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Egal mit wem man spricht in Manaus, kriegt man knapp zwei Monate vor WM-Beginn dasselbe müde Lächeln zur Antwort auf die Frage: Ist eure Stadt ausreichend vorbereitet auf die Fußball-Weltmeisterschaft? Man braucht kein Hellseher zu sein, um das klare Nein in den Gesichtern zu lesen, das sich dahinter verbirgt.
Trotzdem werden im umstrittensten Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2014, inmitten des Amazonas, dem größten der 26 Bundesstaaten Brasiliens, im Juni vier Vorrundenspiele stattfinden. Zu den acht bei der WM-Gruppenlosung gezogenen Mannschaften zählt auch Italien. Am 14. Juni 2014 wird die Mannschaft hier auf England treffen.
Wie soll man bei Temperaturen von bis zu 40 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent guten Fussball spielen?, fragen sich Trainer wie Spieler. Laut englischer Presse fürchtet ihr Team Manaus als Höllenloch. Der Daily Mirror bezeichnete die Stadt als „Drogenhöhle“, in der die „Kriminalität außer Kontrolle“ gerate und erzürnte mit den Behauptungen nicht nur den Bürgermeister der Zwei-Millionen-Metropole am wasserreichsten Fluss der Welt.
Manaus beansprucht in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus unter den zwölf Austragungsorten der WM. Vom Rest des Landes ist die Stadt nur via Luft- oder Wasserweg erreichbar. Wer hierher kommt, sollte gegen Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis B und Typhus geimpft sein, eine Malariaprophylaxe in der Reiseapotheke wird empfohlen.
Auch wenn Manaus als Tor zu Ausflügen in den umliegenden Urwald Amazonas gilt, ist der Tourismus nur wenig bedeutend für seine Wirtschaft. Dank der in den 1960ern eingerichteten Freihandelszone florieren die beiden Zweige Industrie und Transport. Rund 600 Unternehmen sind in Manaus ansässig, darunter große Namen wie Samsung und Sony. In den letzten 50 Jahren ist die Bevölkerung daher um das Sechsfache gestiegen.
Brasilien war das einzige Land, das sich für die WM 2014 beworben hat. Es hatte so viel Zeit wie kein anderes Gastgeberland zuvor, um sich darauf vorzubereiten. „Dennoch brauchten wir ein paar Jahre, bis wir kapiert haben, dass sie hier tatsächlich stattfinden wird“, sagt ein Stadtbewohner. Zwei Monate vor WM-Anpfiff ist der Verkehr in Manaus so unkontrolliert wie ein wildes Tier im Dschungel und nicht vorstellbar, wie pro Spiel 50.000 Menschen mehr transportiert werden sollen. Nicht zu reden von deren Unterkünften: einige der für die WM geplanten Hotels sind immer noch Baustellen.
Es ist kurz nach Mittag, als sich Architekt Hubert Nienhoff vor der Arena do Amazonia, dem neuen Fußballstadion der Stadt, den Schweiß von der Stirn wischt. „Wir haben uns mit der Identität des Ortes beschäftigt und versucht, die Natur zu abstrahieren“, sagt der Partner des deutschen Architekturbüros GMP-Architekten, das für die Planung des umstrittensten Stadions verantwortlich war. Das Muster des Stadions findet sich im Handwerk der Indigenen und auch in der Flora der Umgebung wieder.
Dennoch hört man in diesen Tagen selbst vom größten Fußballfan, er könnte weinen, wenn er an den Unsinn dieses Projektes denke. Die Kritik der Bewohner richtet sich vor allem gegen die immens hohen Kosten. Rund 670 Millionen Reais (knapp 218 Mio. Euro) hat der Stadionbau verschlungen, viel mehr als ursprünglich angegeben. Die Instandhaltung wird dem Steuerzahler jährlich ca. 1,9 Millionen Euro abverlangen.
„Manaus wird einen bleibenden Eindruck in der Welt hinterlassen“, sagt eine Frau in einem Cyber-Café, die Englisch und Spanisch studiert und damit als einige der wenigen in Manaus eine Fremdsprache beherrscht. „Ja, aber welchen?“, fragt ein Mann am Computer daneben. Er kriegt keine Antwort darauf.
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