Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Die Klappen des Schlackenbehälters öffnen sich, die grauschwarzen Brocken fallen in den LkW. Diese Reste, sogenannte Schlacke, fallen bei der Müllverbrennung an. Sie entstehen, wenn in der thermischen Verwertungsanlage in Bozen bei 950 Grad Celsius unser Müll zu Energie umgewandelt wird. Die Schlacken sind unbrauchbar. LkWs karren sie zur nahegelegenen Deponie in Pfatten.
Der Verbrennungsofen in Bozen entspricht den Standards, Südtirols Abfallbewirtschaftung kann mit anderen Industrieländern mithalten. Doch damit ist es nicht getan, sagt Umweltaktivist Claudio Campedelli. Der Vorstand des Vereins Ambiente e Salute pocht darauf, früher anzusetzen – bei unserem Umgang mit Abfall.
Jedes Produkt landet irgendwann im Müll. Wie schädlich es ist, wenn es aussortiert wird, spielt bei der Produktion aber zumeist eine untergeordnete Rolle. Unternehmen orientieren sich bei der Produktentwicklung oft stärker an den Wünschen der Konsumenten als an den Nachwirkungen eines Inhaltsstoffes für Gesundheit und Natur.
Vor allem der übermäßige Einsatz von Plastik ist fraglich. Mikroplastik ist heute überall. Das sind Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Sie gelangen aus Kosmetika in den Abfluss und schließlich in die Gewässer, lösen sich von Spielzeug und kommen über die Abfallentsorgung in die Umwelt. Wissenschaftler finden Mikroplastik in den Mägen von Fischen, in Duschgels oder in unserer Kleidung – aber auch in der Luft und sogar in menschlichen Stuhlproben. So analysierten Forscher der Medizinischen Universität Wien und des Umweltbundesamts kürzlich Stuhlproben von acht Personen aus sechs Ländern – und fanden in allen Mikroplastik.
Mikroplastik entsteht vor allem, wenn Plastikteile in der Umwelt zerkleinert werden oder zerfallen – etwa im Meer. Über die Nahrungskette können sie in den Menschen gelangen. Welche Auswirkungen das auf den menschlichen Körper hat, ob das Mikroplastik etwa Entzündungsreaktionen begünstigt, ist noch nicht bekannt.
Wenn wir uns stärker darauf konzentrieren, Müll zu vermeiden, sind die Folgen der Müllentsorgung nicht so gravierend. Ähnlich sieht das auch die EU, die mit ihrer Abfallrichtlinie eine Strategie gegen Müll vorstellte. Oberste Priorität: Die Müllvermeidung. Und hier versagen wir. Südtirol produzierte im vergangenen Jahr 418 Kilogramm an Siedlungsabfall, also etwa Abfälle aus privaten Haushalten. Hinzu kommen Baurestmassen, die mit einer Million Tonnen den größten Teil unseres Abfalls ausmachen.
Doch so achtlos war unser Umgang mit Müll nicht immer. Vor der seriellen Herstellung waren Waren nicht so einfach verfügbar. Deshalb sah vor hundert Jahren die Situation in Südtirol ganz anders aus. Die Journalistin Jutta Kußtatscher recherchierte über unseren Wandel hin zur Wegwerfgesellschaft, der in den Nachkriegsjahren begann. Durch die industrielle Produktion stieg die Abfallmenge erheblich an. In den 70er- und 80er-Jahren organisierte der Alpenverein Südtirol sogar Sammelaktionen gegen die Verschmutzung in den Bergen. Weil die Menschen nicht wussten, wohin mit ihrem Abfall, luden sie ihn einfach in der Natur ab. Mülldeponien entstanden, die Politik musste eingreifen.
Heute ist Müllproduktion Teil unseres Alltags. Neben der Müllvermeidung fördert die EU-Abfallrichtlinie deshalb auch die Wiederverwendung, etwa durch Recycling. Ob ein Produkt wiederverwendet werden kann, beeinflusst der Bürger, denn er entscheidet, was in den Restmüll kommt und was in die getrennte Sammlung. Die Menge des Restmülls sank in den letzten Jahren stetig: Während die Haushalte 2008 101.415 Tonnen an Restmüll entsorgten, waren es 2017 nur noch 84.072 Tonnen. Dabei werfen die Südtiroler nicht etwa weniger weg – sie trennen mehr.
Giulio Angelucci, Direktor des Amtes für Abfallwirtschaft, lobt die gute Trennquote: „Die Bürger sind sensibel und gut erzogen.“ Nur wenn wir unseren Müll trennen, kann er recycelt und damit sinnvoll wiederverwertet werden. Doch nur die Hälfte der getrennten Abfälle wird durch Recycling zu einem neuen Produkt. Der Rest wird verbrannt. Grund dafür sind die verschiedenen Bestandteile unseres Abfalls. Viele getrennte Abfälle bestehen nicht nur aus einem Material. Eine Glasflasche hat einen Verschluss aus Metall oder Plastik, das Etikett ist aus Papier. Abfall beim Recycling ist so unvermeidbar.
Recyling ist nicht die Lösung unseres Abfallproblems, sondern bekämpft nur die Symptome. Denn auch das beste Recycling kann das Problem mit dem Müll nicht lösen. So ist es heute nicht möglich, aus Produkten wie Joghurtbechern oder Eierschachteln gleichwertige Gegenstände herzustellen. Stattdessen werden sie zu weniger hochwertigen Produkten, etwa zu Fasern für Kleidung oder Papier. Man spricht auch vom Downcycling, dessen Ende dann erreicht ist, wenn sich ein erneutes Recyceln nicht mehr rechnet. Dann bleibt bestenfalls die thermische Verwertung, bei der Strom und Wärme entstehen.
Die thermische Verwertungsanlage in Bozen verbrennt den gesamten Restmüll der Haushalte von Südtirol und Trentino. Dafür läuft der Verbrennungsofen 24 Stunden täglich, an sieben Tagen die Woche. Auf einem riesigen, grauschwarzen Müllberg züngeln unermüdlich gelbrote Flammen. Der durch die Verbrennung gewonnene Strom wird an das gesamtstaatliche Stromnetz abgegeben, die Wärme ins Fernwärmenetzwerk der Stadt Bozen eingespeist. Zwanzig Prozent der Emissionen in der Atmosphäre im Bozner Talkessel werden so reduziert – allein durch die Beseitigung von nun überflüssigen Heizkesseln in Kondominien.
Abfall war schon immer Teil menschlicher Kulturen, doch der Wegwerfmodus von heute beeinflusst Natur und Gesundheit. Umweltaktivist Campedelli erinnert an eine unangenehme Wahrheit: „Menschen, die sich nicht um ihre Umwelt kümmern, haben weniger Überlebenschancen als solche, die sich darum kümmern.“
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support