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Mitte April erhält SVP-Parteiobmann Philipp Achammer einen Brief, der zeitgleich über die Medien verbreitet wird. Er stammt von 14 Lehrpersonen, denen es – wie vielen anderen auch – reicht. Während die reale Kaufkraft in den letzten zehn Jahren um zehn Prozent gesunken ist, wurden die Gehälter der Lehrpersonen seit Jahren nicht mehr angepasst. Südtirols Lehrpersonen erhalten somit heute ein Zehntel weniger Gehalt als noch vor wenigen Jahren. Doch nicht nur daran stören sich viele: Viele Stellen werden von Personen ohne Berufsausbildung besetzt, weil es zu wenig ausgebildete Lehrpersonen gibt, und es gibt eine Ungleichbehandlung zwischen Lehrpersonen, die von Staat und vom Land angestellt sind. Der Oberschullehrer Zeno Christanell ist selbst SVP-Mitglied und einer der Initiatoren des offenen Briefs.
Euer offener Brief richtet sich an den SVP-Obmann, die SVP-Arbeitnehmer und die Südtiroler Schulgewerkschaften SSG und SGBCisl. Wie kommt es, dass dieses Thema nun medial besprochen wird?
Wir wollen Position beziehen. Die Südtiroler gehen meist nicht schnell auf die Straße. Deshalb wollen wir die Demonstrationen der Landesbediensteten, zu denen wir ja auch gehören, ganz konkret unterstützen. Bisher waren wir der Meinung, dass wir dieses Thema parteiintern lösen können. Jetzt wollen wir aber unterstreichen, dass diese Forderungen mehr als legitim sind und wir dahinterstehen. Es geht ja speziell um die Erneuerung verschiedener Verträge, nicht nur die der Lehrpersonen, die seit Jahren verfallen sind.
Wie wurde bisher mit dem Thema umgegangen?
Eine konkrete Maßnahme war, dass der Lehrberuf liberalisiert wurde. Lehrpersonen dürfen nun mehr Stunden außerhalb des Unterrichts arbeiten, um sich etwas dazuzuverdienen. Aber es kann ja keine Lösung sein, dass wir Akademiker mit einem hochkomplexen Beruf haben, für den sie mehrere Jahre studieren mussten, und man dann sagt, wenn die Lehrer mit ihrer Vollzeitstelle nicht über die Runden kommen, sollen sie in der Freizeit halt noch ein bisschen kellnern. Das kann man sich bei anderen hochspezialisierten Berufen gar nicht vorstellen! Wenn Ärzte zu wenig verdienen, sagt auch niemand, sie sollen am Wochenende als Skilehrer arbeiten.
Eine eurer ersten Forderungen lautet also, dass die Gehälter angepasst werden sollen. Was steckt da dahinter?
Die Kollektivverträge sind seit mehr oder weniger zehn Jahren verfallen. Seitdem hat es keine Anpassung mehr an die Inflation oder die Lebenshaltungskosten gegeben. In den letzten Jahren wurde diesbezüglich nichts unternommen, da während der Wirtschaftskrise das Land das Geld dringend gebraucht hat. Mittlerweile ist die Wirtschaftskrise überstanden, und deshalb muss jetzt wieder über dieses Thema gesprochen werden. Wir wollen, dass aus huldvollen Worten Taten werden.
Im offenen Brief sprecht ihr auch von einer Ungleichbehandlung der Lehrpersonen, die einen Staatsvertrag und einen Landesvertrag haben …
Lehrpersonen, die beim Land oder beim Staat angestellt sind, werden unterschiedlich behandelt. Beispielsweise verdienen Lehrpersonen im Staatsdienst weniger, was durch eine Landeszulage ausgeglichen wird. Diese Landeszulage wird aber nicht in den Sommermonaten ausbezahlt und zählt auch nicht bei den Pensionszahlungen. Das heißt, wenn man die Gehälter auf das Jahr und auf die 42 Dienstjahre hochrechnet, dann erhalten die Lehrer in den staatlichen Schulen, das heißt in den Mittel- und Oberschulen, deutlich weniger als die Kindergärtner und Grundschullehrpersonen.
Ein großer Teil der Supplenzstellen wird also von Mitarbeitern besetzt, die zumindest auf dem Papier keine Ausbildung dafür haben.
Warum gibt es überhaupt eine unterschiedliche Behandlung?
Laut Autonomiestatut hat Südtirol die primäre Kompetenz im Primärschulbereich, und dementsprechend sind diese Lehrer im Zuge der Paketumsetzung als Landesmitarbeiter angestellt geworden. Im Sekundärschulbereich hingegen hat Südtirol keine primäre Kompetenz, deshalb sind Oberschullehrer weiterhin Staatsangestellte, bekommen aber eine Zulage vom Land. Auch bei den Zulagen für Unterrichtsmaterialien gibt es Unterschiede.
Würde Lehrpersonen also Geld für Unterrichtsmaterialien zustehen?
Seit fünf Jahren gibt es einen staatlichen Beitrag von 500 Euro für Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien. Dieser Beitrag wird in Südtirol aber nicht ausgezahlt, da die Fortbildungen bei uns gratis sind. Man muss aber bedenken, dass Lehrpersonen zwar Angestellte sind, aber oft wie Freiberufler arbeiten: Sie müssen ihren eigenen Arbeitsplatz zu Hause schaffen, denn der Arbeitgeber stellt keinen. Im Lehrerzimmer gibt es beispielsweise fünf Computer für hundert Lehrpersonen. Im Unterschied zu Freiberuflern oder Angestellten bekommt man diesen Arbeitsplatz, den man sich selbst organisieren muss, nicht bezahlt und kann ihn auch nicht von der Steuer absetzen. Diese 500 Euro, die man dafür und für die Anschaffung von didaktischen Mitteln einsetzen könnte, möchten wir auch bekommen.
Im Bildungsbereich herrscht zudem ein massiver Fachkräftemangel, betont ihr im offenen Brief …
Bei den Supplenzstellen sind dieses Schuljahr 48 Prozent von Personen besetzt worden, die eigentlich nicht die Voraussetzungen dafür haben. Ein großer Teil der Supplenzstellen wird also von Mitarbeitern besetzt, die zumindest auf dem Papier keine Ausbildung dafür haben. Wenn man sich auf der anderen Seite anschaut, was man für eine Ausbildung haben muss, damit man Lehrer werden kann und auf der anderen Seite sieht, dass Personen ohne Ausbildung unterrichten dürfen, weil man zu wenig Lehrer hat, ist das paradox. Wir haben hier hochqualifizierte Arbeitsstellen, und die können nicht durch irgendjemanden ersetzt werden. Das ist in anderen Berufen nicht vorstellbar – stell dir vor, wir haben zu wenig Ärzte und sagen, dann operiert halt der, der gerade Zeit hat.
Bei den Integrationslehrpersonen an den Oberschulen sind nur zehn Prozent der Stellen mit ausgebildeten Integrationslehrern besetzt.
Hat man nicht versucht, dieses Problem zu lösen, indem nur kurze Zeit ohne Ausbildung unterrichtet werden darf?
Das wurde versucht, aber im Endeffekt entscheiden bei Supplenzstellen die Direktoren, wer nach einem Vorstellungsgespräch eingestellt wird. So als ob man sagen könnte – der hat zwar keinen Führerschein, aber er sieht einigermaßen seriös aus, er soll Busfahrer werden. Das ist jetzt überspitzt, aber im Kern spiegelt das die Situation wider. Und während bei anderen Branchen die Landesregierung das Geld aufstockt, um mehr junge, ambitionierte Südtiroler zurückzuholen und dazu zu animieren, diese Berufe zu ergreifen, wurde bei den Lehrpersonen nie darüber gesprochen. Aber wir haben diesen Fachkräftemangel überall: Bei den Integrationslehrpersonen an den Oberschulen sind nur zehn Prozent der Stellen mit ausgebildeten Integrationslehrern besetzt.
Liegt das unter anderem daran, dass man Grundschullehramt nur in Südtirol studieren kann? Immerhin müssen alle, die Mittel- oder Oberschullehrer werden wollen, in Österreich studieren. Lehramtsabschlüsse aus Deutschland werden sehr selten anerkannt.
Auf jeden Fall liegt hier ein großes Problem. Und das, obwohl man Lehrstellen eigentlich gut planen kann und rechtzeitig darauf reagieren könnte, dass wir einen Lehrermangel haben. Und klar, grundsätzlich verdienen Lehrer im deutschsprachigen Ausland zudem deutlich mehr als in Südtirol. Nur wegen des Gehalts kommt niemand mehr von Österreich, Deutschland oder der Schweiz nach Südtirol zurück.
Also kommen nur diejenigen zurück, die sehr überzeugt von Südtirol sind. Hat Südtirol weniger attraktive Stellen für Lehrpersonen zu bieten?
Ganz so ist es nicht. Wir haben gut ausgerüstete Schulen, relativ viele Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist ja nicht nur das Gehalt ausschlaggebend. Aber man muss schon entweder Idealist oder an der sozialen Absicherung, die eine Landesstelle bietet, interessiert sein. Die öffentliche Verwaltung ist bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf moderner und sozialer als die Privatwirtschaft.
Was soll nun in den nächsten Wochen passieren?
Wir wollen uns so schnell wie möglich mit den Verantwortlichen und in erster Linie mit Arno Kompatscher zusammensetzen und in unserem Anliegen ernst genommen werden. Dabei soll nicht nur geredet werden, sondern es müssen auch Taten folgen – und zwar die Löhne an die Lebenshaltungskosten angepasst werden. Und nicht zuletzt wünschen wir uns, dass gesehen wird, was Schule heute leistet und dass dieser Beruf mehr wertgeschätzt und anerkennt wird, damit auch junge, ambitionierte Leute den Beruf wählen.
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