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Am 16. Mai 2022, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, wurde in der Diözese Bozen-Brixen die Arbeitsgruppe „Glaube und Homosexualität“ vorgestellt. Die Gruppe besteht aus acht festen Mitgliedern und trifft sich einmal monatlich. Zu ihren Projekten gehört Sensibilisierungsarbeit, zum Beispiel die Wanderausstellung „Unsichtbar sichtbar – Gleichgeschlechtlich Liebende in der Kirche.“ Wer mitmachen möchte, kann sich beim Amt für Ehe und Familie, wo die Arbeitsgruppe angesiedelt ist, melden. Wir haben mit der Amtsleiterin Johanna Brunner, selbst Sozialarbeiterin und Theologin, über Ziele und Grenzen des Projekts gesprochen.
„Glaube und Homosexualität“ – das klingt erstmal wie ein Gegensatz. Was steckt hinter der neuen Arbeitsgruppe?
Die Arbeitsgruppe soll dazu beitragen, dass sich unsere Gesellschaft – auch in der Kirche – stärker mit Homosexualität auseinandersetzt. Und zwar nicht auf einer theoretischen Ebene, sondern wir möchten bei den Geschichten und der Lebensrealität der Menschen in Südtirol starten. Das Thema Homosexualität ist zwar angekommen, aber bis offen darüber im Alltag gesprochen werden kann, scheint es mir noch ein langer Weg.
Das heißt, Menschen, die Teil der Kirchengemeinde sind oder für die Diözese arbeiten, können sich nicht offen als schwul oder lesbisch outen?
Ich kenne Menschen, die im kirchlichen Kontext arbeiten und geoutet sind. Bei uns war das als Thema nicht so stark wahrnehmbar, wie etwa in Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil wir weniger kirchliche Angestellte haben und insgesamt auch das Thema etwas zeitversetzt wahrgenommen wird. Mir ist zumindest kein Fall bekannt, in dem es dienstliche Konsequenzen gab. In Deutschland sieht das Dienstrecht für kirchliche Mitarbeitende vor, dass gekündigt werden kann, wer die Grundsätze des katholischen Glaubens- und Sittenlehre nicht beachtet. Deshalb gab es Anfang dieses Jahres die große Outingwelle #OutInChurch in der katholischen Kirche in Deutschland. Bei uns in Südtirol scheint es eher ein soziales Tabu zu sein.
Sind Mitgliedern der LGBT*-community im Arbeitskreis vertreten?
Ja natürlich. Aber nicht nur. Wir wollten keine ‘Sondergruppe’ schaffen, sondern einen Kreis, der ein Stück weit Normalität in das Thema bringt.
Was meinen Sie mit „Normalität“?
Normalität ist ein Wort, das ganz oft gefallen ist, als wir uns überlegt haben, in welche Richtung wir gehen wollen. Denn: Wie schön wäre es, wenn es ‘normal’ wäre, dass eine Pfarrei auf Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen zugehen würde. Wie schön wäre es, wenn man ‘normal’ über Homosexalität sprechen könnte. Wir müssen dafür sorgen, dass homosexuelle Menschen nicht mehr als ‘Exotentum’ gesehen werden.
Man wolle zwar nicht diskriminieren, aber die Partnerschaft zwischen zwei Männern oder zwei Frauen sei im Schöpfungsplan nicht vorgesehen.
Das klingt alles fantastisch. Nur ist die offizielle Kirche noch nicht zu dieser Erkenntnis gekommen.
Ja, wir haben immer noch einen Gap zwischen der Lehre der katholischen Kirche und der Lebensrealität vieler Menschen. Letztes Jahr wandte sich eine Gruppe von Menschen offiziell an den Vatikan und fragte, ob die Kirche die Vollmacht besitze, gleichgeschlechtliche Verbindungen zu segnen. Die Kirche hat mit ‚Nein‘ geantwortet und eine lange Erklärung dazu geliefert. Darin heißt es, man wolle zwar nicht diskriminieren, aber die Partnerschaft zwischen zwei Männern oder zwei Frauen sei im Schöpfungsplan nicht vorgesehen. Das ist der Punkt, an dem die Kirche mit ihrer Lehre steht. Die Theologie ist hingegen schon etwas weiter.
Was ist der Unterschied zwischen Theologie und Lehre der Kirche?
Die Theologie als wissenschaftliche Disziplin hat die Aufgabe, das Wissen weiterzuentwickeln, auf dem die Lehren der Kirche beruhen. Bischöfe nehmen bei ihren Entscheidungen mehr oder weniger Bezug auf die theologischen Grundlagen – und auch die humanwissenschafltichen Erkenntnisse sollten in Glaubensentscheidungen nicht außer Acht gelassen werden. Einige theologische Ansätze beginnen daher zu zweifeln, ob eine Partnerschaft laut biblischem Verständnis wirklich nur zwischen Mann und Frau bestehen sollte. Denn man könnte das Männliche und Weibliche auch als abstraktere Pole interpretieren, die in jedem Menschen – Mann wie Frau – stecken.
Das heißt, die Lehren der Kirche können sich auch weiterentwickeln.
Es hat immer wieder kirchliche Entscheidungen gegeben, die nachher mehr oder weniger deutlich als Irrtum benannt wurden. Berühmtestes Beispiel ist wohl Galileo Galilei [der Astronom brachte 1633 mit seiner wissenschaftlichen Theorie, dass die Erde um die Sonne kreise, und nicht umgekehrt, das geozentrische Bild der Kirche ins Wanken. Er wurde deshalb zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Ende des 18. Jh. erkannte die Kirche das heliozentrische Weltbild, dass also die Sonne im Mittelpunkt steht, an; Galilei wurde 1992 vom Vatikan rehabilitiert – Anm.d.Red]. Das zeigt: Immer wieder ist die Kirche nachgezogen. Was sich zu dem Thema der Geschlechter und sexuellen Orientierung tut, muss man schauen.
Vor einigen Jahrzehnten kamen vielerorts Pfarrer noch auf die Bauernhöfe, wenn ein Jahr lang kein Kind geboren wurde, um nachzufragen, ob nicht etwa ‘gesündigt’ würde.
Haben Sie Hoffnung, dass die Kirche ihre Ansichten der Sexualität der modernen Zeit anpassen wird?
Es hat immer wieder Zeiten in der Kirchengeschichte gegeben, wo mehr weitergeht, und dann wieder Zeiten, wo die Kirche sich verschließt. Ich denke da an die 1960er Jahre. Auf der einen Seite fand Anfang der 60er Jahre das zweite vatikanische Konzil statt, in dem sich die Kirche sehr geöffnet hat. Dann kamen die 68-Bewegungen, wo sich gesellschaftlich viel getan hat. Darauf hat die Kirche in meinen Augen sehr ängstlich reagiert und z. B. Regeln der Sexualmoral aufgestellt, die von der Angst geprägt sind, dass alles ausarten würde.
Welche Regeln hat die Kirche aufgestellt?
Zum Beispiel das kategorische Verbot der künstlichen Empfängnisregelung. Weil der Geschlechtsverkehr ‚im Plane Gottes‘ darauf ausgerichtet sei, Nachfahren zu zeugen. Und wenn der Mensch beim Sex verhütet, so ist das in den Augen der Kirche ein unrechtmäßiger Eingriff. Lustigerweise wurde die natürliche Empfängnisverhütung jedoch erlaubt [Bei der natürlichen Empfängnisverhütung misst die Frau täglich ihre Körpertemperatur am Morgen; ein Temperaturanstieg deutet auf die fruchtbaren Tage hin, in denen also kein Sex stattfinden sollte, wenn man eine Schwangerschaft vermeiden möchte – Anm.d.Red.]. Kürzlich meinte jemand zu mir scherzhaft: Da hätte man auch fragen müssen, auf welchem Baum jetzt die Quecksilberthermometer wachsen.
Weil das Thermometer, das für die natürliche Verhütung gebraucht wird, nicht ‚natürlich‘ ist und damit ebenfalls einen Eingriff des Menschen darstellt.
Genau. Dieses Verbot des Eingreifens hat teilweise absurde Auswüchse angenommen. Vor einigen Jahrzehnten kamen vielerorts Pfarrer noch regelmäßig auf die Bauernhöfe, wenn einmal ein Jahr lang kein Kind geboren wurde, um nachzufragen, ob nicht etwa ‘gesündigt’ würde. Das muss man sich mal vorstellen, was das auch für ein Druck für die Frauen war und für die Familien.
Warum ist Ihnen das Thema Geschlechter und Sexualität in der Kirche wichtig?
Es ist mir wichtig, weil es meines Erachtens viel zu klären gibt. Wenn wir uns die Situation anschauen, gibt es mehrere Gruppen von Menschen, die in der Kirche dafür kämpfen, voll dazuzugehören: nicht nur Homosexuelle, sondern auch Frauen. Oder geschiedene wiederverheiratete Menschen. Ich frage mich manchmal: Wie kann es sein, dass in unserer Kirche so viele Menschen das Gefühl haben, nicht vollwertig dazu gehören zu dürfen? Da läuft doch was falsch.
Ich frage mich manchmal: Wie kann es sein, dass in unserer Kirche so viele Menschen das Gefühl haben, nicht vollwertig dazu gehören zu dürfen? Da läuft doch was falsch.
Wie wurde die neue Arbeitsgruppe zum Thema Homosexualität von der Kirchengemeinde und anderen kirchlichen Institutionen aufgenommen?
Die Arbeitsgruppe war von der Diözesansynode [Eine Versammlung von Gläubigen, die über Fragen des kirchlichen Lebens berät, Anm.d.Red] explizit gewollt. Das war ein sehr klares Mandat. Darüber hinaus hat es fast ausschließlich positive Rückmeldungen gegeben. Es war für uns überraschend, wie groß die Anzahl an Reaktion und das Medienecho war. Wir haben auch viele Emails bekommen, zum Beispiel von einer Mutter, die erzählt hat, ihr Kind habe sich vor 20 Jahren geoutet. Wenn es damals schon so eine Arbeitsgruppe gegeben hätte, wäre es eine Erleichterung gewesen zu wissen, dass das nicht die „ultimative Katastrophe“ ist. Genau dieses Signal zu geben, ist uns wichtig. Wir müssen jetzt aber schauen, wie sehr das Thema in den Pfarreien aufgenommen wird, sobald es konkret wird.
Was kommt da auf euch zu?
Ich kenne Pfarreien, wo homosexuelle Menschen im Pfarrgemeinderat vertreten sind. Es gibt aber auch Gemeinden, in denen das Thema weniger offen aufgenommen wird, und dort wird unsere Arbeit sicher viel schwieriger. Ich glaube, da muss man auch Geduld haben, weil gesellschaftliche Prozesse immer Zeit brauchen. Wenn man Menschen damit überfordert, wachsen die Widerstände. Und diese Widerstände wieder abzubauen, ist erneut harte Arbeit. Also müssen wir mit einer Geschwindkeit gehen, wo Menschen auch mitgehen können.
Euer erstes Projekt war eine Wanderausstellung, in der homosexuelle Kirchenmitglieder von ihren Erfahrungen erzählen. Was hat Sie daran am meisten berührt oder überrascht?
Es gab Leute, für die die Religion schon 50 oder 60 Jahre lang eine wichtige Rolle spielt und die erzählt haben: Ich lebe seit 30 Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und bin trotzdem immer noch in der Kirche. Auch wenn manchmal so wenig weitergeht. Ich kann mir vorstellen, wie frustrierend das sein kann. Und es hat mich deshalb sehr beeindruckt zu sehen, dass diese Menschen unermüdlich daran glauben, dass es Veränderung geben kann.
Apropos Veränderung: Welche Kirche wünschen Sie sich?
Bei einer Veranstaltung in Brixen letzes Jahr hat eine Frau gesagt: ‘Io vorrei una chiesa, che abbracciasse di più.’ Dieser Satz ist bei mir hängengeblieben, weil er es so schön auf den Punkt bringt. Ich wünsche mir deshalb eine Kirche, die mehr umarmt; die Platz hat für alle Menschen, egal aus welchem Kontext sie kommen.
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