bergschaf unterscheidet, ist klar beim Blick in den Stall von Günther Pernthaler und seinem Kollegen in Sankt Magdalena im Villnösstal: Tiefbraune bis schwarze Flecken umringen die Augen der rund 60 weißen Schafe. Ihre hängenden Ohren wirken, als hätte sie Pernthaler in dunkle Tinte getaucht.
Dass sie kleinwüchsig seien, hört der Villnösser Schafzüchter nicht gerne, „sie sind mittelgroß und sehr geschickt“, erklärt er. Mit den kräftigen, robusten Beinen, sagt man, klettern sie über Knotten, wie Reinhold Messner. Mit Mani- und Pediküre bereitet sie Pernthaler im Frühjahr aufs Gelände vor. Anders als Kühe hierzulande, sind die Schafe namenlos.
Als wüssten die Tiere, dass das Aussterben ihre Rasse bedroht, drehen sie schreckhaft ihren ramsnasigen, sprich gewölbten, Kopf zur Tür des Gemeinschaftsstalls, als sich diese öffnet. Fremde Stimmen stressen sie, heißt es. Stressig war auch das letzte Jahrhundert für das Villnösser Brillenschaf und seine Züchter.
In den 1930er-Jahren versuchten die Nationalsozialisten autochthone Schafrassen durch produktivere zu ersetzen. Doch in Villnöss leisteten die Bauern Widerstand und züchteten weiter, was in ihrem Tal im 18. Jahrhundert den Ursprung fand.
Damals kreuzten sich heimische Landschläge mit Paduaner Seidenschafen und Bergamaskern. Dieses Werk vollendete das Kärtner Brillenschaf auf seinem Weg über die Alpen mit der typischen Brille und der Ohrenzeichnung, die es selbst als Merkmale trägt. Heute lebt das Villnösser Brillenschaf vor allem in Dolomitentälern und in den Provinzen Trient und Belluno.
Bauern hielten das Tier jahrelang vor allem der begehrten Wolle wegen. Daraus fertigte man Loden. Das Fleisch war ein zusätzlicher Verdienst. 2.000 Brillenschafe zählte man in den 1950er-Jahren im Villnösstal. In diesem Zeitraum verlor aber die Wolle zunehmend an Wert. Fleisch aus dem Ausland stellte eine große Konkurrenz zum einheimischen dar. Die Brillenschafe standen plötzlich fast ohne Freunde da.
Nur noch 150 Brillenschafe gab es vor 15 Jahren in Villnöss. Für die EU gelten bereits Tiere, von denen es weniger als 3.000 Stück gibt, als vom Aussterben bedroht. Es müssen wieder mehr sein, dachte sich Pernthaler damals. Er stammt aus einer Familie mit langer Schafzuchttradition. Gemeinsam mit ambitionierten Kollegen, setzte er sich für das Villnösser Brillenschaf ein. Nun gibt es vom Land Förderungen für Brillenschafzüchter und südtirolweit wieder 2.400 Schafe.
Für die Brillenschafzucht gilt: Wer schön ist, überlebt. Nur das Schaf mit den typischen schwarzen Zeichnungen eignet sich für die Zucht. Schönheitsfehler bedeuten Schlachthof. Das gilt für 90 Prozent der Brillenschafe. Besonders hart trifft es den Widder. Kein schwarzer Fleck am weißen Vlies ist gebilligt. Von den 60 Schafen im Stall sind so auch nur zwei männlich. Bei den Gören ist man etwas gnädiger. Entweder Augen oder Ohren müssen passen und bis zu drei zwei-Euro-Münzen große schwarze Flecken sind akzeptiert.
Pech für den vier Monate alten Widder, der jetzt fröhlich durch den Stall springt. Vier Wochen trennen ihn vom Metzger. Doch was nach Ende klingt, ist gleichzeitig Überlebensgarantie für das Brillenschaf.
„Wenn wir genügend Abnehmer für Lammfleisch und -produkte finden, können wir vom Ertrag der Tiere leben und sie so schützen“, erklärt Kurt Niederstätter, Ladenbesitzer in Sankt Magdalena. Mit zwei Villnösser Köchen setzte er es sich vor fünf Jahren zum Ziel, das Brillenschaf kulinarisch aufzuwerten. Wöchentlich beziehen sie Lämmer von streng kontrollierten Züchtern. Lammfleisch, das es nicht auf den Teller im Restaurant schafft, wird von einem Villnösser Metzger zu Lammsalami, -schinken, -kaminwurzen und –ragout weiterverarbeitet.
Niederstätters Vision: Gerichte vom Brillenschaf in jedem Villnösser Gasthaus, lokale Verwertung der Wolle und letztendlich ein Tal, das von dem leben kann, was es natürlich hervorbringt. Das Brillenschaf frisst nur Futter, das vor Ort wächst und vollkommen gentechnikfrei ist. Also nichts mit Soja aus Brasilien. Deshalb hat die Rasse 2011 das Slow Food Presidio erhalten. Diese Auszeichnung schützt bedrohte Tierrassen und Pflanzenarten sowie seltene Lebensmittel.
Dass Lammprodukte vom Brillenschaf nur Südtiroler Zutaten enthalten, zeigt sich auch am Preis. Noch fehle die Bereitschaft der Konsumenten mehr zu zahlen, meint Niederstätter. Doch vielleicht ändert sich das, wenn sie begreifen, dass sie mit bewusstem Fleischverzehr zu Tierschützern werden.
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