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50.000 verkaufte CDs, bis auf den letzten Platz gefüllte Konzerthallen, Gruppenbilder mit Heino und sogar schon für den Echo nominiert – der Lebenslauf der Brixner Band Frei.Wild liest sich wie der eines Musterschülers. Dafür, dass sie aus dem beschaulichen Brixen kommen, haben sie es seit ihrer Gründung vor vierzehn Jahren sehr weit gebracht. Das online-Portal STOL freute sich erst unlängst mit der Band über das Erreichen der 10 Millionen YouTube-Klicks für das Video „Land der Vollidioten“. Den medialen Ritterschlag erhielt Frontmann Philipp „Fips” Burger Ende 2014 zudem von der Wochenzeitung „ff“, die ihn als einen der einflussreichsten Südtiroler auflistete.
Die moderne Musikbranche lebt seit jeher nicht nur von der Inkarnation des Slogans „Sex Sells“ in Form der nackten Abrissbirne Miley Cyrus, sondern auch von Provokation und Skandalen. Auch das Erfolgsmodell der Brixner funktioniert so – davon kann man sehr gut leben. Die Band erklärt den Kritikern ihrer patriotisch-völkischen Texte immer wieder, die Welt eben aus der Südtiroler-, und nicht aus der Deutschen Perspektive zu sehen. Die Problematik bleibt aber dieselbe – auch in Südtirol.
Frei.Wild sind seit ihrer Gründung das Enfant terrible der sonst so urigen Volksmusik-Szene im Land. Kein Wunder: Die Musik der Brixner wird dem Deutschrock und der Neuen Deutschen Härte zugeordnet. Man kennt das Genre schon von Bands wie den Böhsen Onkelz, Oomph! oder Rammstein. Der Erfolg liegt nicht nur an den starken Gitarrensounds, dem Grölen und dem volkstümlichen Touch, sondern in erster Linie an den provokanten Songtexten. Einfache, in den Satz gequetschte Reime gehen sofort in den Kopf, sodass sie auch von einer schunkelnden Masse Angetrunkener immer noch leicht mit gegrölt werden können.
Immer, immer wieder
Ertönen unsere Lieder
Eure stummen Schreie
Gehen wie Bomben auf euch nieder
Immer, immer wieder
Seht her hier stehen die Sieger
Immer, immer wieder
Ertönen unsere Lieder
(aus Wir gehen wie Bomben auf euch nieder)
Die Lieder erinnern an aggressive Hymnen, Volkslied-Einflüsse und Stammtischparolen dürfen auch nicht fehlen. Man fühlt sich zurecht an einen Heimatroman erinnert, denn früher war ja schließlich alles besser:
Da, wo wir leben, da wo wir stehen
Ist unser Erbe, liegt unser Segen
Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache
Für uns Minderheiten eine Herzenssache
Das, was ich meine und jetzt werft ruhig Steine
Wir sind von keinem Menschen die Feinde
Doch wir sind verpflichtet, dies zu bewahren
Unser Tirol gibt‘s seit 1200 Jahren
Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen
Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen
Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen
Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen
Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen
Denn deine Kinder werden später darauf bauen
Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat
Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk
(aus Wahre Werte)
Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik
An diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist
Darum holt tief Luft und schreit es hinaus
Heimatland wir geben dich niemals auf
[…]
Südtirol, deinen Brüdern entrissen
Schreit es hinaus, dass es alle wissen
Südtirol, du bist noch nicht verlor’n
In der Hölle sollen deine Feinde schmorr’n
(aus Südtirol)
Obwohl es in der Realität oft mehr Graustufen gibt, laden die Lieder von der Brixner Band zum Schwarz-Weiß-Denken ein. Die Band gibt scheinbar einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Charakteristisch sind das Freund-Feind-Schema, das in den Texten besungen wird, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse oder „wir gegen die anderen“. Frei.Wild vermischt eine Vielzahl an Schlagworten wie Zusammenhalt, Liebe, Freiheit, Ehre, Stolz, Glaube und Heimat und braut daraus einen Trank, der das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft gefährdet. Solche Begriffe strotzen nur so vor emotionaler Bedeutung und können leicht falsch ausgelegt werden.
Diese Zweischneidigkeit beförderte Frei.Wild direkt in die obersten Riegen der Charts. Die Band wurde 2013 und 2014 für den Echo nominiert, den bekanntesten deutschen Musikpreis. Es kam jedoch zum Eklat: Kraftklub, Die Ärzte und MIA haben mit Boykott gedroht, sollten Frei.Wild nominiert bleiben. Der Vorwurf: Die Band sei zu weit am rechten Rand angesiedelt.
„Die vier Brixner sind lange genug im Geschäft, um das Einmaleins der Selbstvermarktung verstanden zu haben: provocation sells.”
Genau diese Entwicklung ist bedenklich: Grundsätzlich sind Mitglieder der rechten Szene nicht mehr allein aufgrund ihres Äußeren zu erkennen. Ein Teil der rechten Szene entledigt sich des einschlägigen Symbolismus und versucht sich chic und hip zu geben. (So gibt es etwa Nazis mit Sturmhauben, die auf YouTube Vegan kochen.) In der Mainstream-Musik ist es zudem leichter, bestimmte Inhalte an den Mann zu bringen, da man mehr Menschen erreicht. Dabei wird gerne abgestritten, ein Anhänger von rechtsextremem Gedankengut zu sein. Auch das Publikum von Frei.Wild wird immer breiter. Die Brixner spielen nicht nur auf dem Wacken Open Air oder beim Alpenflair Festival, sondern 2010 auch in Berlin beim WM-Achtelfinalspiel Deutschland gegen England auf der Fanmeile vor 500.000 Zuschauern. Die Nominierung für den Echo lässt nämlich erahnen, dass die Brixner offensichtlich in den letzten Jahren immer mehr zum Mainstream geworden sind. Das sagt auch ihre Pressesprecherin, Sandra Eichner, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Diese Popularität von Frei.Wild bei den Massen ist der rechtsextremen Szene hingegen schon 2012 positiv aufgefallen. NPD-Funktionär Patrick Schröder bewirbt in seiner Radiosendung auf fsn.tv (einem rechten Internet-Radiosender) das Frei.Wild-Album „Feinde deiner Feinde“. Sein erster Eindruck: „Textlich bewegt man sich relativ hart an der Grenze wo man dann wirklich mal Probleme bekommt.“ Auf der Mainstream-Welle kann die Band laut Schröder am besten die richtigen Inhalte verbreiten. Sein Fazit: „Politisch vielleicht nicht hundert Prozent bei uns auf der Linie, aber immerhin achtzig Prozent. Und sie geben dreißig Prozent davon zu.“
Trotzallem tut die Band wenig gegen solche Einordnungen, sondern befeuert die Thematik zusätzlich. Die vier Brixner sind lange genug im Geschäft, um das Einmaleins der Selbstvermarktung verstanden zu haben: provocation sells.
Frontmann Philipp Burger erklärt im Oktober 2010 in einem Interview mit dem Musikportal laut.de, dass Frei.Wild aus Südtiroler Sicht argumentieren und Musik machen:
„ […] Wir sind keine Deutschen! Wir sind Südtiroler. Wir sind dort aufgewachsen und die Heimatliebe, die ist dort allgegenwärtig. Dort hat keiner ein Problem mit unseren Texten, die verstehen, um was es uns geht. Wenn dort ein Feiertag ist, dann wird da die Tiroler Flagge vors Haus gehängt und zwar überall. Die haben da auch lauter Vereine, die das hegen und pflegen und diese Verbundenheit zu Südtirol auch erhalten wollen. Wir sind in diesem Umfeld aufgewachsen und sprechen aus unserer Sicht als Südtiroler, nicht als Deutscher. […] Ich weiß, dass das viele Leute provoziert, aber das sind halt Sachen, die uns wichtig sind.“
„Das idyllisch-kleinkarierte Bild, das Burger verkaufen möchte, von einem Südtirol, in dem die Gesellschaft noch streng in Tiroler und „Alle anderen“ getrennt ist, hat nichts mit der Realität zu tun, sondern eher mit einer Tourismus-Werbung aus den 50ern.”
Wenn man selbst in Südtirol lebt, bemerkt man sofort: Burger zeichnet ein recht naives Bild der Südtiroler Realität. Begriffe wie Heimat und Patriotismus werden auch in Südtirol nicht immer nur positiv gesehen, dafür hat die Zeit als „Operationszone Alpenvorland“ 1943–1945 gereicht. Auch während der Option wurden diese Begriffe für die jeweilige Seite instrumentalisiert. Die Bevölkerung wurde damals zweigeteilt – Optanten gegen Dableiber – diese Einschnitte sind heute noch erkennbar und haben zu einem bewussteren Umgang mit Begriffen wie Heimat oder Heimatverbundenheit geführt.
Das idyllisch-kleinkarierte Bild, das Burger verkaufen möchte, von einem Südtirol, in dem die Gesellschaft noch streng in Tiroler und „Alle anderen“ getrennt ist, hat nichts mit der Realität zu tun, sondern eher mit einer Tourismus-Werbung aus den 50ern. Dass es heute im Land sehr wohl auch anders geht, sieht man beispielsweise an der Rittner Band Homies4Life. Deren Song Love/Hate thematisiert das Positive an dem Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Sprachgruppen in Südtirol.
Löblich wiederum sind die Frei.Wild-Engagements, mit denen die Kinderkrebshilfe oder das Südtiroler Kinderdorf finanziell unterstützt werden. Auch hat die Band Geld für einen afrikanischen Migranten gesammelt, der damit seine Familie im Senegal unterstützen könnte. Gerade dieses Schillern zwischen Provokation und Mäßigung machen die Band so interessant und provokant.
Die Zielgruppe liegt bei Jugendlichen ab 14, doch bedient Frei.Wild auch ein breites Publikum, das aus Ex-Onkelz-Fans, über Tirol-Patrioten zu heimatliebenden Zeltfest-Besuchern mit Enkelkindern geht. Besonders in Südtirol ziehen die Jungs aus Brixen viele an. Auch die Jungendlichen in meinem kleinen Dorf laufen mit Frei.Wild-T-Shirts herum, grölen die Parolen, kennen die Songtexte. Aber sobald man danach fragt, was daran gut sein soll, rot-weiße Aufkleber mit dem Slogan „Südtirol ist nicht Italien“ überall hin zukleben, erhält man einsilbige Antworten. „Das macht man halt in diesem Alter“ habe ich schon zu oft gehört, als dass ich noch darüber schmunzeln könnte. Ist man als Jugendlicher in Südtirol wirklich so alternativlos, dass man nur in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Dem Land Tirol die Treue“ eine „normale“ Jugend haben kann? Interessanterweise hat auch Philipp Burger genau dieselbe Antwort auf die Frage gegeben, warum er ein Jahr vor der Gründung von Frei.Wild der Neonazi-Band Kaiserjäger angehörte: „Das macht man halt in diesem Alter“ …
Frei.Wild spricht auch so viele an, weil sie den Anhängern das Gefühl geben, dass es O.K. ist, Mist zu bauen. Dass es nur darauf ankommt, zu seinen Fehlern zu stehen und seine Meinung besonders laut zu sagen – dann wird alles gut. Fragt man die Fans, meinen sie, dass Frei.Wild endlich Klartext spricht und das sagt, was andere sich nicht trauen. Der Ausschluss aus der Echo-Verleihung 2013 bestärkt die Opferrolle, in der sich die Band sieht. Auch muss man sich gemeinsam auflehnen, gegen „die da oben“. Denn eigentlich, sei man ja unpolitisch. Auch hier greift die universal-Verteidigung: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.
Im Gehege der Platzhirsche von Frei.Wild ist es ganz normal in der Jugend „ein bissl rechts“ zu sein, zu feiern, zu saufen und beim Lied „Dem Land Tirol die Treue“ voller Inbrunst mit zu schunkeln. Klar, das Lied ist auch Teil unserer Südtiroler Geschichte. Aber die eigentliche Frage ist, wie lange man sich die komplexe Welt von heute noch mit Sportbar-Parolen erklären kann.
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