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Es ist Sonntag. Meine Uhr zeigt 00:00 Uhr. Seit Monaten schiebe ich diesen Moment vor mir her. Meine Maus bewegt sich über den Button zum Abmelden. Ich fühle mich so, als ob ich mich mit diesem Klick durch Eigenverschulden von der Außenwelt abschotte. Vor mir: eine Woche ohne Facebook.
Das erste, was meine Mutter auf diese Ankündigung hin von sich gibt ist: „Wie soll ich dich denn jetzt erreichen? Etwa über E-Mail?“ Während mich meine deutschen Studienfreunde über den ungewissen Postweg nach Bella Italia mit einer Postkarte beglücken, versuchen es andere über das gute alte SMS. Vergeblich. Wer mich kennt weiß, dass ich eine überzeugte Handy-Nicht-Benützerin bin. Das nervige Teil findet höchst selten den Weg in meine Hände. Eher liegt es irgendwo herum, hat keinen Akku oder kein Guthaben. Internetzugang hat es sowieso keinen und WhatsApp schon gar nicht. Viel eher bin ich auf Facebook zu finden, wo ich mich seit gefühlten zehn Jahren nicht mehr ausgeloggt habe.
In Wirklichkeit sind es fünf und ich habe bestimmt ab und an mal den Abmelden-Button gedrückt. Trotzdem kann jeder, der es will und unter meinen virtuellen Freunden ist, quasi mein gesamtes bisheriges Leben auf Facebook nachverfolgen. Die 749 virtuellen Freunde, die ich natürlich alle persönlich kenne oder zumindest mal gesehen habe, kennen meine Vorlieben, die Höhe- und Tiefpunkte meines Leben und selbstverständlich auch meinen Geburtstag. An besagtem Tag kriege ich nämlich Glückwünsche von jedermann. Facebook-Leben halt. Als Abhängige bezeichnet, liebe ich es die News des Tages zu checken, Nachrichten zu lesen, das nächste Treffen mit Freunden im Gruppenchat klarzumachen, meine schönsten Fotos online zu stellen und natürlich Likes dafür zu kriegen. Und nun soll ich mein virtuelles Leben durch einen Knopfdruck für eine Woche lang beenden?
Ich schreibe also meine Abschiedsworte. Sofort folgen die ersten hochgehaltenen Daumen für mein gewagtes Experiment. Doch ich schenke keiner weiteren Regung auf meiner Pinnwand mehr Beachtung: Ich wage es, klicke erneut, und tschüss.
Bereits nach einigen Minuten wische ich instinktiv drei meiner Finger über das Trackpad, so wie ich es ungefähr 2.000 Mal am Tag mache und auf das hin normalerweise die schöne, blaue Seite und viele meist unnütze, aber höchst interessante Informationen erscheinen. Doch nun: nichts. Um mich mit dieser Einsamkeit nicht länger beschäftigen zu müssen klicke ich zum Beenden auf das „X“ und lege mich schlafen.
Das Gefühl nicht zu wissen, was andere Menschen treiben, die ich teilweise nicht einmal so gut kenne, dass mich das interessieren sollte, stimmt mich irgendwie unruhig. Am Frühstückstisch fehlt der blaue Hintergrund, das Scrollen, die schönen Pfingstsonntagbilder, auf denen alle perfekt und gut gelaunt aussehen. Mir fehlen die auf den Punkt formulierten Schlagzeilen der von mir geliketen Online-Zeitungen, Nachrichten meiner Freunde, Pläne für den Tag. Stattdessen starre ich in die Leere und nippe an meinem Kaffee.
Bereits jetzt merke ich, dass die Abstinenz mir wertvolle Zeit verschafft. Wenn ich normalerweise eine halbe Stunde die Pinnwand rauf und runtergescrollt habe, bin ich jetzt schon auf der Morgenwanderung mit meinem Hund. Ich genieße es regelrecht, nicht dem ständigen Stress des auf dem aktuellen-Stand-Seins und Nachrichten-Beantwortens ausgesetzt zu sein, den ich mir ironischerweise auch noch selbst mache. Heute wird auf der anderen Seite des Netzwerks niemand das berühmte „Gesehen von Lisa“ lesen und auch niemand mir vorwerfen können, dass ich nicht geantwortet hätte. Heute weiß auch niemand, was ich mache oder wo ich mich befinde. Herrlich, das Alleinsein. Heutzutage eine Seltenheit, dieses Gefühl. Immer und überall sind wir verbunden mit der virtuellen Welt. Jeder weiß immer was wir wo, wann und mit wem machen und wie wir uns dabei fühlen. Das Alleinsein ist quasi nur noch ein irrealer Lückenfüller zwischen Terminen.
Die ersten Tage vergehen und das Gefühl, im Internet zu surfen und nicht ab und an wieder einmal Facebook-Neuigkeiten zu checken, ist höchst ungewohnt und macht das Internetsurfen irgendwie zu einer anderen Erfahrung. Die Konzentration ist und bleibt wirklich dort, wo man sie haben will. Trotzdem fährt meine Maus instinktiv immer und immer wieder nach links oben, dahin, wo mein Facebook-Fenster normalerweise schlummert.
Als der zweite Tag um ist, fühle ich mich irgendwie frei. Doch wo Vorteile, da auch Nachteile und so lerne ich bald schon die Kehrseiten der Abstinenz kennen. Denn ja, es gibt sie. Ohne Gruppenchats ist man bald von der Freizeitplanung ausgeschlossen. Auch für Uni-Gruppenarbeiten ist Facebook mittlerweile ein Muss. Hat man es nicht, wird es mit der Planung kompliziert. Auch die Recherchen stellen sich als schwierig heraus. Wenn es nämlich heißt: „Finden Sie uns auf Facebook“ kann ich mir diese Woche leider keine hilfreichen Informationen aus Informationskästen und vollgeposteten Pinnwänden krallen. Und es passiert mir immer und immer wieder: „Hast du schon auf Facebook gelesen …? Hast du das auch gesehen?“ „Nein, habe ich nicht, ich bin gerade nicht auf Facebook.“ Genauso wie ich sonst in WhatsApp-Kreisen den Außenseiter spiele, spiele ich ihn jetzt in der Welt des Mark Zuckerberg. Unglaublich, wie viele Informationen wir aus dem Social Network holen, welch großen Platz die virtuelle Welt mittlerweile in unserer Gesellschaft eingenommen hat. Doch bekanntlich ist der Mensch ja ein Gewohnheitstier und so macht das Leben ohne Facebook auch mir nach einigen Tagen nichts mehr aus.
Eine Woche ist vergangen, erneut ist es Sonntagabend. So wie ich meinen Entzug vor mir hergeschoben habe, schiebe ich nun auch meine Wiederanmeldung vor mir her. Seit meinem Abschiedsklick hat sich einiges verändert. Mir ist in dieser Woche bewusst geworden, wie viel wertvolle Zeit ich eigentlich mit dem Leben anderer vergeude.
Wenn ich einst dachte, dass es mir unheimlich schwer fallen würde, eine Woche ohne die Facebook-Wall auszuhalten, sitze ich nun da, blicke auf den blauen Himmel und die wunderbaren Berge und finde den Anblick von Blau im Real Life viel schöner als auf meinem Bildschirm. Trotzdem schwimmt man fortwährend zwingend mit im Strom der Nachrichten, Posts und Veranstaltungseinladungen. So komme auch ich nicht um den Wiederanmeldungsklick herum und checke erst einmal, was es in der Welt meiner Online-Freunde so Neues gibt. Tatsächlich beantworte ich nicht eine Nachricht, sondern logge mich nach einigen Minuten wieder aus. Die Neuigkeiten-Flut überrollt mich und ich merke, dass ich ihr nicht gewachsen bin.
Die Woche ohne Facebook hat mich gelehrt, dass weniger manchmal mehr ist. Ein Leben ohne Facebook bedeutet kostbare Zeit zurückzubekommen, die anderswo sinnvoller investiert ist. Nicht immer erreichbar zu sein ist entspannender als gedacht. Bereits nach einigen Tagen merkt man, wie normal es eigentlich ist, nicht zu jeder Zeit darüber informiert zu sein, was der Rest der Welt gerade treibt. Man öffnet seinen Blick wieder für die wichtigen Dinge im Leben.
In Zukunft wird meine Facebook-Zeit also limitiert werden, um dem selbstverschuldeten Druck des ständigen Wissen-Wollens und Nachrichten-Beantwortens zu entkommen. Mein PC wird sich wohl oder übel daran gewöhnen müssen, öfter in der Ecke liegen zu bleiben.
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