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Vor rund drei Wochen hat eine Mutter über die Schwierigkeiten des Alltags mit ihrer autistischen Tochter auf BARFUSS berichtet. Ihr Fall ist keine Ausnahme. Die Angebote für Betroffene und Familienangehörige sind oft unübersichtlich oder weisen Lücken auf. Elisabeth Zelger Vallazza, Präsidentin von AUTóS, einem gemeinnützigen Verein zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen, weiß um die Probleme der Eltern und kennt die Gegebenheiten der Versorgung in Südtirol.
Wie sehen Sie die Situation der Versorgung für Autisten in Südtirol?
Elisabeth Zelger Vallazza: Allgemein ist die Situation der Versorgung für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung in Südtirol prekär. Als ehemalige Mitarbeiterin des Sozialdienstes kenne ich die Situation und das Vorhandensein von nicht geeigneten Maßnahmen gut. Ich selbst bin Mutter eines autistischen Sohnes (23). Vor 23 Jahren war Autismus den Kinder- und Basisärzten kaum bekannt und somit eine frühe spezifische Förderung nicht möglich. Heute ist es häufig immer noch so, dass viele Autisten im Kindesalter nach wie vor eher spät erkannt werden.
Welchen Zugang zu Autismus-Spektrum-Störungen hat Ihr Verein?
Mit meinem Mann, der Psychiater ist, habe ich mich bereits 2009 mit den Leitlinien vom Istituto Superiore di Sanità (ISS) auseinandergesetzt, wie eine international anerkannte „Autismus-Behandlung“ ausschauen könnte. Deshalb haben wir 2011 den Verein Autòs gegründet, der diese spezifischen Leitlinien umsetzt. Bis heute werden diese im öffentlichen Dienst (Soziales und Sanität) nicht in allen Bereichen umgesetzt.
Warum?
Bis effektiv was nach der Diagnose angeboten wird, das autismusspezifisch ist, dauert es nach wie vor eher lang. In Bozen und Meran gibt es Angebote, in Brixen und Bruneck beispielsweise gibt es wenig und nichts. Familien und Betroffene können nicht so lange warten, bis sie eine adäquate Behandlung erfahren. Per Dekret der Südtiroler Landesregierung wurden 2015 die nationalen Richtlinien zur Versorgung von autistischen Personen übernommen, doch bis heute hat sich wie erwähnt in Brixen fast nichts getan.
“Seit 2018 gibt es für Südtirol einen autismusspezifischen Plan, der die flächendeckende Versorgung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen beinhaltet, doch die Umsetzung läuft nur langsam voran.”
Schon im Kindesalter ihres Sohnes wurde Elisabeth Zelger Vallazza schnell klar, dass er nicht die richtige Hilfe bekam, vor allem nicht in der Schule. Sie kannte autistisches Verhalten von ihrem Beruf in den Sozialdiensten, und dadurch konnte sie schon früh autistische Verhaltensweisen erkennen. Durch ihren Beruf hatte sie einen Überblick, was der öffentliche Dienst alles für Autisten bereitstellte. Ihr war das zu unspezifisch und sie hat sich spezialisierte Zentren im deutschen und italienischen Raum angeschaut, um Arbeiten nach Leitlinien zu identifizieren.
Vor allem in Pordenone, wo ein „centro d’eccellenza“ vorhanden ist, wurde sie fündig. An diesem Modell orientierte sich dann der neugegründete Verein Autós im Jahr 2011. Autós hat sich anschließend selbst organisiert und bildet Psychologen in verschiedenen spezialisierten Zentren fort, mit welchen sie jetzt zusammenarbeiten. Der Verein begann auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Hauspflegedienst der Caritas für Freizeit- und Wochenendaktivitäten. Diese stellen unabdingbare Modelle dar, um primär Kinder und Jugendliche mit Autismus außerhalb der Familie unterzubringen und die Familien zu entlasten.
Was ist bei der Behandlung von Menschen mit Autismus zentral?
Bei einer Autismus-Spektrum-Störung ist eine frühzeitige und spezifische Behandlung von größter Wichtigkeit, sonst können massive Verhaltensstörungen auftreten. Was die Schule betrifft, so gibt es kaum speziell ausgebildete Lehrkräfte und pädagogisches Personal und somit auch keine Kontinuität an spezifischen Lernmodellen. Erreichen Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ein Alter von 20 Jahren und möchten die Eltern dann, dass sie außerhalb der Familie in Wohn- und Arbeitsprogrammen unterkommen, ist dies ohne spezifisches Training kaum möglich. Eine reine Betreuung kann meist angeboten werden, das ist aber für die Förderung der Autonomie und der selbstständigen Lebensführung nicht hilfreich. Seit 2018 gibt es für Südtirol einen autismusspezifischen Plan, der die flächendeckende Versorgung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen beinhaltet, doch die Umsetzung läuft nur langsam voran.
Eine autismusspezifische Vorbereitung ist unverzichtbar, um selbständiges Wohnen und Arbeiten zu ermöglichen.
Liegt das an den Ressourcen oder an der Komplexität der Lebensrealität Autismus?
Es gibt zwar Ressourcen, die werden aber vom öffentlichen Dienst nicht immer gezielt und bedarfsorientiert eingesetzt. Bei einer Autismus-Spektrum-Störung stehen wir vor einer extremen Herausforderung für Betroffene und Angehörige, aber die verfügbaren technischen Methoden können zu guten Ergebnissen führen. Ich meine damit autismusspezifische Interventionsmaßnahmen. Es geht um Strukturierungstechniken bis hin zu kognitiven verhaltensspezifischen Modellen. Bei Kleinkindern arbeitet man mit anderen Modellen, es gibt spezielle Frühfördermodelle.
Bis dato ist dies in den öffentlichen Diensten schwierig. Sie haben zwar Vorgaben, doch die Umsetzung in den verschieden organisierten Gesundheitsbezirken ist nicht immer einfach.
Was gehört zum Angebot von AUTóS und inwiefern unterscheidet es sich vom öffentlichen Dienst?
In unserem Verein und mit unserem Partnerverein „Il Cerchio“ haben wir uns in eine Richtung bewegt, wo seitens des öffentlichen Diensts damals kein Angebot bestand. Wir arbeiten leitlinienorientiert und mit allen zur Verfügung stehenden autismusspezifischen Interventionsmaßnahmen, welche je nach Funktionsniveau angepasst werden. Die Interventionen sind intensiv und werden von hochspezialisiertem Personal in allen Lebensbereichen der Person mit einer Autismus-Spektrum-Störung angewandt. Alle Entwicklungsbereiche sind von großer Relevanz: Kommunikation, Sprache, Autonomie, soziale Fertigkeiten, Fein- und Grobmotorik, Vorläuferfertigkeiten zur Arbeit etc.
Wie sieht es mit geeigneten Arbeits- und Wohnmodellen für Menschen mit Autismus aus?
Wenn ein junger Mensch mit Autismus keine spezifische und optimale Vorbereitung erfährt, dann ist selbständiges Wohnen und Arbeiten so gut wie ausgeschlossen. Die von uns betreuten Kinder und Jugendliche werden bestmöglich spezifisch vorbereitet. Arbeit und Wohnen sind zwei fundamentale Bereiche des Erwachsenenlebens. Beim selbstständigen Wohnen ist es zentral, überhaupt geeigneten Wohnraum zu finden. Es bringt nichts, autistische Erwachsene in Sozialwohnungen unterzubringen, vor allem aufgrund von Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten. Mit dem Job ist es dasselbe. Aufgrund ihrer Beeinträchtigung können sie nicht jede Arbeit verrichten. Serialarbeiten gefallen ihnen in der Regel sehr gut, wegen des geregelten Ablaufs. Sie sind schnell darin, dennoch braucht es einen autismusspezifischen Rahmen. Sie benötigen zudem langfristige und spezifische Begleitung.
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