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A wie Autonomie.
15 Jahre lang war Hans Heiss Landtagsabgeordneter für die Grünen. Diese Zeit, aber auch sein Wissen als Historiker lehrten ihn, die Südtiroler Autonomie als einzigartiges Erfolgsmodell in der Beilegung eines ethnischen Konflikts wertzuschätzen. Falls die Lega nun mit ihren Anti-EU-Ansagen ernst macht, wäre die Autonomie erstmals in ihren Grundfesten gefährdet.
Herr Heiss, was sagen Sie, wenn Sie im Ausland gefragt werden, woher Sie kommen?
Ich nenne Südtirol in Norditalien, damit können sich die meisten Leute orientieren. Als Europäer, Italiener, Österreicher im Sinne der Staatsbürgerschaft könnte man sich natürlich auch bezeichnen. Ich sage aber meistens, dass ich aus Südtirol komme. Das ist am Neutralsten und entspricht meinem postnationalen Selbstverständnis.
Der Pass spricht dann aber doch wieder eine andere Sprache: demnach gehören wir zu Italien. Bereitet Ihnen das angesichts der aktuellen politischen Entwicklung Sorge?
Das ist relativ zu betrachten. Wir sind noch immer Unionsbürger, insofern stehen wir unter einem gewissen Schutzschild. Italien befindet sich wirtschaftlich und sozial in einer Schieflage, die Regierung ist instabil, schlimmer noch: weithin inkompetent. All das ist beunruhigend, keine Frage. Aber noch sehe ich als Südtiroler keinen sonderlichen Grund zur Sorge.
Auch nicht dann, wenn offen über einen Euro- oder gar EU-Austritt diskutiert wird? Genau das ist ja der Fall.
Der Austritt aus dem Euro steht schon länger zur Debatte, aber es ist einfacher, darüber zu reden, als einen solchen Schritt umzusetzen. Die italienische Wirtschaft ist sehr eng mit der europäischen verflochten, dementsprechend wäre der Schaden, der daraus entstehen würde, viel zu groß. Angesichts der überwiegenden Negativfolgen ist ein Austritt Italiens unwahrscheinlich.
Dennoch deutet einiges darauf hin. Salvinis Konfrontationskurs mit der EU passt gut zum Vorhaben der Lega, Mini-Bots, d.h. Staatsanleihen in kleiner Stückelung, auszugeben, die als Parallelwährung dienen könnten.
In den letzten Wochen hat sich wieder der Wille abgezeichnet, mit der EU ein Übereinkommen zu finden. Die geplanten Mini-Bots dienen in erster Linie dazu, die Staatsschulden flexibel zu bedienen. Was die geheime Absicht einer Parallelwährung angeht, erscheint eine Umsetzung kaum denkbar. Die Abneigung gegen die EU ist unter den Italienern groß, auch teilweise verständlich, aber ein Euro-Austritt ist ein anderes Kaliber. Der Schaden wäre katastrophal, der Lebensstandard der Italiener würde sich dramatisch verschlechtern.
Ähnlich wie in Großbritannien. Trotzdem kam es zum Brexit.
In Italien hatte das ökonomische Opportunitätsdenken bisher immer die Überhand. Ich denke, dass gerade der Brexit, der seine ganze Zerstörungskraft, vor allem für Großbritannien selbst, erst noch entfalten muss, als weiteres Abschreckungsbeispiel dienen wird.
Für Südtirol wäre ein EU-Austritt Italiens verheerend.
Hoffentlich. Nehmen wir einmal an, es käme tatsächlich zu einem EU-Austritt Italiens. Welche Konsequenzen hätte das für die Südtiroler Gesellschaft?
Für Südtirol wäre das Szenario verheerend. Abgesehen von den enormen wirtschaftlichen Einbrüchen – Südtirols Wirtschaft ist maßgeblich auf den Handel mit Deutschland und Österreich angewiesen – wären die sozialen Folgen das größte Problem. Es gäbe einen neuen Bruch zwischen den Sprachgruppen, die Grenze am Brenner wäre plötzlich wieder ein Thema. Die politische Folge davon – das ist leicht abzusehen – wäre ein sofortiger Aufwind für die Knoll-Fraktion in der Südtiroler Freiheit und allfällige Sezessions- und Selbstbestimmungsgelüste.
Sollte man die Autonomie schon jetzt auf die Möglichkeit solcher Ereignisse anpassen, z. B. durch Abkommen bezüglich der Brennergrenze? Wir sehen doch, welche Probleme der Brexit für Nordirland geschaffen hat.
Ähnliche Situationen sind für Südtirol nicht gänzlich auszuschließen, trotzdem wäre es zu früh, sich auf konkrete Szenarien öffentlich vorzubereiten. Damit würde man nur Diskussionen in Gang setzen, die überwiegend kontraproduktiv wären. Es ist aber gut, die Risiken im Hinterkopf zu behalten und aufmerksam zu verfolgen, wie sich die Lage weiter entwickelt.
Jeder Österreich-Nostalgiker sollte wissen, dass Österreich aufgrund des Staatsvertrages von 1955 sein Territorium nicht vergrößern darf. Den Wunsch nach stabilen Verhältnissen kann ich verstehen, aber eine Rückkehr nach Österreich ist ein Traumschloss.
Letzte Woche am 9. Juli gab es ein Treffen zwischen Landeshauptmann Kompatscher, den Südtiroler Senatoren und Regionenministerin Erika Stefani. Worum ging es da?
Thema waren vor allem die Eingriffe der Regierung im Gesundheitsbereich (z.B. Ausbildung und Anstellung von medizinischem Personal, Eintragung in das Berufsverzeichnis, Anm. d. R.) und mehr Kompetenzen für Südtirol im Bereich der Mobilität. Man versucht, über die regionale Lega-Koalition einen guten Draht nach Rom zu schaffen, die Angriffe auf die Autonomie stammen aber vor allem aus den 5-Sterne-Ministerien.
Die Lega hingegen präsentiert sich trotz ihrer Rechtsradikalität als autonomiefreundlich. Ist das glaubwürdig?
Im Sinne ihres Föderalismus ist die Lega ein denkbarer Verbündeter. Dabei geht es ihr aber vor allem darum, die eigenen Autonomie-Projekte fürs Veneto und die Lombardei voranzutreiben. Südtirol ist ein Nebenschauplatz.
Mir ist der Fall eines italienischsprachigen Südtirolers bekannt, der STF gewählt hat, weil er die politische Stabilität und Ordnung Österreichs dem politischen Chaos Italiens vorzieht. Können Sie das nachvollziehen?
Es gibt natürlich solche Positionen, aber jeder Österreich-Nostalgiker sollte wissen, dass Österreich aufgrund des Staatsvertrages von 1955 sein Territorium nicht vergrößern darf. Den Wunsch nach stabilen Verhältnissen kann ich verstehen, aber eine Rückkehr nach Österreich ist ein Traumschloss.
Vielen Dank für das Gespräch!
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