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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 25.05.2016
LebenPerkussionsensemble „Sissamba“

Im Takt der Trommel

Veröffentlicht
am 25.05.2016
Sie bringen die heißen Rhythmen des Karnevals von Rio nach Südtirol: Zu Besuch beim ersten einheimischen Perkussionsensemble.
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Es ist ziemlich ruhig am Mittwochabend in der Bozner Vintlerstraße. Nur wenige Autos sind unterwegs, hie und da ertönt die Fahrradglocke einzelner Radfahrer, die sich durch die schmale Straße schlängeln. Doch hört man etwas genauer hin, nimmt man einen leisen Rhythmus wahr, der an den alten Hausmauern entlang schleicht. Er kommt direkt aus dem Erdgeschoss von einem Gebäude knapp hinter dem Marienpark, aus dem Jugendzentrum Vintlerstraße. Hier finden jede Woche von 20 bis 22 Uhr die Proben des ersten Südtiroler Perkussionsensembles „Sissamba“ statt.
Dass ich beim Betreten des Raumes gleich mit Ohrenstöpseln begrüßt werde, dürfte nicht verwundern. Spätestens wenn das Orchester das erste Stück anspielt, fangen meine Ohren nämlich an zu heulen und ich stopfe mir das weiche Gummi in die Ohrlöcher. Aber nicht etwa, weil hier schlecht gespielt wird, sondern weil 39 Trommeln in einem Raum eine Lautstärke erzeugen, die ohne Gehörschutz kaum erträglich ist.

„Am Anfang haben wir noch ohne Stöpsel gespielt, da waren wir viel weniger Trommler“, erzählt Erika Corbellini. Die Radiomoderatorin hat vor drei Jahren selbst im Radio von der Gründung gehört und ist als „Sissamba“-Urgestein quasi von der Geburtsstunde des Orchesters an mit dabei. Nicht nur die Ohrenstöpsel kriege ich von ihr, sondern auch einen knallgrünen Gurt, den sie mir um die Brust schnallt. An dem wird kurz später eine Trommel befestigt, damit ich selbst mitmachen und das „Sissamba-Gefühl” am eigenen Leib erleben kann.

Von Timbas, Djembés und Surdos
Der Ursprung dieser Art von Straßenmusik liegt in Brasilien. Vor allem im Nordosten gibt es die sogenannten Batucada-Orchester überall. Die Bevölkerung dort ist zu 98 Prozent afrobrasilianisch. Mindestens einmal in der Woche wird auf der Straße gespielt, zu Karnevalszeiten natürlich viel öfter. „Jeder tanzt dann mit und durch die rhythmische Trommelmusik herrscht eine unglaubliche Stimmung auf der Straße“, erzählt Erika, während sie meinen Gurt noch einmal enger schnallt.

Die Trommlerinnen Erika und Sigrid

Aus Brasilien kommt auch das Trommelset aus Fass- und Rahmentrommeln, auf dem die Mitglieder hier im Jugendzentrum spielen. Es ist für Straßenorchester konzipiert und besteht daher nicht, wie von mir erwartet, aus hölzernen Trommeln mit Lederhaut, sondern aus Eisen und Plastik. „So sind die Trommeln leichter“, erklärt mir der Musiker, Dirigent und Initiator des Projekts, Max Castlunger, der selbst drei Jahre lang in einem Perkussionsensemble in Bologna mitgespielt hat. Der Autodidakt spielt neben Trommeln seit 30 Jahren alle möglichen Instrumente und hat seine Leidenschaft schließlich zum Beruf gemacht. „In Brasilien, wo man nicht so viel Geld für Instrumente hat, baut man sich aus Schrott und altem Aluminium viele der Trommeln selbst“, erzählt er. Um das Orchester in Südtirol zu ermöglichen, hat er hingegen kein Alteisen gesammelt, sondern Sponsoren gesucht, die die Trommeln finanziert haben.[[{„fid“:“20732″,“view_mode“:“default“,“fields“:{„format“:“default“,“field_description[und][0][value]“:“%3Cp%3EDie%20tiefen%20Basstrommeln%3C%2Fp%3E%0A“,“field_description[und][0][format]“:“full_html“,“field_imagesource[und][0][value]“:“Lisa Maria Kager“,“field_tags[und]“:“Trommel, percussion, Max Castlunger“},“type“:“media“,“link_text“:null,“attributes“:{„height“:520,“width“:780,“class“:“media-element file-default“}}]]

Die kleinsten Trommeln bei „Sissamba“ heißen Tamborims. Sie werden mit einem Schlägel gespielt und geben die Melodie im Orchester vor. Etwas größer sind die Caisas, die ebenfalls mit Schlägeln gespielt werden und zur Familie der Rahmentrommeln gehören. Die Timbas kommen den afrikanischen Djembés aus Holz am nächsten. Sie haben eine konische Form und können hohe und tiefe Töne spielen. Im Orchester sind diese Trommeln die einzigen, die mit den Händen gespielt werden, für alle anderen braucht es Schlägel. So auch für die größten Trommeln, die den Bass machen. Sie geben einen dumpfen, tiefen Klang, heißen Surdos und werden gerade von Max gestimmt, während sich das restliche Orchester im Hintergrund bereits aufwärmt. Allerlei Trommelgeräusche mischen sich zu einem großen Brei an Klängen, bis der Dirigent einmal laut in eine Trillerpfeife bläst, die um seinen Hals hängt. Plötzlich herrscht wieder Ruhe. Auf die Frage hin, ob die Truppe immer so folge, meint Max grinsend: „Logisch, ich bin der Dirigent und wenn ich pfeife, müssen alle still sein.“ Bei so vielen Mitgliedern müsse man einfach ein bisschen streng sein, meint er.

„tum ta ta ta“
Von dieser Strenge ist kurz später jedoch nichts mehr spürbar. Mit einem weiteren Pfiff von Max geht es los. Viertel, Achtel, Sechzehntel sollen wir trommeln, dann folgt das Frage-Antwort-Spiel: Max trommelt vor, das Orchester trommelt nach. Im Kreis, der sich bei Anpfiff der Probe gebildet hat, darf ich mich in die Gruppe der Timba-Spieler einreihen. Meine Timba hängt am grünen Gurt und reicht mir bis zu den Knöcheln. Sie ist leichter, als ich es mir beim ersten Anblick erwartet hatte, und reißt mich mit den ersten Schlägen darauf gleich in einen rhythmischen Tanz mit. Jeder im Raum bewegt sich im Takt und marschiert mit.
Was mittlerweile so einfach aussieht, war im ersten Jahr ein großer Kampf. Damals hat das Orchester noch im ersten Stock des Jugenzentrums gespielt. „Jeden Mittwoch hatten wir die Polizei hier bei den Proben, weil sich die Anrainer über den Lärm beschwert haben“, erzählt Erika. Seit im Erdgeschoss geprobt wird, sei dies besser.

Max in seinem Element

Max trommelt in der Mitte des Kreises, lacht, pfeift und nimmt immer wieder einen der beiden Schlägel in den Mund, um – mit der einen Hand immer weitertrommelnd – mit der anderen zu dirigieren. Abwechselnd zeigt er auf die einzelnen Trommlergruppen und gibt Anweisungen. Das, was am Ende herauskommt, ist rhythmische Trommelmusik, wie man sie vom Karneval in Rio kennt.
„Bass, Grundrhythmus und Melodie machen das Orchester aus“, erklärt mir Erika in der ersten, kurzen Pause. Aus ihnen entstehen dann die traditionellen brasilianischen Rhythmen wie Samba-Reggae oder Samba. „Außerdem spielen wir Eigenkompositionen von Max“, sagt sie etwas stolz. Die meisten Rhythmen könne man gut lernen, indem man sie spricht. Die hellen Töne sind dann „ta“ und die tiefen Töne „tum“.

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Nicht nur auf meinem Gesicht macht sich ein Grinsen breit, jeder im Kreis scheint plötzlich alle Alltagssorgen abzuschütteln und ganz in die Welt der Trommeln einzutauchen. „Das kommt davon, weil Leben eben Rhythmus ist“, sagt Max, „Herzschlag und Atmung halten uns am Leben und laufen immer in einem bestimmten Takt. Und auch wenn man an die Wiedergeburt glaubt, ist es ein immer fortwährender Rhythmus von Leben und Tod.“ Sein Motto ist es deshalb, dass Musik etwas für jeden ist und jeder Spaß dabei haben kann.

Den Spaß bei „Sissamba“ liest man in den Gesichtern

In diesem Orchester findet jeder seinen Platz. „Es gibt bei uns kein deutsch und italienisch. Die Musik ist eine universelle Sprache“, meint Erika. Wenn sie von „Sissamba“ spricht, spricht sie von einer großen Familie. Der älteste der Familie ist Franco mit seinen fast 70 Jahren. Der Eppaner kommt aus dem Schwärmen über die Trommelmusik gar nicht mehr raus. „Trommeln ist für mich Fröhlichkeit, Leben, Gesundheit und Lebensfreude“, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das Trommeln kann nämlich anstrengend sein, immerhin dauert ein Stück auch gerne mal bis zu zehn Minuten.
In der großen „Sissamba“-Familie freue man sich immer über Zuwachs. „Hier ist es ein ständiges Kommen und Gehen“, sagt Max. Probieren kann jeder umsonst. Will man fix Mitglied werden, zahlt man 150 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr.
Was dem Orchester jetzt noch fehlt, ist ein Proberaum, in dem man immer proben kann. „Es wäre wirklich ein Traum, wenn uns da jemand weiterhelfen könnte“, sagt er, schwingt seine Trommel über die Schulter und geht lächelnd aus dem Proberaum.

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