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Das Stück „Kein Weltuntergang” stammt von der britischen Autorin Chris Bush. Der Inhalt: Die junge Wissenschaftlerin Anna Vogel strebt eine Stelle am Institut der renommierten Klimaforscherin Uta Oberdorf an. Im sich wiederholenden Vorstellungsgespräch werden verschiedene Varianten durchgespielt. Dabei gerät Vogel immer wieder ins Straucheln – mal durch das Patriarchat, mal durch den Generationenkonflikt, mal durch die eigene Inkonsequenz, ihre persönlichen Überzeugungen in ihrem Handeln umzusetzen. Regie führt die freischaffenden Regisseurin Sophia Aurich, die Berlinerin war von 2016 bis 2020 Regieassistentin am Konzert Theater Bern. Das Stück feiert am Samstag, 14. Jänner, Premiere, wir haben vorab mit Sophia Aurich ein Interview geführt.
BARFUSS: Die VBB haben schon vor etwas mehr als einem halben Jahr mit „Anthropos, Tyrann (Ödipus)” ein Stück zum Klimawandel gebracht. Jetzt folgt ein weiteres Stück dazu. Wie kann das Theater einem solch bedeutungsvollen Thema begegnen?
Sophia Aurich: Es ist ein Versuch beziehungsweise eine Versuchsanordnung. Wir hatten das Gefühl, dass wir eine Atmosphäre, ein Bild und eine Idee kreieren sollten, was für eine Sicht auf die Welt möglich ist. Eher ein Gefühl zum Zustand der Welt zu schaffen als die Zuschauenden nur mit Faktoiden zu überschwemmen. Wir arbeiten mit Assoziation und Bildern, um die Zuschauerinnen und Zuschauer auf einer sinnlichen Ebene zu erreichen.
Im Titel des Stücks ist das „Kein” durchgestrichen. Also doch nicht der Weltuntergang, besteht noch Hoffnung?
Wir lassen es im Prinzip offen, ob die Welt untergeht oder nicht. Objektiv führt aber alles dort hin. Wir fressen unsere Erde auf, wir verpesten unsere Atmosphäre und beuten die Natur aus. Es gibt zwar klare Ziele, wie das alles verhindert werden kann, doch momentan steuern wir auf die Apokalypse zu. Im Stück geht es um die Verantwortung jedes Einzelnen, etwas gegen den Klimawandel zu bewirken. Ein Hoffnungsschimmer soll jedoch bleiben, vor allem im Hinblick auf das kollektive Gefüge. Nur als in Wechselwirkung miteinander können wir den Untergang des Planeten verhindern.
Wie würden Sie in wenigen Worten den Inhalt dieses Stücks wiedergeben?
Es geht um das „Hyperobjekt“ Klimawandel. Wir alle wissen um seine Existenz, doch er ist nicht greifbar und scheint gleichzeitig fremd und fern. Diese Komplexität wird exemplarisch anhand verschiedener Varianten durchgespielt. Jedes kleine Detail zählt, um eine Veränderung herbeizuführen. Das Stück eröffnet quasi unterschiedlichste Möglichkeiten in pucto: Wie wollen wir leben, um die Katastrophe zu verhindern?
Wie ist dieses Theaterstück inszeniert?
Es ist assoziativ und bildlich gedacht. Wir versuchen auf einer spielerischen Ebene Emotionen zu kreieren, ohne sentimental zu sein.
Verschiedene Entscheidungen ihrer Protagonistinnen und Protagonisten sind in Ihrem Stück vordergründig…
Diese Entscheidungen sind den verschiedenen Varianten im Stück geschuldet. Sie resultieren aus verschiedensten Alltagssituationen der Protagonistinnen und Protagonisten. Wahrscheinlich kann sich jeder und jede in den einen oder anderen Handlungsanweisungen wiederfinden. In einer Szene beispielsweise geht es um die Opfer, die jeder bringen kann.
Auch das Thema Verhandeln ist zentral. Warum?
Über das gesamte Stück hinweg findet ein Vorstellungsgespräch statt, in dem all die wichtigen Themen rund um den Klimawandel verhandelt werden. Es gibt da verschiedenste Ansichten, was jeder Einzelne tun kann und wer für die Krise verantwortlich ist, wer zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Klimagerechtigkeit ist ein großes Thema sowie unser ökologischer Fußabdruck, Generationskonflikte und Aktivismus. Insofern wird all das verhandelt, was mit der Rettung der Erde zusammenhängt.
In diesem Zusammenhang werden auch noch Begriffe wie Kapitalismus, Kolonialismus, Privilegien, Patriarchat und Rassismus behandelt. Hängen diese direkt mit dem Klimawandel zusammen?
Im Wort „Hyperobjekt“ sind diese Begriffe genau so vorhanden. Sie stellen weitere „Hyperobjekte“ dar, da sie genauso ungreifbar, aber Teil unseres Systems sind. Timothy Morton prägte diesen Begriff und zeigte auf, dass all diese „Hyperobjekte“ untereinander verknüpft sind. Mit der Thematik Privilegien wird angesprochen, wer für eine Veränderung eine dominante Stellung einnehmen müsste: Politiker, Regierungen, die großen Ölkonzerne und bzw. oder jede*r Einzelne. Alle bedingen sich gegenseitig, prägen unser System und machen die Veränderung dadurch so komplex.
Wie steht es mit dem Begriff der Nachhaltigkeit?
Die Bühnenbildnerin hat sich intensiv mit dem Thema Müll und dessen Umgang in Bozen beschäftigt. Dies kommt im Bühnenbild zum Ausdruck. Nachhaltigkeit wird in den Bildern bearbeitet, beispielsweise im Umgang mit Plastik. In einer Szene wird diese Verschwendung thematisiert. Nachhaltigkeit kann in diesem Zusammenhang eine Brückenfunktion einnehmen und zwar als ein Teil der Bewältigung der Klimakrise. Der Klimawandel-Aktivismus will eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben und die Entscheidungsträger unter Druck setzen. Gleichzeitig werden Vorschläge erarbeitet, die für den Alltag gedacht sind.
Soll das Stück primär auf kultureller Ebene Bewusstsein für den Klimawandel schaffen oder soll es mit dazu beitragen, eine Änderung herbeizuführen?
Eigentlich beides. Theater kann die Zuschauer und Zuschauerinnen auf einer sinnlichen Ebene dazu anregen, über ein Thema nachzudenken. Auf verschiedenen Ebenen der Übersetzung können so Fragestellungen aufgeworfen werden – über Unterhaltung, Überhöhung, Assoziationen, Text, Bilder. Die zentrale Frage lautet: Wie kommen wir aus unserem Individualismus heraus und werden ein globales Kollektiv, das sich der Krise gemeinsam stellt?
Wie schafft das Stück dieses Ziel zu erreichen?
Es ist ein Vorschlag und im besten Fall erkennen sich die Zuschauenden in der einen oder anderen Situation wieder, bekommen eine Idee, welche Handlungsmöglichkeiten realistisch sein könnten. Es ist ein Appell an das Machbare, das durch Bilder und Ideen unterstrichen wird.
Soll der Besucher etwa belehrt werden?
Bloß keine Belehrung, das ist kontraproduktiv. Ich wäre sehr glücklich, wenn der Zuschauer und die Zuschauerin bewegt und berührt wird, um in einem weiteren Schritt darüber nachzudenken und ein Gefühl für die knappe Zeit bekommt. Die Struktur des Stücks ermöglicht es, gewisse Dinge zu reflektieren. Jede*r Einzelne ist verschieden, springt auf die eine Assoziation an und auf die andere nicht, insofern bleiben verschiedene Dinge im Kopf und vielleicht hallen ja einige nach.
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