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Veröffentlicht
am 07.02.2014
LebenEingesperrt

Im Hochsicherheitstrakt

Veröffentlicht
am 07.02.2014
Jetzt wird es hart: Zuerst kommt Agnes S. in einen besonders gesicherten Haftbereich, dann wird sie in Trient verurteilt. Kraft holt sie sich beim Malen.
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Während ihrer Zeit im Hochsicherheitstrakt hat Agnes S. ihren Briefkasten übermalt.

Meine Tage schleppen sich dahin. Ich muss mich an diesen Ort gewöhnen und es ist gut, dass ich nicht arbeiten muss, das Essen bekomme und im Bett bleiben kann, so lange ich will. Mein Gesundheitszustand ist schrecklich, ich müsste am Rücken operiert werden. Zwei Stunden täglich versuche ich mit Mühe ohne Korsett zu gehen. Im April dann bekomme ich vom Arzt eine neue, schimmelfreie Matratze verschrieben. Sich an einem solchen Ort zu erholen, ist eine langwierige Angelegenheit. Das Essen ist ungesund, meist haben wir schlechtes Wasser und zu viel Stress, dazu raucht meine Zellnachbarin den ganzen Tag und will nicht lüften, sodass meine Augen brennen. Als Alternative könnte ich um die Versetzung in ein Klinisches Zentrum ansuchen. Dort gibt es jedoch auch nur kleine, graue Zellen, überfüllt mit schwerkranken Menschen, dazu kommen ewige Wartezeiten für Kontrollen und Behandlungen, wird mir berichtet. Das wäre ghupft wia gsprungen, denke ich mir. Ich bleibe hier.

Bunte Farben im kühlen Grau

Am 12. Jänner 2008 ist ein warmer Regentag und ein großer Regenbogen zeigt sich am Himmel. Die längste Weile betrachte ich durch das engmaschige Fenstergitter seine wohltuenden Farben. Wenige Tage darauf, nach den vielen, seit November mit Nebel behangenen Tagen, scheint das erste Mal die Sonne und der Himmel ist klar.

Im Februar ist mein erstes Verhör vor Gericht in Trient, mit einer anderen Anwältin. Mit ihr konnte ich vorher so gut wie nichts besprechen und mein erster Anwalt hat ihr die Unterlagen, die meine ganze Geschichte erklären, auch nicht geschickt. Nach dem Verhör sagt die Anwältin zu mir: „Wir suchen um die Aufnahme in eine Therapiegemeinschaft für Drogenabhängige an, bis im April werden Sie dort sein. Das ist der einzige Ausweg und es ist besser, wenn das Ganze ein paar Jahre dauert und Sie dann gesund nach Hause kommen …“ Mir wird ganz mulmig zumute, ich möchte ja nur nach Hause gehen, meine Leute brauchen mich und ich sie, ich möchte ein normales Leben führen und wieder arbeiten, ich kann nicht alle so lange im Stich lassen. Ich sage ihr trotzdem zu und unterschreibe die Formulare, die sie braucht.

Zurück in Bologna, werden wir Hochsicherheitsfrauen im Erdgeschoss, in einer eigenen Abteilung untergebracht, von allen anderen abgesondert, mit größeren Zellen und warmer Dusche darin. Die Fenstergitter sind gleich engmaschig wie vorher und die Zellen finster. Mehrmals wechseln meine Zellnachbarinnen, eine kommt, eine geht, alles nette Frauen, ebenso wechsle ich Zelle. Endlich auf der Südseite, wo sich zu meiner Enttäuschung wenige Meter vor dem Fenster ein Loch der Jauchegrube befindet. Je nach Wetter und im Sommer bei der größten Hitze müssen wir die Fenster geschlossen lassen. Im oberen Stockwerk werden neue Duschen eingebaut und monatelanges Bohren, Schlagen und Hämmern übertönt alles, ein totales Chaos.

Bei unseren Freitagsmessen darf ich Harmonium spielen und ich lasse mir Notenmaterial schicken. Üben darf ich jedoch nie, dazu bräuchte es eine extra Aufsicht. So zeichne ich mir eine Tastatur auf zusammengeklebte Blätter und übe stumm auf meinem Bett. Für uns gibt’s leider keinen Musikraum wie im Männergefängnis drüben. Oft hören wir uns sehnsüchtig die sich über die Mauern schleichenden Schlagzeug- und Gitarrenklänge und Gesänge von dort an.

Die Kreativität gibt mir Kraft

Eines der größten Probleme hier ist es, wenn die Inhaftierten keine Beschäftigung finden. Vor unseren Fenstern sind zwei riesige Gewächshäuser, wo keiner rein darf. Die Sizilianerin nutzt ihre Zeit zum Häkeln, braucht dafür aber eine extra Genehmigung und muss Garn und Häkelnadel jeden Abend abgeben. Nähnadeln sind uns verboten. Wir kochen und backen selbst auf dem kleinen Campinggaskocher, auch Kuchen, Brot und Strudel. Ich male und zeichne viel. Etwas Material dafür besorgen uns die freiwilligen Helfer, als Radiergummi benutzen wir Brot. Ich male Filzstifte leer und bastle mit den leeren Röhrchen und Klebestreifen eine kleine Panflöte. Das Verhältnis der Pfeifenlängen hatte ich einmal in der Schule gelernt.

Ab März habe ich das Glück vom Dienst für Abhängigkeitserkrankungen eine Kunsttherapeutin aus Florenz für mich persönlich zu bekommen. Bei ihr darf ich Aquarelle malen und bin gleichzeitig in Therapie. Ich staune selbst, wie viel Kraft mir diese Kreativität gibt. Auch meine Psychologin betreut mich regelmäßig. Viel Zeit nutze ich für meine Post, mein Briefkasten befindet sich direkt an der Zellentür. Er ist fast jeden Tag mit Briefen gefüllt. Niemand meiner Leute lässt mich im Stich und die Post ist hier ohne Einschränkung. „Es ist, glaube ich, 20 Jahre her dass ich einen handschriftlichen Brief geschrieben habe … Morgen haben wir Familientreffen … Ich schicke dir ein Paket mit deinen Lieblingskeksen …“ So ein Brief aus der Schweiz. Diese Kekse bekomme ich dann allerdings erst bei meiner Entlassung, mit der Post geben sie uns keine Lebensmittel.

Der Kontakt mit der Außenwelt ist mir am Wichtigsten. Nach Hause telefonieren darf ich zwei Mal im Monat für jeweils 10 Minuten. Beim Besuch sind zwei bis vier Stunden Wartezeit angesagt für ein bis zwei Stunden Gespräch und die große Entfernung macht alles noch komplizierter.

Das Frühjahr naht und ich möchte, wie jedes Jahr, so gerne einen Garten bepflanzen. Am Tag der Frau, am 8. März, bekommen wir von den freiwilligen Helfern drei gelbe Narzissen, damit habe ich eine unglaubliche Freude. Sonst dürfen wir hier keine Pflanzen haben. Es gibt nur Betonboden und –wände.

Ich werde für eine orthopädische Visite in Handschellen ins Spital gebracht. Ich muss mein Korsett abnehmen, mich nach vorne beugen, dann nach hinten. Der Orthopäde sagt: „Werfen sie das Korsett weg, sie sind geheilt, zur Sicherheit merken Sie sich für eine Magnetresonanz vor.“ Er verschickt mich gleich ohne weitere Fragen oder Anweisungen.

Meine Verurteilung

Anfang Mai ist die Vorverhandlung in Trient. Neun Stunden lang, während der Fahrt und im Gerichtssaal, bekommen wir nichts zu essen und zu trinken, dafür sind wir die ganze Zeit in Handschellen. Erbarmungslos lassen die Polizeibeamten die vom Gefängnis mitgeschickten Brötchen im Wagen liegen. Über 50 Angeklagte werden gleichzeitig prozessiert.

Ich werde von der Anklage wegen Kriminellenvereinigung freigesprochen. Wegen Drogenhandels werde ich zu vier Jahren Haftstrafe und 24.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Das heißt, ich müsste aus dem Hochsicherheitstrakt rauskommen, bis zum Eintritt in die Therapiegemeinschaft passiert aber nichts. Die Verantwortliche dieser Therapiegemeinschaft kommt mich irgendwann besuchen und erklärt mir, was mich ungefähr bei ihnen erwartet, verspricht mir Klavierspielen, gute Anwälte usw. „Wann gehst du endlich in die Comunità?“ fragen mich die Inhaftierten dauernd. „Ich weiß es nicht“, antworte ich. Ich denke, jeder Tag, den ich hier bin, ist auch ein abgesessener Tag. An so viele Jahre denken, das ist eine Ewigkeit, das ist ungerecht was sie mir antun, ich habe auch kein Geld, um die Strafe zu bezahlen. Wie kann ich denn das jemals gut machen? Alles ist zerstört. Es tut mir so leid! Wie konnte ich diesen Mist bloß anrühren? Ich wollte doch jemandem raushelfen aus dem Dreck, dabei hab ich mich reinziehen lassen.

Die Zeit im Hochsicherheitstrakt ist vorbei

Nach acht Monaten meiner Haftzeit, ab Mitte Juli, dürfen wir für drei Stunden am Tag ins Freie, so wie es für jeden Häftling vorgesehen ist. Sie öffnen uns einen bis jetzt unbenutzten Hof mit Erdboden, Gräsern und auch wilden Blumen. Dort hinein stellen sie ein Calcetto. Endlich spüre ich Erdboden unter meinen nackten Füßen, lege mich ins Gras, kann es kaum glauben. Im Sommer bei fast 40 Grad lege ich mich in die pralle Sonne, um Wärme aufzutanken. Die ganzen Blümchen sind Modelle für meine Zeichnungen. Am 17. September endet meine Zeit im Hochsicherheitstrakt. Ich werde entlassen, in der Abenddämmerung überführen sie mich in einem Luxuswagen mit Musik, weichen Sitzen und guter Aussicht über die Autobahn auf die Hügel der Apenninen in die Therapiegemeinschaft „Il Sorriso“ in der Villa Traversa. Während der Fahrt läuft das Lieblingslied meiner Zellnachbarin und erinnert mich an sie, während wir genau am Autogrill vorbeifahren, wo sie einmal gearbeitet hat. Wir kommen an. Meinen liebgewonnenen Freundinnen werde ich Briefe schreiben.

Von Agnes S.

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