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Warum gibt es so viel Gewalt an Frauen?
Die Ursache der Gewalt an Frauen liegt im Patriarchat. Es ist ein Faktum, dass die Gesellschaft männlich dominiert ist und Männer stärker wahrgenommen werden. Das verbindet sich mit Allmachtansprüchen, die gegenüber Schwächeren – in diesem Fall gegenüber Frauen – ausgelebt werden. Das Wirtschaftsleben, die Politik: Überall wo wir hinsehen, sehen wir Männer. Dadurch wird das Bild in unseren Köpfen erzeugt, dass es ein herrschendes und ein schwaches Geschlecht gibt.
Was sind die Hochrisikofaktoren für die einzelne Frau?
In meiner Untersuchung zu Partnermorden und Mordversuchen in Österreich hat sich gezeigt, dass manche Umstände ein hohes Risiko für die Frau darstellen. Dazu gehören zum Beispiel Partnerschaften, in denen der Mann arbeitslos oder in Pension und die Frau berufstätig und erfolgreich ist. Männer fühlen sich durch eine finanzielle Überlegenheit der Frau gedemütigt. Ein zusätzlicher Risikofaktor ist die Eifersucht. Besonders Trennungssituationen bilden aufgrund eines besitzergreifenden Denkens des Mannes ein Hochrisikopotenzial für Gewalt gegenüber Frauen. Viele Männer, die mit Eifersucht zu kämpfen haben, denken, dass die Frau ihr Eigentum sei, im Sinne von: „Du gehörst mir und wenn du mir nicht gehörst, dann gehörst du auch keinem anderen.“
Was hat uns die Corona Krise über Gewalt an Frauen gezeigt?
In einer repräsentativen Erhebung aus Deutschland wurde festgestellt, dass die Gewalt innerhalb der Familie – vor allem die Männergewalt gegenüber Frauen und Kindern – im ersten Lockdown stark zugenommen hat. Zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft der Männer kam es speziell dann, wenn zusätzliche Faktoren wie Arbeitsverlust, Kurzarbeit, Home-Schooling, finanzielle Schwierigkeiten usw. eine Rolle spielten. Diese Faktoren haben besondere Auswirkungen auf das Aggressionsverhalten von Männern.
Das Wichtigste ist, auf politischer Seite das klare Signal zu setzen: Wir lassen das nicht zu!
Wie kann eine Erziehung ausschauen, die dem Phänomen „Gewalt an Frauen“ aktiv entgegenwirkt?
Zunächst sollten Mädchen im jungen Kindesalter gestärkt werden, damit sie die gesellschaftlich zugeschriebene Schwächeposition nicht übernehmen. Auf der anderen Seite sollten männliche Kinder ermutigt werden, ihre „weiche“ gefühlvolle oder empathische Seite auszuleben und wahrzunehmen. In meiner Kindheit war klar: Buben dürfen nicht weinen. Bei solchen genderspezifischen Stereotypen hat die Gesellschaft schon einige Fortschritte erzielt. Dennoch werden dem weiblichen Geschlecht heute immer noch Attribute wie Weichheit, Verletzlichkeit, Schwäche etc. zugeschrieben, während sich Männer in ihrer Härte beweisen müssen. Solche Zuschreibungen beeinflussen das Denkmuster und Verhalten von Menschen, woraus dann wiederum eine erhöhte Gewaltbereitschaft resultiert.
Wie muss eine Gesellschaft aussehen, um der Gewalt an Frauen entgegenzuwirken?
Das Wichtigste ist, auf politischer Seite das klare Signal zu setzen: Wir lassen das nicht zu! Erste wichtige Schritte dafür waren in den 1990er und 2000er Jahren das Verabschieden von Gewaltschutzgesetzen, in welchen sich der Staat klar gegen Gewalt an Frauen positioniert. Darin kommt es zu Verboten von Gewalt im Privaten, sprich in der Familie. Es ist wichtig, dass der Staat nicht wegschaut, sich dafür interessiert, was hinter der Wohnungstüre passiert und dies dementsprechend sanktioniert. Solche klaren Botschaften im Politischen schaffen Bewusstsein und eine Sensibilisierung zum Thema Gewalt an Frauen.
Trotz dieser Gesetze zum Schutz der Frau und entsprechender Kampagnen steigt die Zahl der von Gewalt an Frauen Betroffenen. Wie ist das Ihrer Meinung nach zu erklären?
Wir können leider nicht genau sagen, ob die Gewalt an Frauen oder die Anzeigenbereitschaft zugenommen hat. Es hat auf alle Fälle in den letzten Jahren eine Sensibilisierung in der Gesellschaft zum Thema stattgefunden, wodurch gewaltbetroffene Frauen möglicherweise bei der Suche nach Hilfe mutiger geworden sind.
Männer töten viel häufiger bewusst und ziehen den Tötungsakt konsequent durch.
Worin unterscheiden sich in Ihren Augen männliche Täter von der weit kleineren Zahl an Täterinnen?
Allgemein gesprochen ist es so, dass Männer im Gegensatz zu Frauen bewusst und absichtlich töten, also morden. Bei meiner Studie zur Partnergewalt habe ich auch über Morde und Mordversuche von Frauen recherchiert. Es gibt Unterschiede im Vergleich zu den Männern. Während Männer Morde begingen, wurden die Frauen nicht wegen Mordes verurteilt. Viel häufiger lautete das Urteil: Tötung im Affekt, also nicht geplant bzw. nicht mit Vorsatz. Dazu kommt, dass Männer wesentlich schwerere Verletzungen zufügten und das Opfer häufiger starb.
Wie lässt sich das erklären?
Das Setting bei Morden unterscheidet sich. Männer töten viel häufiger bewusst und ziehen den Tötungsakt konsequent durch. Frauen hingegen sind im Töten weniger „erfolgreich“, weshalb es auf weiblicher Seite oft beim Versuch bleibt. In meiner Studie gab es acht Fälle mit fast identischem Szenario, bei welchem die Frau mit ihrem Mann in der Küche Alkohol trank und ein Streit eskalierte: Der Mann wollte das Gespräch abbrechen und die Wohnung verlassen. In dem Moment haben die Frauen ein Küchenmesser zur Hand genommen und damit den Mann verletzt. Völlig außer sich haben sie dann sofort die Polizei, Rettung und Freunde um Hilfe angerufen. Auch daran erkennt man, es handelt es sich in solchen Fällen nicht um einen lange geplanten Mord.
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