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Vor einigen Tagen habe ich meine Augen geschlossen, Luft geholt und Geburtstagskerzen ausgepustet, um mir das zu wünschen, was sich jeder Ypsiloner eben gerne wünscht: Freiheit, Zufriedenheit und Spaß am Leben. Doch während ich genüsslich den Rauch der ausgepusteten Kerzen inhaliert habe – ich liebe diesen Geruch einfach –, habe ich nicht nur singende Leute gehört, die sich um meine Geburtstagstorte gereiht haben, sondern auch die Stimme meiner Mutter, die etwas schmunzelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen meinte: „Alles Gute, mein Schatz! Tja, als ich so alt war wie du, habe ich schon geheiratet!”
Daraufhin ist mein Blick auf die fettgedruckte Zahl mitten auf der sahnigen Torte gesunken. Drei-und-zwanzig. Im besten Alter für hart durchfeierte Partynächte, kopflose One-Night-Stands und zu viele doch nicht realisierbare Träume. Aber doch, BITTE, noch nicht für eine Hochzeit! Oder etwa doch?
Glaubt man zumindest dem Statistikinstitut ASTAT ist die Zahl der Eheschließungen in Südtirol allein im letzten Jahr um 10 Prozent gestiegen. Doch der durchschnittliche Südtiroler heiratet erst mit 35 Jahren und das ist bei mir ja wohl – zum Glück – noch eine ganze Weile hin.
Ob ich in einem Dutzend Jahren ans Heiraten denke, weiß ich jetzt noch nicht. Die Sache mit dem Nachwuchs sollte ich dann jedoch besser schon geklärt haben. Das hat mir erst neulich wieder eine Studie der Universität Rotterdam klar gemacht, die ich mit skeptischem Grinsen überflogen habe. Diese besagt, dass man bei einem Kinderwunsch von drei Nachkommen, spätestens mit 23 (!) Jahren anfangen sollte, daran zu arbeiten. Die Chance, wirklich drei Mal Mama zu werden, liege dann bei ganzen 90 Prozent. Die Chance, dass ich gerade jetzt, im Zenit meiner Jugend, mit dem Kinderkriegen anfange, steht dagegen gerade bei ganzen null Prozent. Ich bin Single und versuche das Leben in all seinen Facetten zu genießen, um schlussendlich den Weg zu finden, der mich irgendwann überhaupt bereit sein lässt für eine Familie. Derweil lasse ich die biologische Uhr ruhig im Hintergrund weiter ticken und stille eventuell aufkommende Panik ganz einfach mit einem fetten Stück sahniger Geburtstagstorte.
Wir sind die Familien-Revoluzzer
Trotzdem träume ich – auch als Ypsilonerin – natürlich davon, irgendwann meinen eigenen, kleinen Clan zu haben, bei dem ich mich sicher und unzerstörbar stark fühle. Eine Familie, die eine Einheit bildet und Heimat ist, für jedes seiner Mitglieder. Von Glück kann ich sprechen, dass ich in Zeiten, in denen mehr als eine von vier Ehen scheitert, bereits in solchen Verhältnissen groß werden durfte. Einem klassichen Familienmodell: Vater-Mutter-Kind-Kind. So und nicht anders sollte es zu Zeiten unserer Eltern aussehen. Ledige Kinder und wilde Ehen waren verpönt. Heute gehören genau diese zum Standard.
So wie die Generationen hat sich also auch die Konstellation der Familie gewandelt und folgt jetzt einem System, das eigentlich gar keines ist. Wir Ypsiloner haben von unseren Vorgängern gelernt – und wollen es nun besser machen. Obwohl wir, ehrlich gesagt, wahrscheinlich gar keinen Plan davon haben, wie das eigentlich gehen soll. Doch wie in den restlichen Fragen des Alltags unterscheidet uns auch hier wieder ein einfacher Punkt von den älteren Generationen: die Intuition. Dieses Gefühl, von dem wir Ysis alles halten und dem wir jederzeit blind folgen. Spielt unser Bauchgefühl nicht mit, schlagen wir einfach einen anderen Weg ein und improvisieren uns weiter durch den Hindernisparcours des Lebens.
Flexibilität ist das Substantiv, das unsere Ypsiloner-Familien ausmacht.
So entstehen spontane Familien-Modelle mit zwei Vätern, vier Müttern, sechs Omas oder doch nur einem Papa. Wie auch immer. Ob Homo-Ehen, Patchworkfamilien oder doch die ganz traditionelle Variante – wir sind flexibel und passen uns den Gegebenheiten des Lebens an. Mit dieser Flexibilität überbrücken wir dann auch die Angst, dass Familie Trägheit bedeuten könnte. Sich auf etwas festlegen, gehört ja bekanntlich nicht zu unseren Stärken. Und genau deshalb tun wir uns bei der Vorstellung einer Familie vielleicht oft noch schwer. Egal ob mit 23, 27 oder 31. Als einzig wirkliches Fixum im Leben könnte diese nämlich nie mehr storniert, gekündigt oder umgetauscht werden. So etwas kann für einen Ypsiloner durchaus erdrückend wirken und eine zwanghafte Single-Starre auslösen.
Zum Glück gehört die Flexibilität, entgegen der Konsequenz, sehr wohl zu unseren Stärken. Mit dieser einfachen Zutat ist die Vereinbarkeit verschiedenster Lebenswege somit kein Problem. Ob wir nun für die Kindererziehung daheim bleiben wollen, der Papa den Hausmann spielt oder wir doch alle Kinder einpacken und zu einer großen Weltreise aufbrechen.
Familie bleibt. In jeglicher Form, zu jeder Zeit und überall.
Im Prinzip ist es also egal, ob ich nun heirate, Single bleibe, ein Kind mit einem Mann oder drei mit drei Männern habe oder doch vielleicht irgendwann noch lesbisch werde. Hauptsache ich schaffe es mir in dieser Flexibilität irgendwann eine Familie zusammenzustellen – in welcher Konstellation auch immer. Die Chancen dazu stehen meiner Meinung nach nicht schlecht. Wenn ich so dabei zusehe, auf wie vielen Polterabenden meine Freundinnen gerade tanzen, würde ich sagen, dass die Tendenz der Ysi-Ehen wieder steigend ist. Wer weiß, was ich mir also beim nächsten Mal Geburtstagskuchenkerzenauspusten wünsche.
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