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Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 27.10.2022
LebenKommentar zur Berichterstattung nach Frauenmorden

„Er war halt verzweifelt“

Veröffentlicht
am 27.10.2022
„Das Partygirl und der abgewiesene Lover“: Wie nach Femiziden berichtet wird und warum das ein großes Problem ist.
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Bildschirmfoto 2022-10-27 um 09.45.39.jpg

Und während am Wochenende in Meran die „strahlende“ Miss Südtirol gekürt wurde und die erste „weibliche“ Ministerpräsidentin Italiens ihre frauenfeindliche Regierung in Position gebracht hat, ist in unserer Nachbarschaft wieder eine Frau hingerichtet worden. Heuchlerisch, wer bei rund 150 toten Frauen pro Jahr noch von „Einzelschicksalen“ spricht. Und doch: Sie tun es jedes Mal wieder. Und nicht nur das: Wir haben es alle gesehen, das unpassende, inadäquate Foto, tausendmal repliziert auf unzähligen Nachrichtenportals. Pärchenfotos, Bussifotos, Privatfotos, das Opfer neben dem Mörder. Garniert mit Tatmotivunterstellungen, täterzentrierte Berichterstattung und Spekulationen. Weil während die offiziellen Stellen sich ausschweigen, findet sich immer ein*e Nachbar*in, die irgendwas gehört, gesehen oder gerochen hat und Details zum Leichenfund preisgibt, die keinen Informationsgehalt haben, sondern der reinen spettacolarizzazione dienen. Nicht alle Medien arbeiten so, aber nach wie vor zu viele.

Eine spettacolarizzazione, die unerlaubt ist, die der Berufskodex der Journalist*innenkammer seit dem 01.01.2021* untersagt und für die er eigentlich ein Disziplinarverfahren vorsieht. Eigentlich. Allein, wo sind denn all diese Verfahren? Wo ist denn dieser Beirat für das Kommunikationswesen, dem doch eine gewisse Monitoring-Aufgabe zufallen würde (zumal die italienische AGCOM für unsere Gefilde ja zu wenig Deutsch kann), wenn unpassende Fotos, Spekulationen und unwahre Behauptungen auf Nachrichtenseiten veröffentlicht werden, schneller als die Leichenstarre bei den getöteten Frauen einsetzen kann? Dass die Angehörigen in einer traumatisierenden Ausnahmesituation keine Kraft, keine Möglichkeit und kein Wissen haben, um gegen diesen medialen Kontrollverlust vorzugehen, dürfte wohl halbwegs nachvollziehbar sein. Aber wo kein*e Kläger*in, da kein*e Richter*in, nicht wahr? Deswegen kann man mit dem Ethikkodex der Journalistenkammer ebenso so viel anfangen, wie mit dem allergrößten Teil dessen, was zu viele aus dieser Berufsgruppe an Output zu Gewalttaten produziert: Man kann es in der Pfeife rauchen.

So werden wir alle Zeuge und Konsument*innen von einem Phänomen, dem wir endlich einen Namen geben müssen. Denn es ist nicht „nur” würdelos, nein, es ist auch gefährlich, wenn die vierte Gewalt und Meinungsmache immer wieder suggeriert, dass die Ermordete “auch irgendwie selbst schuld ist”, weil schau, wie die “aufreizend getan hat”, wie “aufreizend gekleidet und wie viel geschminkt die war” und wen sie sich da “selbst ausgesucht” hat. Es ist nicht nur idiotisch, sondern vor allem sehr gefährlich, wenn vermittelt wird, dass die Frau ja auch irgendwie selbst schuld ist, weil sie haben ja „vorher so viel gestritten“ und die „Beziehung war halt schwierig“ und damit sie selbst gewiss auch. Ist das noch Ignoranz oder schon misogyne Mutwilligkeit?

Es ist nicht nur idiotisch, sondern vor allem sehr gefährlich, wenn vermittelt wird, dass die Frau ja auch irgendwie selbst schuld ist, weil sie haben ja „vorher so viel gestritten“ und die „Beziehung war halt schwierig“ und damit sie selbst gewiss auch.

In was für einer medialen Schräglage bewegen wir uns eigentlich, wenn wir zwar über Suizide nicht berichten, weil wir den „Werther-Effekt” (also eine Nachahmung der Tat durch gefährdete Personen) fürchten, aber absolut kein Problem damit haben, den Tathergang mit Tatwaffe eines Femizides runterzubeten, als wäre es der Wetterbericht? Wie kommt man darauf zu glauben, dass die detaillierte Berichterstattung einer Gewalttat nur dann ein Problem ist, wenn sie gegen sich selbst gerichtet ist und nicht gegen Frauen? Wieso glauben zu viele Medienmacher*innen allen Ernstes, dass detailreiche und sensationsträchtige Berichterstattung zu einer Gewalttat nur jemanden beeinflusst, der selbstgefährdend ist, aber nicht jemanden, der fremdgefährdend ist? Das ist doch dasselbe in himmelblau!

Die Ansteckungs- und Nachahmungswirkung ist ja nicht nur bei gegen sich selbst gerichteter Gewalt groß. Deswegen: Hallo Herr Ebner! Hallo Herr Oberhofer und Konsort*innen! Kleine feministische Fangfrage: Was glauben Sie, sind Sie Teil des Problems? Und hallo, lieber Beirat für Kommunikationswesen, was genau bräuchtet ihr denn, um endlich aufzuwachen und aktiv zu werden, um Journalist*innen zu schulen, Eingaben bei der Journalistenkammer zu machen und den Berufsstand der Journalist*innen auf den neuesten Stand der adäquaten Berichterstattung zu Gewalttaten zu bringen? Weil ja, es soll berichtet werden! Die Frage ist nicht ob, sondern wie! Eine bedachte Berichterstattung hat das Potential, die Betroffenen bei der Bewältigung ihres Leides zu unterstützen und kann präventiv wirksam sein, wie uns just auch der Suizid-Bereich zeigt, wo es nicht nur den negativen „Werther-Effekt“, sondern auch den positiven „Papageno-Effekt“ gibt: Berichte, in denen Lösungen für die Bewältigung persönlicher Krisen aufgezeigt werden, wirken protektiv auf die Leser*innenschaft, also schützend.

Zu vielen Medienhäusern scheint der Leser*innen-Schutz schnurzegal zu sein, die wollen nur billige Klicks, aber es gibt mittlerweile ein Totschlagargument gegen voyeuristische Totschlagberichte: Sensationalismus ist out.

Zu vielen Medienhäusern scheint der Leser*innen-Schutz schnurzegal zu sein, die wollen anscheinend nur billige Klicks, aber es gibt mittlerweile ein Totschlagargument gegen voyeuristische Totschlagberichte: Sensationalismus ist out. Einfach schon schlicht und allein deswegen, weil wer Grausiges, Sensationelles und Niederträchtiges will, es inzwischen massenweise im Netz findet. Was der Großteil sich von einer Zeitung und einem Nachrichtenportal erwartet, ist hingegen konstruktiver Qualitätsjournalismus und der hat auch Zukunft. Warum nur glaubt ihr, dass eure Leser*innen so niederträchtig und dumm seien, dass sie bloß auf Artikel klicken würden, die grausige Details, schmierige Bilder und subtil misogyne Behauptungen beinhalten? Der Großteil der Menschen würde das voyeuristische Angebot in der Tagespresse nicht vermissen und will es auch nicht konsumieren — schon gar nicht in einer eh schon katastrophengebeutelten Gegenwart — auch wenn ihr gerne das Gegenteil behauptet und sich dieses Gerücht hartnäckiger hält als das Märchen, dass Frauen nur in zu kurzen Röcken vergewaltigt werden (und dann natürlich auch irgendwie selbst daran schuld sind). Es wird konsumiert, weil das Angebot da ist, aber es ist ein Angebot, das niemand vermisst, wenn es nicht da ist. Deswegen bitte: Verzichtet im Namen der Getöteten, im Namen der Angehörigen und im Namen von uns allen auf eine spektakuläre, voyeuristische und täterzentrierte Berichterstattung. Es würde denen viel Leid ersparen, denen eh schon nichts erspart geblieben ist, und es das letzte bisschen menschliche Würde, das wir der getöteten Freundin, Nachbarin, Schwester, Tochter, Mutter und Frau erweisen können.

*Auszug aus dem Art. 5-bis des Berufskodexes der Journalistenkammer (01.01.2021):

Articolo 5-bis: Rispetto delle differenze di genere
Nei casi di femminicidio, violenza, molestie, discriminazioni e fatti di cronaca, che coinvolgono aspetti legati all’orientamento e all’identità sessuale, il giornalista:
a) presta attenzione a evitare stereotipi di genere, espressioni e immagini lesive della dignità della persona;
b) si attiene a un linguaggio rispettoso, corretto e consapevole. Si attiene all’essenzialità della notizia e alla continenza. Presta attenzione a non alimentare la spettacolarizzazione della violenza. Non usa espressioni, termini e immagini che sminuiscano la gravità del fatto commesso;
c) assicura, valutato l’interesse pubblico alla notizia, una narrazione rispettosa anche dei familiari delle persone coinvolte.

Videoclip

Im folgenden Video werden die Stimmen von Angehörigen von Femizid-Opfern zu hören sein. Anna Rauch, die Schwester von Barbara Rauch und Margit Rifesser, die Mutter von Alexandra Riffeser reden über die mediale Berichterstattung nach dem Femizid. Die Audiodateien sind ein kleiner Ausschnitt aus einem Videoclip, das im Anschluss an das Theaterstück „72 Stunden – Eine Anklage“ gezeigt werden. Interviews: Jörg Oschmann, Barbara Plagg, Barbara Götsch Unterberger, Foto: silbersalz.

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