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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 21.10.2019
LebenSüdtirols Handwerksbetriebe

Immer weiter?

Veröffentlicht
am 21.10.2019
Handwerkliche Betriebe sind das Fundament der Südtiroler Wirtschaft. Daria Habicher untersucht, wie nachhaltig sie sind und ob Wachstum für sie ein Muss ist.
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Sind Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit ein Widerspruch in sich? Die Vinschgerin Daria Habicher beschäftigt sich im Rahmen ihrer Forschung am Center for Advanced Studies an der EURAC und in ihrer Masterarbeit mit dieser Frage. Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen dabei Südtiroler Klein- und Mittelbetriebe im handwerklichen Bereich.

Daria Habicher hat einen praktischen Bezug dazu: Ihr Vater hat eine Zimmerei und sich immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, wie nachhaltiges handwerkliches Arbeiten möglich ist. Während ihres Studiums der Politikwissenschaft und Sozioökonomie in Wien beschäftigte sich Habicher mit den Sustainable Developement Goals, meist kurz SDGs genannt.

Die UNO hat mit den 17 Punkten der SDG festgelegt, was langfristige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen sind: keine Armut und kein Hunger mehr, Gesundheitsversorgung und Bildung für alle und unter anderem eine nachhaltige Entwicklung von Städten und Gemeinschaften sowie verantwortungsvoller Konsum und ressourcenschonende Produktion. Habicher hat sich gefragt, wie diese Ziele mit dem ansonsten propagierten Wirtschaftswachstum zusammenpassen – und wie in der Praxis damit umgegangen wird. Dafür hat Daria Habicher in Zusammenarbeit mit dem deutschen und italienischen Handwerksverband LVH und CNA 71 Betriebe befragt.

Daria, was ist Nachhaltigkeit überhaupt?
Für mich bedeutet Nachhaltigkeit eine Lebens- und Wirtschaftsweise zu finden, mit der wir nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse, sondern auch die zukünftiger Generationen befriedigen können – und zwar so, dass es nicht auf Kosten anderer geschieht. Kurz also, Rücksicht zu nehmen. Bei meiner Untersuchung habe ich die Definition aber bewusst offengelassen, sodass die Befragten selbst angeben konnten, was für sie Nachhaltigkeit bedeutet.

Daria Habicher

Wie sehen Betriebe in Südtirol Nachhaltigkeit?
Ein wichtiger Punkt, der oft genannt wurde, sind umweltschonende Produktion und zukunftsfähiges Wirtschaften. Auch Generationengerechtigkeit gehört dazu. Manche Befragten meinten, dass ihnen wichtig ist, ihren Kindern nicht nur einen intakten Betrieb, sondern auch eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Auch die soziale Nachhaltigkeit nannten die Betriebe, das heißt faire und sichere Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu schaffen und im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Was ich besonders spannend fand, war, dass wirtschaftliche Nachhaltigkeit unter anderem mit ökonomischer Überlebensfähigkeit in Verbindung gebracht wurde. Die Befragten haben zum Teil also nicht das Wachstum von Betriebsgröße, Umsatz oder Gewinn, sondern die Überlebensfähigkeit herausgestrichen.

Wollen Klein- und Mittelbetriebe also gar nicht unbedingt wachsen?
Ungefähr ein Drittel der von mir befragten Klein- und Mittelbetriebe geben an, dass sie ihre Größe gut finden und kein oder kaum weiteres Wachstum anstreben. Ein weiteres knappes Drittel will leicht und kontinuierlich wachsen und ein Fünftel gibt an, keine strategischen Wachstumsziele zu haben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere, internationale Studien: Klein- und Mittelbetriebe wollen oft gar nicht wachsen, sie setzen lieber auf die Qualität iher Produkte und Dienstleistungen und auf die Risikovermeidung. Zwischen dem, was sie sich zum Ziel gesetzt haben und dem Druck von außen besteht jedoch ein Unterschied: Beinahe die Hälfte der teilnehmenden Südtiroler Unternehmen gibt an, einen Wachstumsdruck zu spüren.

Was ich aber besorgniserregend finde, ist, dass rund 21 Prozent der Unternehmen angegeben haben, diesem Druck sogar entgegen ihrer Unternehmenswerte nachgeben zu müssen.

Woher kommt der Wachstumsdruck, wenn die Unternehmen selbst angeben, gar nicht darauf angewiesen zu sein?
Auslöser sind wohl vor allem Aspekte, die mit der Wettbewerbsfähigkeit einhergehen: die Richtlinien für öffentliche Beiträge sowie die staatliche Steuergesetzgebung. Dazu kommen gesteigerte Kundenerwartungen: Es sollten immer mehr Produkte und Dienstleistungen billiger und besser angeboten werden.

Wird diesem Wachstumsdruck nachgegeben?
Teilweise ja. Ein Drittel der befragten Unternehmen gibt an, den ökonomischen Druck teilweise zu bedienen, wobei man dennoch versucht, ihn mit den Unternehmenswerten zu vereinbaren. Was ich aber besorgniserregend finde, ist, dass rund 21 Prozent der Unternehmen angegeben haben, diesem Druck sogar entgegen ihrer Unternehmenswerte nachgeben zu müssen.

Wie wichtig ist den Unternehmen Nachhaltigkeit nun tatsächlich? Es könnte ja sein, dass sie sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, um damit Kunden zu gewinnen …
Tatsächlich gibt es einen kleinen Anteil von rund 15 Prozent der befragten Unternehmen, die angeben, nachhaltig zu arbeiten, weil ihnen das Reputation verschafft. Der Großteil handelt aber nachhaltig, weil man Nachhaltigkeit für eine zukunftsrelevante Geschäftsaufgabe hält. Ein Fünftel der Befragten hat aber angegeben, diese Frage nicht beantworten zu können oder wollen. Da zeigt sich, dass einigen Unternehmen entweder zu wenig Personal oder finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um sich damit zu beschäftigen, oder auch, dass das Wissen oder die Strategie zum nachhaltigen Handeln fehlt. Das heißt konkret, dass man die Relevanz erkennt, es aber gleichzeitig auch viel Unsicherheit gibt. Für mich ist das ein Hinweis dafür, dass beispielsweise die Bildungseinrichtungen und Interessensvertretungen zu diesen Themen informieren und weiterbilden könnten. Auch von der Politik fordert man mehr Unterstützung bei dieser Thematik. Die Befragten wünschen sich dabei nicht nur mehr Offenheit, sondern auch strengere Gesetze und Regelungen und dass es keinen Nachteil für jene darstellt, die diesen Weg gehen.

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Deutschland steht seit Monaten am Beginn einer Rezession, auch in Italien wächst die Wirtschaft nicht mehr. Würdest du sagen, dass das als zu dramatisch wahrgenommen wird?
Ich würde es als Chance und Denkanstoß sehen. De facto befinden wir uns bereits in einer Phase des Postwachstums. Nun stellt sich die Frage, wie wir neue, wachstumsindifferente Formen von Wirtschaften und gesellschaftlicher Organisation entwickeln können. Wirtschaftswachstum beobachten wir momentan insbesondere in den emerging markets, die gerade versuchen, den nationalen Wohlstand zu erhöhen und sich am Weltmarkt zu positionieren. Wenn man hingegen fortgeschrittene Volkswirtschaften wie Deutschland und Italien anschaut, dann steigt deren Wachstum seit der Wirtschaftskrise nicht mehr so stark an wie früher. Die Prognosen, beispielsweise jene vom International Monetary Fund (IMF), gehen sogar davon aus, dass die Wachstumsquoten dieser Nationen noch weiter sinken werden. Wir müssen Wachstum deshalb neu denken: Das anhaltende Wirtschaftswachstum, wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, war ein Ausnahmezustand. Der Wachstumsgedanke wird aber nach wie vor als Credo und Leitgedanke weiterverfolgt, obwohl man mit den negativen Folgen, wie der steigenden sozialen Ungleichheit und dem voranschreitenden Klimawandel, bereits jetzt zu kämpfen hat. Wir können nicht immer weiterwachsen, das ist vor dem Hintergrund der negativen Konsequenzen und der schrumpfenden natürlichen Ressourcen nicht möglich. Außerdem stellt sich zu guter Letzt die Frage, wie es um unsere Lebenszufriedenheit steht – ob uns mehr immer auch zufriedener und glücklicher macht, oder ob wir schon bald davon erdrückt werden.

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