Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
„Redaktionsschluss!“ Ein Wort, das bei jedem Journalisten ein nervöses Kribbeln auslöst: Artikel in letzter Minute fertigstellen. Texte redigieren. Hoffen, dass alles glattgeht. Der Reporter Ulrich Ladurner (52) führt mich durch die Gänge der Hamburger ZEIT-Redaktion in sein Büro. Seit 1999 arbeitet der gebürtige Meraner für die renommierte Wochenzeitung. Als Auslandsredakteur hat er unter anderem aus dem Irak und Iran, aus Afghanistan und Pakistan berichtet. In wenigen Stunden geht „DIE ZEIT” in Druck. Trotz emsiger Betriebsamkeit in der Redaktion präsentiert sich Ladurner im Interview aufgeräumt und gelassen. Ohne Umschweife bietet er mir das „Du“ an und das Gespräch beginnt.
Du bist als Reporter in vielen Krisenregionen der Welt unterwegs. Warst du schon in Lebensgefahr?
Ja, das gab es immer wieder mal. Während des Jugoslawienkriegs zum Beispiel war ich während des gesamten Kosovokrieges in Serbien. Da musste man sich darauf verlassen, dass die NATO „richtig“ bombardiert.
Hast du das Schicksal in solchen Momenten herausgefordert?
In meinen jungen Reporterjahren war vielleicht eine gewisse Leichtfertigkeit dabei. Aber die Kriegsberichterstattung gab mir nie einen Adrenalinausstoß. Ich war immer vorsichtig.
Baut man in Krisenregionen einen emotionalen Schutzpanzer auf?
Es braucht das richtige Maß zwischen Distanz und Empathie. Und als Journalist ist mir klar: Mein Auftrag ist es, zu berichten. Ich bin Zeuge, kein humanitärer Helfer. Nur mit dieser Gewissheit kann ich meinen Job ausüben.
Was zeichnet guten Journalismus aus?
Die Fakten müssen stimmen und die Analysen müssen nachvollziehbar sein. Eine klare Gedankenstruktur ist wichtig, denn Journalismus ist in erster Linie ein Handwerk.
„Ich schreibe mit heißem Herzen und kühler Feder.”
Hanns Joachim Friedrichs sagte: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Hältst du dich an diesen Grundsatz?
Ich versuche es, denn in diesem Satz steckt viel Wahrheit. Ich schreibe mit heißem Herzen und kühler Feder. Das heißt, ich schreibe distanziert und versuche, Sachverhalte in all ihren Facetten darzustellen. In Kriegssituationen fällt das häufig schwer.
Gibt es einen journalistischen Beitrag, den du im Nachhinein bereut hast?
Ich habe Fehler bei der politischen Einschätzung im Jugoslawienkrieg gemacht. Das hat mich lange Zeit beschäftigt.
Mein Blick schweift durch das Büro. Eine Eintrittskarte für ein Fußballspiel des FC St.Pauli und eine schwarze Spiegelreflexkamera verraten Ladurners Interessen abseits des Schreibens. Ansonsten passt der Raum zum Klischee des unaufgeräumten Schriftstellers: Lose Zettel türmen sich auf dem Schreibtisch oder liegen wild verstreut auf dem Boden herum. Das Bücherregal ist mit Reiseführern und Büchern aus allen Herren Ländern vollgestopft.
Du hast selbst viele Bücher verfasst. Hast du während des Schreibens nie Angst gehabt, dass die Kritiker dein Buch in den Feuilletons zerreißen?
Nein, das ist mir im Moment des Schreibens völlig egal. Ich schreibe Bücher, weil es mir Spaß macht. Jedes Buch ist für mich eine Reise: Manches war mit Mühe verbunden, aber meistens war es ein großes Vergnügen. Auch, weil ich mich dadurch selbst besser kennengelernt habe.
„Die Südtiroler haben in der Geschichte ein unverschämtes Glück gehabt, ohne sich dessen bewusst zu sein.”
Wie ist das Verhältnis zu deinen Lesern?
Ich frage mich manchmal, warum Menschen ohne Probleme 3,50 Euro für einen Cappuccino ausgeben, aber nicht bereit sind, 9,90 Euro für ein Buch hinzublättern.
Findet beim Schreiben eines Buches so etwas wie die Vereinzelung des Autors statt?
Nein, aber ein Buch zu schreiben, hat viel mit Disziplin zu tun. Ich ging um 21 Uhr ins Bett, stand um vier Uhr morgens auf und habe dann bis um sieben Uhr an meinem Buch geschrieben. Dann wachen die Kinder auf, und dann geht es weiter ins Büro zu meiner regulären Arbeit.
Das Telefon klingelt. Redaktionsschluss bedeutet, unter Zeitdruck Beiträge fertigzustellen. Ladurner ringt mit einer ZEIT-Kollegin am anderen Ende der Leitung um Änderungen in einem Text über Jeb Bush. Am Telefon spricht Ulrich Ladurner so, wie er schreibt: Klar, unaufgeregt, und sachlich. Aber auch schonungslos in der Analyse. Nach zehn Minuten können wir unser Gespräch fortsetzen.
In deinem Buch „Südtiroler Zeitreisen” beschreibst du deine ambivalente und mitunter kritische Haltung zu Südtirol.
Wir sind ein kleines Volk, das sich sehr gerne mit sich selbst beschäftigt. Dabei haben die Südtiroler in der Geschichte ein unverschämtes Glück gehabt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Mehr Bescheidenheit wäre daher angebracht.
„Die Südtiroler sehen sich gerne als Opfer – das gefällt mir nicht.”
Inwiefern?
Uns fehlt bei der historischen Betrachtung die Einordnung im Gesamtkontext. Ein Beispiel: Der Todesmarsch, den Kanonikus Michael Gamper 1953 ausrief. Dass Gamper diesen Begriff verwendet, finde ich frivol und ist eine propagandistische Übertreibung. Der Begriff Todesmarsch war nach dem Krieg eindeutig historisch verortet. Auf dem „Todesmarsch“ waren die ungarischen Juden, die man im Winter 1944/45 ins KZ Mauthausen trieb – das Ziel war, dass möglichst wenige im KZ ankommen sollten. Aber die Südtiroler waren nicht auf dem Marsch ins KZ. Es war ein Todesmarsch im übertragenen Sinne, das ja. Aber die Südtiroler sehen sich gerne als Opfer – das gefällt mir nicht.
Entwickelt sich Südtirol zum Besseren?
Ja, eindeutig. Ich bin bei solchen Fragen sehr von meiner Kriegsberichterstattung geprägt. Was das Zusammenleben betrifft: Mir reicht es schon, wenn sie sich nicht gegenseitig umbringen. Das ist das Mindestmaß einer gesellschaftlichen Ordnung. Alles, was oben drauf kommt, ist ein Plus.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Leute weniger jammern. Vor allem die Südtiroler. Die raunzen sich ja die Demokratie ins Grab. Die geringe Wahlbeteiligung bei den Stichwahlen in Meran und Bozen spricht Bände.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support