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Vera Huber und Katrin Wieser aus Naturns waren an ihrem letzten Urlaubstag in Nizza gerade auf dem Heimweg ins Hotel, als der weiße Laster in wahnsinniger Geschwindigkeit über die Promenade raste. 84 Menschen wurden bei dem Anschlag getötet, Vera und Katrin überlebten unverletzt – weil sie wenige Minuten zuvor die Straßenseite wechselten, um ein Foto zu schießen.
Für BARFUSS haben die beiden jungen Frauen ihre Erlebnisse aufgeschrieben. Sie hoffen, sie dadurch schneller zu verarbeiten und möchten sich selbst und anderen Menschen Mut zusprechen.
Am Abend des 14. Juli wollten wir ursprünglich in unserem Hotel bleiben, da wir am nächsten Morgen unsere Rückreise antreten mussten. Gegen 20 Uhr bekamen wir Hunger und beschlossen noch kurz mit unseren Pennyboards in die Stadt zu fahren. Wir fuhren an der Promenade entlang, wobei uns schon auffiel, dass ein besonderer Tag sein musste. Wir hörten Live-Musik, viele Menschen waren im Gesicht mit der französischen Flagge bemalt und überall standen Polizei und Militär. Wir gingen ins McDonalds und setzten uns dann an den Strand, um dort zu essen. Wir wunderten uns, warum so viele Menschen in Reihen saßen und auf das Meer schauten. Wir erhofften uns ein Feuerwerk und genau so war es. Unser Urlaub endete mit einem wunderschönen Feuerwerk am Meer. Als es danach zu tröpfeln begann, beschlossen wir, schnell nach Hause zu fahren.
„Menschen rannten durcheinander. Als wir uns zur anderen Straßenseite umdrehten, um zu verstehen, was los war, hörten wir dreimal einen Knall und sahen einen weißen Laster an uns vorbeirasen.“
Wir waren beide schon sehr müde und probierten, uns so schnell wie möglich durch die Menschenmenge zu drängen. Kurz vor dem Hotel Negresco wechselten wir die Straßenseite, da Katrin ein Foto von dessen toller Beleuchtung machen wollte und dort auch weniger Gedränge war. Wir stiegen auf die Pennyboards und konnten so an den Leuten vorbeifahren. Doch wir waren noch nicht einmal am Hotel, als plötzlich wildes Geschrei zu hören war. Menschen rannten durcheinander. Als wir uns zur anderen Straßenseite umdrehten, um zu verstehen, was los war, hörten wir dreimal einen Knall und sahen einen weißen Laster an uns vorbeirasen. Warum durften bereits Autos fahren, obwohl die Straßen noch voller Menschen waren? Doch an der Geschwindigkeit des Lasters und dem Fahrstil des Fahrers wurde uns sofort klar, dass dieser keinesfalls mit Erlaubnis fuhr. Erst da verstanden wir, dass es sich bei den Knallen um Schüsse handeln musste. Der Laster fuhr in Schlangenlinien direkt in die Menschenmenge hinein.
Wir waren zum Glück immer noch neben dem Hotel Negresco und konnten durch einen der Seiteneingänge in einen Speisesaal hineinrennen. Drinnen sahen wir erschrockene und weinende Leute und keiner wusste so recht, was passiert und nun zu tun war. Wir spürten unser Herz pochen und waren von der Situation überfordert.
„Wir sahen viele Rettungswagen und Helikopter, wie immer noch Leute rannten und weinten, wie einige neben den Leichen standen und trauerten, wie andere diese Leichen mit Handtüchern bedeckten.“
Immer mehr Leute rannten in den Speisesaal, um sich in Sicherheit zu bringen. So standen wir also da, voller Panik und ahnungslos, ob wir wirklich in Sicherheit waren oder nicht. Die Angestellten des Hotels kamen immer wieder zu uns und versuchten uns zu beruhigen und uns Mut zu machen. Wir wussten lange Zeit nicht, was überhaupt passiert war. Als schließlich Veras Vater anrief und fragte, ob alles in Ordnung sei, gab er uns die ersten Informationen, die er im Fernsehen hörte.
In der Aufregung und Ungewissheit standen wir öfters an der Tür, um hinaus auf die Straße zu blicken. Wir sahen viele Rettungswagen und Helikopter, wie immer noch Leute rannten und weinten, wie einige neben Leichen standen und trauerten, wie andere diese Leichen mit Handtüchern bedeckten. Ungefähr eine Stunde nach dem Unglück beobachteten wir eine Szene, die uns im Gedächtnis geblieben ist: Wir sahen einen Mann mit drei Kindern, der hoffnungsvoll versuchte, jemanden am Telefon zu erreichen. Als diese Person antwortete, sprangen die Kinder in die Luft und umarmten sich, bevor sie weiterrannten.
„Uns war nichts passiert. Doch genau in diesem Moment lagen hunderte Menschen auf der Promenade, auf der auch wir hätten liegen können.“
Um zwei Uhr nachts durften wir das Hotel verlassen. Doch auch nach dieser Nachricht war die Angst noch nicht vorbei, denn wir hatten noch einen 15-minütigen Heimweg vor uns. Viele Menschen rannten noch immer panisch durch die Straßen und auch wir versuchten durch Laufen möglichst schnell in unser Hotel zu kommen. Dort angekommen umarmten wir uns. Wir waren noch nie so glücklich und traurig zur gleichen Zeit. Uns war nichts passiert. Doch genau in diesem Moment lagen hunderte Menschen auf der Promenade, auf der auch wir hätten liegen können.
Die Nacht dauerte in unseren Augen ewig, da wir nicht schlafen konnten und ständig die gleichen Szenen und Bilder im Kopf hatten. Die geplante Heimreise sollte trotzdem stattfinden, weshalb der nächste Morgen für uns sehr früh begann. Die Promenade war noch immer gesperrt und wir versuchten so schnell wie möglich den Bus zu erreichen, um endlich auf andere Gedanken zu kommen. Doch das war nicht möglich, denn es war bei fast allen das einzige Gesprächsthema. Die ganzen Nachrichten, die uns geschrieben wurden und in denen gefragt wurde, ob es uns gut ginge, halfen uns hingegen. Dadurch wurde es möglich, offener über die Situation zu sprechen. Die 13-stündige Busfahrt wollte nicht vorübergehen und wir lasen ständig Medienberichte über den Anschlag, um die Frage nach dem Warum zu klären.
Katrin: „Ich habe den Drang, jedes Detail zu kennen“
Auch in den nächsten Tagen fiel es mir schwer, an etwas anderes zu denken, da sich manche Szenen bis heute ständig vor meinem inneren Auge wiederholen. Ich habe viel mit meiner Familie und meinen Freunden über den Vorfall in Nizza gesprochen und war auch bei einer Messe, die der Pfarrer für die Opfer von Anschlägen abgehalten hat; beides hat mir beim Verarbeiten der Situation geholfen.
Das Einschlafen fällt mir bis heute schwer, aber auch das wird mit der Zeit besser werden. Was mir ständig wieder bewusst wird, ist das Glück, das ich hatte, nicht auf der anderen Straßenseite zu stehen. Meine jetzigen Gedanken drehen sich immer noch oft um den Anschlag und seine Ausmaße. Es ist unvorstellbar, wie viele Menschen von seinen Folgen betroffen sind. Mir selbst ist körperlich nichts passiert und auch psychisch werde ich mich wieder erholen. Ich habe mich wahrscheinlich noch nie in meinem Leben über einen Anschlag so sehr informiert. Ich habe den Drang, jedes Detail zu kennen. Was mich an der Medienberichterstattung ärgerte, war zum Beispiel das Vorgehen von manchen Südtiroler Nachrichtenportalen. Sie schrieben über Urlauber in Nizza, die „hautnah am Geschehen“ gewesen seien, obwohl sie nur durch Zufall ein Polizei- oder Rettungsauto vorbeifahren gesehen haben.
Auch wenn ich im Moment nicht plane, so schnell wieder in den Urlaub zu fahren: Ich glaube, es ist keine gute Strategie seinen nächsten Urlaub aus Angst vor Attentaten abzusagen. Meiner Meinung nach erreicht der Attentäter durch diese Angst sein Ziel von Aufmerksamkeit und Macht.
Vera: „Das Ziel der Terroristen ist es, den Menschen Angst zu machen“
Trotz der erlebten Ereignisse werde ich meine Lebensfreude nicht verlieren, denn ich war immer schon jemand, der keine Angst hatte. In nächster Zukunft werde ich große Menschenmengen aber sicher meiden und mir bestimmte Personen dreimal anschauen, bevor ich mich in deren Nähe begebe. Das Erlebte zu verarbeiten braucht sicher seine Zeit und ich werde mir immer wieder die Frage nach dem Warum stellen. Trotzdem möchte ich allen sagen, dass sie keine Angst haben sollen, weiterhin das zu machen, was sie gerne tun. Das Ziel der Terroristen ist es ja, den Menschen Angst zu machen. Deshalb ist es meiner Meinung nach das Sinnvollste, mit offenen Augen und Wachsamkeit in die Welt hinaus zu gehen.
von Vera Huber und Katrin Wieser
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