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Die Schlagwörter sind überall: Corona, Masken, Impfung, Infektionszahlen, R-Wert. Die Medien jeglicher Couleur, und wohl auch jede/r Einzelne von uns, kennen derzeit kaum ein anderes Thema. Auch wir, eine Gruppe von Fachfrauen mit unterschiedlicher Ausbildung und Ausrichtung, sind im Privatleben, aber besonders bei unserer Arbeit täglich mit dem Thema konfrontiert.
Dabei fällt uns zunehmend auf, dass leider recht viele Informationen sehr pauschal vermittelt werden. Mag man diesen verkürzten Informationen Glauben schenken, so ginge das Tragen einer Maske grundsätzlich mit einer Traumatisierung der Beteiligten einher. Säuglinge würden fast schon seelisch verkümmern, weil sie ständig Maskenträger*innen ausgesetzt seien und auch die häusliche Gewalt wird oft – salopp ausgedrückt – dem Virus in die Schuhe geschoben. Manche treiben es mit der Vereinfachung und Verzerrung der Fakten noch weiter: Wer sich impfen möchte, riskiert den sicheren Tod und unsere Regierung besteht nur noch aus Tyrannen.
Aber ist es wirklich so einfach? Und hat es mit der mitschwingenden Annahme etwas auf sich, dass wir dem Geschehen, unabhängig davon, ob wir nun eher zu den Coronagläubigen, den Coronaleugner*innen oder den Coronakritischen gehören, hilflos ausgeliefert sind? Nein, das stimmt so nicht.
Als Fachfrauen auf dem Gebiet Psychologie/Psychotherapie und Pädagogik wissen wir, dass es eines auf dieser Welt nicht gibt: eine einfache Antwort auf komplexe Fragen.
Deshalb wollen wir einige unserer Fachthemen differenzierter beleuchten und wir möchten vor allem darauf aufmerksam machen, dass eines nicht stimmt: Wir sind nicht ausgeliefert, jeder und jede von uns hat Handlungsmöglichkeiten und kann dazu beitragen, dass wir alle – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Eltern und natürlich auch Senior*innen – gut durch die Krise kommen.
In unserer Arbeit spielt Beziehung eine tragende Rolle und wir erleben alle täglich, dass die Maske diese nicht beeinflusst. Vielmehr machen wir die Erfahrung, dass es genau die Beziehung ist, die die Maske zum marginalen Faktor werden lässt; Es geht darum, sich nicht von solchen „Oberflächlichkeiten“ von der Beziehung zueinander ablenken zu lassen. Die Kunst, sich auf andere einzulassen, ist nicht davon abhängig, ob wir das gesamte Gesicht sehen. Ein Lächeln spiegelt sich auch in unseren Augen, diese Erfahrung hat sicher jede und jeder von uns schon gemacht. Ob wir Masken als ein Signal für Gefahr oder ein Signal für gegenseitige Rücksichtnahme erleben, können wir für uns selbst entscheiden..
Wenn sich nun jemand fragt „Gilt das auch für Säuglinge und Kleinkinder? Sind nicht gerade sie ganz besonders auf Mimik angewiesen?“, dann ist dies natürlich ein berechtigter Einwand.
Die Kleinkindforschung bestätigt, dass die Mimik und somit Spiegelung für ein neugeborenes Kind von zentraler Bedeutung ist. Wir sind aber auch sicher, dass Eltern mit Säuglingen nicht den ganzen Tag ihre Masken tragen. In den ersten Monaten verbringt man viel Zeit zu Hause und dabei wird es kaum Eltern geben, die ihrem Kind mit Maske begegnen. Hier sollte es also keinen Grund zur Sorge geben, unser Handlungsspielraum liegt klar auf der Hand.
Die Masken wird dann zum Thema, wenn Kinder in Kita und Kindergarten bzw. in die Schule kommen, wobei auch hier gilt: Eltern werden zu Hause nicht die Maske tragen. Sehr wichtig wird ab diesem Zeitpunkt die Haltung, die die Eltern selbst zu diesem Thema gefunden haben. Und ja, wer hier als Eltern in Sorge ist, dass eine Maske eine Traumatisierung darstellt, wird selbstverständlich in Sorge um sein Kind sein und dies ungewollt auch vermitteln. Aber ist diese Sorge berechtigt? Sicher nicht pauschal. Es gibt eine Reihe von potentiell traumatisierenden Erlebnissen, die Kinder und Jugendliche betreffen können, wie etwa: Suizid eines Elternteils, emotionaler und/oder psychischer Missbrauch, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, Kriegserlebnisse, Drogensucht der Eltern, dramatische Arten von Scheidungen etc. Solche einschneidenden Lebensereignisse können bewirken, dass ein Mensch tiefe seelische Verwundungen erfährt, die sein gesamtes Leben negativ beeinflussen. Das Tragen einer Maske pauschal in diese Reihe miteinzuordnen ist jedoch unangebracht.
Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, eigene Unsicherheiten und Ängste auf Kinder und Jugendliche zu projizieren.
Ganz ausgeschlossen können Traumata aber nie werden. Schon allein aus dem Grund, dass ein Trauma etwas sehr Individuelles ist. Das heißt, ein Erlebnis, das sich auf die eine Person traumatisierend auswirkt, wird von einer anderen Person locker weggesteckt. Hier spielen viele individuelle und umweltbedingte Faktoren eine maßgebliche Rolle, eine allgemeingültige und pauschale Diagnose ist fachlich nicht möglich.
Da wir als Eltern ein sehr wichtiger Teil der Umwelt unserer Kinder und Jugendlichen sind, haben wir aber Handlungsspielräume. Wir können einfühlsam versuchen zu verstehen, was es für unsere Kinder bedeutet, sich mit Maske zu begegnen und zu bewegen. Dabei dürfen wir aber auf keinen Fall der Versuchung erliegen, die eigenen Unsicherheiten und Ängste auf Kinder und Jugendliche zu projizieren. Dazu wurde erst vor kurzem von der Südtiroler Hochschülerschaft ein Artikel publiziert (zu lesen bei Barfuss.it). Stattdessen sollten wir handlungsfähig und lösungsorientiert bleiben, das heißt, wir suchen für uns und für unsere Lieben Möglichkeiten, etwas zugegebenermaßen nicht besonders Angenehmes als das zu sehen, was es ist: ein Stück Stoff, das wir, uns und den Anderen zuliebe, in manchen Situationen tragen.
Natürlich gibt es Ausnahmen. So ist eine Maske für Hörgeschädigte ein wirkliches Hindernis, da man das Mundbild nicht sieht. Das Lippenlesen ist für die soziale Interaktion und den schulischen Alltag absolut notwendig, es ist eine zusätzliche Informationsquelle. Hier ist sicherlich dringender Handlungsbedarf, hier müssen schnellstmöglich individuelle Lösungen gefunden werden.
In unserer Arbeit haben wir auch erlebt, dass diese besondere Zeit des „erzwungenen Rückzugs” so manchen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gut getan hat bzw. gut tut. Dies gilt nicht für alle, für viele ist die derzeitige Situation nicht einfach. Das betrifft vor allem jene Jugendlichen, die durch belastende familiäre Situationen ohnehin schon Schwierigkeiten in ihrer Entwicklung oder an den Nahtstellen (Übergängen von Lebensphasen) haben. Und ja, es trifft vor allem auch Familien, in denen häusliche Gewalt ein Problem ist. Allerdings wirkt hier Corona – auch wenn das zynisch klingen mag – als Vergrößerungsglas und Brandbeschleuniger, nicht als Auslöser. Wollen wir an diesen Brandherden etwas ändern, sind wir als Gesamtgesellschaft aufgefordert, näher hinzuschauen und die Themen anzugehen, die wirklich dahinter stecken. Auch hier haben wir individuellen Handlungsspielraum. Ein freundliches Wort für den Nachbarn, ein wirklich offenes Ohr für andere sind wichtig. Hinschauen und ansprechen, wo Gewalt mehr oder weniger offensichtlich ist, kann jede und jeder von uns.
Es ist uns klar, dass Eltern besorgt sind, vielleicht auch finanzielle Sorgen haben, und auch wir finden die Umstände momentan alles andere als ideal; nein, ideal sind sie wirklich nicht! Trotzdem oder gerade deswegen geht es uns darum, aufzuzeigen, wie wichtig die Haltung von uns Erwachsenen ist. Wir erleben, dass Kinder zurzeit eine große Anpassungsstärke und kreative Bewältigungsstrategien zeigen. Unterstützen wir sie darin! Laden wir ihnen nicht noch die Unsicherheiten und Ängste von uns Erwachsenen auf! Bleiben wir als Eltern in unserer Verantwortung, übernehmen wir es, Entscheidungen zu treffen!
So wie es unsere Aufgabe ist zu entscheiden, ob und welches TV-Programm unsere Kinder sehen sollten, so ist es unsere Verantwortung zu entscheiden, dass Kinder zur Schule gehen sollen. Wir erleben mittlerweile, dass einige Eltern ihre Kinder fragen, ob sie in die Schule gehen möchten oder nicht. Selbst keine Haltung zu finden und diese Entscheidung dem Kind zu übertragen, ist keine Entlastung fürs Kind. Kinder können so in ihrer Haltung zu Schule und Gemeinschaft stark verunsichert werden und darunter auch sehr leiden. Sie erspüren unwillkürlich, welche Wirkung ihre „Entscheidung“ auf Vater oder Mutter hat und passen sich ihren wichtigsten Bezugspersonen entsprechend an.
Kinder zeigen zurzeit eine große Anpassungsstärke und kreative Bewältigungsstrategien. Unterstützen wir sie darin!
Es gibt in dieser schwierigen Zeit auch bei Erwachsenen viele Unsicherheiten und Ambivalenzen, aber es bleibt doch Aufgabe der Eltern, diese innerlich zu regulieren und dann mit einer nach außen sicheren Haltung dem Kind zu begegnen. So können wir Eltern einen Beitrag für unsere Kinder leisten und sie nicht auch noch zusätzlich mit unseren Sorgen und Ängsten belasten. Positive Gefühle und Stimmungen können das Immunsystem positiv beeinflussen, ja sogar stärken. Genau deshalb ist es wünschenswert, wenn wir unseren Kindern so viel Unbeschwertheit schenken können, wie es im Moment eben möglich ist. Dies entscheiden wir als Eltern mit unserer Haltung und Stimmung und mit dem, wie wir mit der Situation umgehen, wesentlich mit.
Nehmen wir das Heft in die Hand: Wir können den Lauf der Pandemie nur in Teilen bestimmen und wir haben auch nur bedingt Einfluss auf die Regelungen, die von der öffentlichen Hand getroffen werden. Wir haben aber Einfluss auf uns, auf unsere Familie, auf unser Handeln und Denken.
Wer sich fachlich mit der Psyche des Menschen auseinandersetzt, lernt, dass es wenig zielführend ist, im Problem zu verharren und dass es zwar vordergründig erleichternd sein mag, auf „die anderen, die alles so schwierig machen“ zu schimpfen, langfristig hilfreich ist es allerdings nicht. Weil wir „die anderen“ nicht im Griff haben, weil diese anderen ihr Handeln nicht an unseren Befindlichkeiten orientieren. Das ist ein bisschen so wie mit dem Wetter, wenn wir uns hier einen einfachen Vergleich erlauben dürfen. Das lässt sich auch nicht von unseren Wünschen beeinflussen (Gott sei Dank!), aber wir entscheiden, ob wir gut gerüstet mit Regenschutz und Gummistiefeln im Regen spazieren oder elendig nass werden.
Nichts und niemand, auch keine Pandemie verbietet es uns, gute Momente zu erleben, schaffen wir sie gemeinsam und finden wir die Chancen, die auch diese Krise sicher für uns bereithält.
Hinter diesem Gastbeitrag stehen:
Sonia Fischnaller, Brigitte Andres, Barbara Pfeifer, Irmgard Mahlknecht, Anna Wenter, Doris Forer, Lydia Scherer, Corinna Berger, Monika Kahler, Kathrin Hauser, Silke Stockner, Iris Schwarzmeier, Valentina Kiesswetter, Marion Breitenberger, Veronika Rottensteiner, Christine Kompatscher, Tamara Gögele, Anita Schmidhammer, Heike Walden, Brigitta Rottensteiner (Psychiater*innen, Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Grund- und Mittelschullehrer*innen, Sozialassistent*innen, Sozialpädagog*innen)
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