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Judith Dietl
Veröffentlicht
am 12.11.2013
LebenEingesperrt

Ein bewegtes Leben

Veröffentlicht
am 12.11.2013
Sie hatte ein normales Leben, 40 Jahre lang. Dann kamen Drogen, Verhaftung und Gefängnis. Doch hinter Gittern bekam Agnes S. eine zweite Chance.
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Es ist mitten in der Nacht. Agnes S. wird aus dem Schlaf geklingelt. Beamte in Zivil stehen vor ihrer Wohnungstür. Sie weiß nicht, was vor sich geht. „Sie sind verhaftet“, sagt einer der Männer. Es ist der 13. November 2007. Die vierfache Mutter wird abgeführt und für die nächsten Jahre nicht mehr wieder kommen.

So beginnt die Geschichte der heute 49-Jährigen. Wegen Drogenhandels wurde sie zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt: Zehn Monate davon verbrachte sie im Hochsicherheitstrakt im Frauengefängnis von Bologna. 15 Monate in einer Therapiegemeinschaft, auch in Bologna. Weitere zwei Jahre wieder im selben Gefängnis wie zuvor. „Eine harte Zeit“, sagt sie. Aber sie habe auch die Möglichkeit gehabt, von den Drogen los zu kommen. Und die habe sie genutzt. Agnes ist ein positiver Mensch. Einer, der sich nicht hängen lässt und nicht mit seinem Schicksal hadert. Sie nimmt es lieber selbst in die Hand. Als sie im Dezember vor zwei Jahren aus der Haft entlassen wurde, ging sie wieder zurück nach Hause. Sie hat sich selbst gefragt, wie das wohl sein wird. Gibt es Vorurteile? Wie werde ich aufgenommen? Doch irgendwo ein neues Leben zu beginnen, ohne Kinder und ihre Familie, kam für sie nicht in Frage. Das Schlimmste im Gefängnis sei die Trennung von ihren Lieben gewesen. „Davonzulaufen, nachdem man hingefallen ist, das ist einfach. Aber danach wieder aufstehen, das ist schwierig“, sagt sie

„Von einem ins andere Extrem"

Nach ihrer Rückkehr habe es die ein oder andere Ablehnung gegeben, erzählt Agnes und winkt gleich ab, als ob sie sagen möchte, das sei doch nachvollziehbar und nicht so schlimm. „Die meisten Leute haben mich aber sehr herzlich aufgenommen und sich auf mich gefreut“, fügt sie noch hinzu. Dann beginnt sie von ihrer Kindheit und von ihrem früheren Leben zu erzählen. Es wird deutlich, wie tief man fallen kann. Hinter ihr liegen keine jahrelange Drogenkarriere, keine verkorkste Jugend und kein zerrüttetes Elternhaus. Sie hatte 40 Jahre lang ein so normales Leben, dass sich kein Grund für einen Absturz finden lässt. „Ich habe nie geraucht, kaum Kaffee getrunken, kaum Alkohol. Ich kam von einem ins andere Extrem“, sagt sie heute selbst.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof mit 14 Geschwistern, mussten die Kinder mit anpacken. Es sei viel Arbeit gewesen, aber trotzdem eine sehr schöne Kindheit, erzählt Agnes. Später machte sie im wissenschaftlichen Lyzeum Matura und wurde kurz darauf Mutter und Hausfrau. Nachdem sie sich zehn Jahre später von ihrem Mann getrennt hat, zog sie mit den vier Kindern auf einen Bauernhof auf 1.500 Meter Seehöhe. Dort bewirtschaftete sie vier Hektar Wiesen mit Kühen, Pferden, Ziegen und anderem Kleingetier. Viel Arbeit, aber „das war eine richtig schöne Zeit“, sagt sie und klingt etwas wehmütig.

Kein Zurück mehr

Dann kommt das Gespräch auf ihre Drogenvergangenheit. Ihre Stimme wird leiser, die Sätze kürzer, die Pausen dazwischen länger. In den letzten Jahren auf dem Bauernhof kam sie zum ersten Mal damit in Kontakt. Eigentlich wollte sie einem Drogenabhängigen helfen, der bei ihr gearbeitet hat, und geriet schließlich selbst in den Teufelskreis. Warum? Es sei zu schwierig, um es zu erklären, sag die 49-Jährige, denkt nach und sagt dann: „Anstatt diesen Leuten zu helfen und kapiert zu haben, was es heißt, mit solchen Leuten zu tun zu haben, ließ ich mich hineinziehen.“ Neugier sei dabei gewesen und das Unterschätzen der Gefahr von harten Drogen. Irgendwann gebe es kein Zurück mehr.

Zehn Jahre blieb sie mit ihren Kindern auf dem Bauernhof, dann lief der Pachtvertrag aus und sie gingen zurück ins Tal. In einer Sozialwohnung kam die Familie unter. Vom Drogenkonsum in dieser Zeit merkte kaum einer etwas. „Es ist ganz einfach, zum einen spricht man nicht darüber, zum anderen hat sich keiner getraut zu fragen“, sagt sie. Agnes arbeitete als Abspülerin, nebenbei spielte sie in der Kirche Orgel. Die Musik hat sie schon ihr Leben lang begleitet und Kraft gegeben. Neben ihrer Familie war es auch die Orgelmusik, die ihr in den Jahren hinter Gittern am meisten fehlte.

Ein Jahr nach der Rückkehr ins Tal wurde sie plötzlich verhaftet. Mehrere Jahre Gefängnis folgten. Es drängen sich Fragen auf: Schuldig? Unschuldig? Die lange Haftstrafe gerechtfertigt? Damit will sich die 49-Jährige heute nicht mehr auseinandersetzen. Agnes ist nicht verbittert und gibt auch keinem die Schuld dafür. Was passiert ist, ist passiert, das ist ihre Einstellung. Die Drogen, das Gefängnis – alles ein Teil ihres Lebens, den sie geschafft hat, hinter sich zu lassen. Jetzt möchte sie ihre Geschichte erzählen und wird in den nächsten Wochen regelmäßig von ihren Erlebnissen und Erfahrungen im Gefängnis berichten.

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